Von Anne Winckler
Endlich wieder Berlin, nach mehr als 18 Monaten auch Corona bedingter Abstinenz!
Diese Stadt zieht mich aus vielerlei Gründen immer wieder in ihren Bann. Es sind weit in die Vergangenheit reichende, aber schon lange nicht mehr durch Gegenwart belebte familiäre Wurzeln, die mich binden. Es sind inzwischen glorifizierte Erinnerungen an eine Zeit des Aufbruchs ins Erwachsenenleben zwischen kleinstädtischer Enge und Freiheit einer pulsierenden Großstadt, die mich locken. Später waren es kleine Auszeiten aus der Verantwortung eines Erwachsenenlebens mit familiären und beruflichen Verpflichtungen, die mich regelmäßig in die Stadt führten. Über Jahre hinweg hatte ich gedanklich immer einen Koffer in Berlin.
Nun also auf ein Neues. Ich recherchierte was es an aktuellen Ausstellungen zu sehen gab. Die neue Nationalgalerie war gerade wieder eröffnet worden, aber alle über das Internet buchbaren Zeitfenster während meines Aufenthalts bereits ausgebucht. Auch die Eröffnung des Berliner Stadtschlosses und des darin angesiedelten Humboldtforums machte sich auf meinem PC breit. Deshalb wollte ich aber eigentlich nicht nach Berlin fahren. Was ging mich dieses Schloss an, das genauso wenig echt war, wie die neue Frankfurter Altstadt. Meine Nackenhaare stellten sich auf: Disney-Erinnerungsland wollte ich nicht besichtigen. Weder hier in Frankfurt noch dort in Berlin. Und monarchischer deutscher oder auch preußischer Vergangenheit stellte ich mich lieber dort, wo sich Auseinandersetzung und Erinnerung noch an echten Spuren verankern können. Dann doch lieber Schloss Charlottenburg oder die Schlösser in Potsdam.
Aber das Stadtschloss drängte sich unbeirrt weiter in meine Reisepläne. Es lockten die ethnologischen Sammlungen der ehemaligen Völkerkundemuseen in Dahlem, die dort im Humboldt Forum eine neue Heimat gefunden haben. Ich erinnerte mich an die Presseberichte des Jahres 2018 über den Umzug des sogenannten Luf-Bootes aus dem Museum Dahlem in die Baustelle des Stadtschloss. Das Boot musste aufgrund seiner Größe noch vor Fertigstellung des Gebäudes an seinen vorgesehenen Ausstellungsplatz verfrachtet werden, weil es sonst nicht mehr ins Gebäudeinnere hätte gelangen können. Im Jahr 1973 hatte mich dieses Boot mit anderen Exponaten aus Ozeanien damals im Museum sehr beeindruckt. Es waren Zeichen aus einer völlig fremden, andersartigen Welt. Sie weiteten meinen kleinstädtischen Weltblick. In meinem Kopf formierten sich Bilder, wie es sich wohl auf diesen Booten und in den Häusern der Eingeborenen, die ebenfalls ausgestellt waren, gelebt hätte. Ich schaute über meinen deutschen Tellerrand, der damals, wenn überhaupt, nur kleine europäische Ausblicke kannte, in eine ferne Welt. Diese Südsee schien so verlockend, das Leben auf den vielen Inseln mitten im Meer so anders. Hatte ich in der Teenager-Zeit mich in Winnetous Kinowelt geträumt, so träumte ich mit Anfang 20 nun von Tonga und Papua-Neuguinea. Nein ich machte mir keine Gedanken darüber, wie diese Gegenstände in dieses Museum gelangt waren. Ich machte mir auch keine Gedanken über die Menschen, die dort diese Gegenstände, die ich nun bestaunte, benutzt hatten. Ich gab mich naiv dem Reiz des Fremdartigen hin.
Jetzt fast 50 Jahre später, erschüttert mich meine damalige Naivität. Ich versuche mich dafür zu rechtfertigen. Von deutschen Kolonien in der Südsee, in Afrika und in China wusste ich so gut wie Nichts. Dieser Teil der Geschichte, war wie so vieles Andere der näheren deutschen Vergangenheit im Unterricht ausgeklammert worden. Am Begriff des Völkerkundemuseums störte sich noch niemand. Auf der Schokoladentafel prangte putzig der Sarotti-Mohr. Das Lied ‚10 kleine Negerlein‘ gehörte zum allgemeinen Liedgut, in fast jeder Stadt gab es eine ‚Mohren’Apotheke und natürlich aßen wir leidenschaftlich gern ‚Mohrenköpfe‘, die auch ‚Negerküsse‘ genannt wurden. Ich schwamm also mit in einer rassistisch geprägten kollektiven Sichtweise. Ich war mit dem Ankommen in meinem eigenen kleinen Leben hinreichend beschäftigt.
Der Blick hat sich durch die Jahrzehnte hinweg geweitet. Sicher auch weil das Thema ‚Umgang mit der deutschen Kolonialvergangenheit` im gesellschaftlichen Diskurs angekommen ist. Um die Rückgabe der sogenannten ‚Benin-Bronzen‘ wird seit Jahren öffentlich gestritten. Die Frage, mit welchem Recht Kultgegenstände, aber auch Alltagsgegenstände fremder Ethnien in deutschen Museen ausgestellt werden dürfen, stellt sich zunehmend lauter. Von besonderer Brisanz ist die Diskussion um geraubtes Kulturgut. Schon in der Deutung, wann ein Raub, eine erpresste Herausgabe von Gegenständen vorliegt, scheiden sich die Geister. Es gibt unendlich viel (Fach-)Literatur dazu.
Ich mache mich also auf ins Humboldt-Forum, um mir selbst und meinen Südseeträumen von damals zu begegnen und um mich der aktuellen Auseinandersetzung um die Ausstellung von Zeugnissen deutscher Kolonialherrschaft zu stellen. Zugegeben: Es treibt mich auch ein wenig Neugier auf dieses Gebilde ‚Berliner Schloss‘ an. Ich nähere mich mit dem Bus. Der ‚100er‘ schaukelt mich ‚Unter den Linden‘ entlang und entlässt mich an der Schloss-Brücke.
Mein Blick fällt zunächst auf Bauzäune und Baukräne. Dahinter ragt es dann auf: Das Berliner Stadtschloss.
Nach außen gewandt sind rekonstruierte Fassaden errichtet worden, die Innenseite wurde aber – mit Ausnahme des Schlüterhofes – in zeitgenössischer Bauweise errichtet. Es ist ein kolossales Monstrum, dass sich da auf der Museumsinsel erhebt. Die Baukosten belaufen sich inzwischen auf rund 650 Millionen Euro. Ich laufe ziemlich fassungslos auf der Suche nach dem Eingang herum und frage mich nicht zum ersten Mal: Wozu das Ganze?
Irgendwann befördert mich dann eine Rolltreppe ins 2. Obergeschoss. Ja, ich habe die Absicht verstanden, mit dieser technischen Einrichtung demonstrieren zu wollen, dass hier kein naturgetreuer Nachbau beabsichtigt ist. Und dennoch bleibt die Frage, wozu ein solcher Ort? Für die kollektive Erinnerung? An Deutschlands monarchische Vergangenheit? Als Demonstrationsobjekt für Deutschlands Auseinandersetzung mit der Geschichte? Als Touristenmagnet? Sicher von allem Etwas.
Im ersten Raum der Afrika-Ozeanien Sammlung des Museums erwartet mich die Auseinandersetzung mit der Diskussion ob und wie man koloniales Kulturgut ausstellen kann und wie mit Rückgabeforderungen umzugehen ist. Man konnte wohl nicht umhin, Stellung zu beziehen. Auf mich macht das Ganze einen eher sedierenden Eindruck. Mir wird vermittelt: Ja, wir sind uns des Problems bewusst, wir kümmern uns drum und wenn es unbedingt gewünscht wird, reden wir auch über eine Rückgabe. Es soll eine Begegnung mit den Vertretern aus den Herkunftsländern der Exponate auf Augenhöhe stattfinden, wird versichert. Es klingt aber irgendwie gönnerhaft. Immerhin verschließt man die Augen auf Museumsseite aber nicht. Das ist ja schon mal was.
Irgendwann stehe ich auch vor dem Luf-Boot. Es wundert mich, dass ich ganz nah heran kann, ohne dass mich ein durchdringender Alarmton zurück pfeift. Ich bewundere die kunstvollen Schnitzereien und sonstigen Verzierungen des Bootskörpers. Dieses Boot ist nun mehr als hundert Jahre alt, es ist das letzte seiner Art, das auf der Insel Luf gebaut wurde. Die Umstände, unter denen es nach Deutschland kam, sind zumindest umstritten. Ein kleines Schild im Saal verweist darauf, dass es über die Firma Hernsheim nach Deutschland gelangte. Das klingt nach einem beinahe alltäglichen Vorgang. Der Historiker Götz Aly erzählt eine andere Geschichte. Dieses Boot ist nach seiner Darstellung den Einheimischen geraubt worden, wobei an diesem Vorgang auch einer seiner Vorfahren beteiligt war. Hätte man nicht zumindest darauf eingehen müssen? Statt dessen läuft an der Wand des Ausstellungssaal eine Videosequenz, in der Bewohner von Papua-Neuguinea betonen, dass das Boot gerne in Deutschland weiter ausgestellt werden könne. Man wolle nur mal vorbeikommen um Fotos zu machen, damit man wieder Boote dieser Art bauen könne. Dieses Können ist am Ursprungsort inzwischen verloren gegangen. Wie bitter ist das denn?
Ich habe genug gesehen. Nein, die Faszination des früheren Museumsbesuches stellt sich – natürlich – nicht mehr ein. Ich frage mich vielmehr, was gibt mir das Recht, diese Gegenstände begaffen zu können. Wie würden die früheren Besitzer auf mich und all die anderen Museumsbesucher schauen? Aber kann man das Rad der Geschichte zurückdrehen und wie kann man es zurückdrehen? Steckt nicht sogar heute noch kolonialistisches Denken in unserem Alltag? Es drängen sich für mich so viele Fragen um das Berliner Stadtschloss, um das Humboldtforum und auch um den Umgang mit deutscher Kolonialgeschichte auf, denen ich weiter nachgehen möchte. Wäre ein Seminar der U3L nicht ein geeigneter Ort dafür?
Hier noch ein paar Tipps zum Weiterlesen:
Götz Aly, Das Prachtboot – Wie Deutsche die Kunstschätze der Südsee raubten
Sophie Schönberger, Was soll zurück – Die Restitutiom von Kulturgütern im Zeitalter der Nostalgie