Du betrachtest gerade Teil I: Schweigen in der digitalen Kommunikation

Von Heiner Schwens

Das Smartphone hat heute eine besondere Bedeutung in der digitalen Welt erlangt.

Welche Bedeutung dies nun für unsere Kommunikation im Allgemeinen und für die Thematik des „Schweigens“ im Besonderen hat, darüber hat sich Herr Heiner Schwens in einem eindrucksvollen Referat an der U3L Gedanken gemacht. Dazu hat er auf Thesen bekannter Kommunikationswissenschaftler Rückgriff genommen und stellt uns deren Interventionsstrategien vor, die das Schweigen des Gegenübers beenden sollen.

Herzlichen Dank, lieber Herr Schwens!

Smartphones gehören heute zum Alltag. Es ist fast unmöglich, ohne sie zurecht zu kommen. Das Smartphone ist, aufgrund seiner Multifunktionalität, die Tür zur großen weiten Welt des Internets. Viele Smartphone-Nutzer wählen WhatsApp als Messaging-Dienst.

WhatsApp wurde 2009 gegründet, und gilt als eines der beliebtesten sozialen Netzwerke und Messenger im Jahr 2022. Es belegte laut Statista 22 mit 79% an den Internetnutzern den ersten Rang. Beim internationalen Ranking war der Messenger auf Rang drei mit fast zwei Milliarden Nutzern weltweit zu finden, Tendenz steigend. Durch die Nutzung und dem damit einhergehenden Medienwandel (Digitalisierung und Mediatisierung) kommt es zu einer Veränderung von Kultur und Gesellschaft.

Friedrich Krotz, deutscher Kommunikationswissenschaftler, Soziologe und Mathematiker an der Universität Bremen, versteht unter Mediatisierung das Wechselverhältnis zwischen medienvermittelter Kommunikation und gesellschaftlicher Praxis. Unter Wechselverhältnis versteht er nicht nur die Entwicklung neuer Medien (Techniken) und die damit verbundene Nutzung, sondern diese Techniken werden auch in den praktischen Alltag eingebunden, an die sich wiederum die Medien anpassen (2001).

Die zwischenmenschliche Kommunikation verändert sich, es entstehen unterschiedliche Auswirkungen auf das Kommunikationsverhalten und die Erwartungshaltungen. Sprach man vorher von einer Face-to-Face-Kommunikation (F-t-F-Kommunikation), so spricht man bei der Smartphone-Nutzung von einer Keyboard-to-Screen-Kommunikation, auch K-t-S-Kommunikation genannt.

Fragen zur sich verändernden Kommunikation in der digitalen Welt wurden auch in der Zeit vom 18. September bis zum 25. September 2020 im Zuge der DGSS e. V. Tagung (Deutsche Gesellschaft für Sprechwissenschaft und Sprecherziehung) „Mündlichkeit 4.0: Sprechen in einer digitalen Welt“ bearbeitet, z. B.: Wie verändert sich die Form, miteinander zu sprechen? Wie verändern sich die Inhalte, die wir kommunizieren durch Einbindung des Digitalen?

Bei der Nutzung eines Smartphones geht man davon aus, dass eine zwischenmenschliche Kommunikation immer möglich ist, sei es durch die Nutzung von WhatsApp, FaceTime, Instagram (Direkt Message), Facebook Messenger), Snapchat (hiermit werden ausschließlich Fotos und Videos versendet, wobei die versendeten Fotos am empfangenen Gerät zwischen einer und zehn Sekunden gesehen werden können), oder durch einen ganz normalen Anruf. Krotz spricht von einer „Entgrenzung“ und „Entkontextualisierung“ der Medien. Was versteht er darunter? Unter Entgrenzung versteht er die immerwährende Möglichkeit, Medien zu nutzen, die Nutzung ist nicht wie früher an einen bestimmten Ort gebunden (z. B. heimischer Fernseher, Festnetztelefon).

Die Projektleiterin Sina Lautenschläger forscht zum Thema „Markiertes Schweigen. Zur Relevanz digitaler Kommunikation“, dass Aussagen wie „Sie ist online, schreibt mir aber nicht“, längst keine Seltenheit mehr sind. Sie geht von einer Rund-um-die -Uhr-Erreichbarkeit aus, so dass „im Zuge der Mediatisierung die Möglichkeit der Nicht-Erreichbarkeit ausgeklammert oder zumindest stark vernachlässigt“ werden kann.

Bei der Entkontextualisierung geht es nach Krotz darum, dass die Schreibenden nicht voneinander wissen, „in welchen Kontexten sich das Gegenüber gerade befindet“. Man ist also in hohem Maße auf das Wissen über das Gegenüber und dessen typische Kommunikationsroutinen angewiesen. Daraus können sich Irritationen ergeben, da man nicht weiß, ob das Gegenüber tatsächlich primär an einem schriftlichen Austausch interessiert ist, oder ob er es als Nebensache deklariert.

Erving Goffman, ein US-amerikanischer Soziologe, unterscheidet beim Thema „Interaktion im öffentlichen Raum“ analytisch zwischen „Kern- und Nebenengagement, wobei das untergeordnete Nebenengagement eine Ablenkung von der dominanten Aktivität darstellt“.

Wie sieht es nun aus, wenn keine Reaktion (Schweigen) auf eine WhatsApp Nachricht erfolgt?
Welche Bedeutung hat Schweigen im Rahmen dieser Kommunikation?


Der Bedeutung des Schweigens in der digitalen Kommunikation widmet sich seit Jahren Sina Lautenschläger, sie sagt: „Materiell gesehen ist Schweigen weder Schrift noch Schall, aber wir alle wissen, dass Schweigen etwas mit uns macht“. Lautenschläger unterscheidet verschiedene Formen des Schweigens. Schmollendes Schweigen etwa sei ein Mittel, um Macht zu erlangen. Darin stecke die Botschaft: „Du hast mir Unrecht getan, sieh zu, dass du das wieder in Ordnung bringst“. Schweigen könne aber auch ein Zeichen der Ohnmacht und Unterdrückung sein. „Um Dinge in unserer Gesellschaft zu verändern, muss man gehört werden. Wird einem dies verweigert, wird man zum Schweigen gebracht“.

Paul Watzlawick, Österreichischer Philosoph, Psychotherapeut und Kommunikationswissenschaftler, schreibt in seinem Buch „Menschliche Kommunikation“, Formen, Störungen, Paradoxien, Bern 1969: „Kommunikation ist immer zugleich Ursache und Wirkung. Man kann nicht nicht kommunizieren – auch wer schweigt, kommuniziert. Auch Schweigen ist Verhalten, und man kann sich nicht nicht verhalten. Und Schweigen kann nur, wer kommunizieren könnte. Alles was mitgeteilt wird – ob verbal oder nonverbal – löst beim Gegenüber eine Reaktion aus. Und diese Reaktion löst wiederum ein Verhalten beim anderen Gesprächspartner aus. Das Eine ist nicht ohne die Gegenseite denkbar“. Es ist demnach weder schwer noch unmöglich, auf eine WhatsApp Nachricht nicht zu antworten, also zu schweigen.

Die Bedeutung des Schweigens ergibt sich aber auch aus der Kommunikationsstruktur der Kommunizierenden selbst und den daraus folgenden Interventionsstrategien zur Beendigung des Schweigens.  Wenn ich mein Gegenüber kenne, also z. B. weiß, dass er/sie während der Arbeitszeit nicht auf WhatsApp-Nachrichten antworten kann, ist dies verständlicherweise von anderer Bedeutung (Still-Sein), als wenn eigentlich Zeit zu antworten erwartet werden könnte. Niklas Luhmann, deutscher Soziologe und Gesellschaftstheoretiker, schreibt in seinem Buch: „Die Gesellschaft der Gesellschaft“, (1997, S. 250) „Man kann sich dem Schweigen nur durch Abwesenheit entziehen. Wer aber anwesend ist, hat sich an der Kommunikation zu beteiligen, auch wenn er nichts zu sagen weiß. Dann kann es auch nicht so sehr auf Informationen ankommen, sondern vielmehr darauf, dass die Kommunikation überhaupt in Gang gehalten wird“.

Für Wolfgang Bergmann, dem deutschen Pädagogen, Familientherapeut, Journalist und Medienmanager, „entsteht Schweigen dort, wo Reden aufhört. Und es endet dort, wo Reden wieder einsetzt. Schweigen wird also durch Reden begrenzt“. Bezogen auf aufgezeichnete und transkribierte Face-to-Face-Kommunikation stellt Bergmann (1982, S. 167 ff.) für Schweigephasen im Gespräch insgesamt vier Interventionsstrategien fest, die das Schweigen des Gegenübers beenden sollen:

  1. Einfache Wiederholung
  2. Es kommt zu einer Korrektur des Gesagten, um so ein besseres Verständnis zu erreichen (Korrekturinitiirende Intervention)
  3. Klare und unmissverständliche Formulierung, die keinen Raum für Interpretation oder Zweideutigkeit zulässt (explizite Formulierung der Interpretation)
  4. Durch das Erkennen und Korrigieren der Frage, lernt der Kommunikator aus seinen Fehlern (selbstkorrigierende Intervention). https://www.sprechwissenschaft.org/wissenschaft/schweigen-digitale-welt

Bei einer F-t-F-Kommunikation im Gegensatz zur K-t-S-Kommunikation spielen u. a. folgende Verhaltensweisen eine Rolle:

  • Man kann in einem Gespräch nicht ohne Körpersprache kommunizieren.
  • Hier gilt auch, dass Schweigen ein kommunikativer Akt ist.
  • Klang der Stimme, Betonung, Lautstärke, Sprechmelodie, Tempo und Klangfarbe sind wichtige Informationen.
  • Ebenso wie Gesichtsausdruck, Blick, Verhalten im Raum, Körperhaltung und Gestik.
  • Wortwahl, Sprechausdruck und körperliche Signale ergeben ein Kommunikationsgesamtbild.
  • Harmlose Worte können abschätzig klingen, wenn sie von entsprechenden körperlichen Signalen begleitet werden.
  • Stimmen körperliche Signale und Gesprochenes nicht überein (inkongruent), wird das Körperliche als glaubwürdiger wahrgenommen (Thilo Hagendorff, 2018, Reden und Schweigen). 

Durch Änderung der Verhaltensweisen können relativ einfach, spontan und ohne Zeitverzögerungen, Kommunikationsinhalte geändert werden, damit sie den Erwartungen entsprechen. Ich habe deshalb diese Interventionsstrategien bei der F-t-F-Kommunikation erwähnt, weil Lautenschläger in ihren Forschungen zu dem Ergebnis kommt, dass diese Kommunikationsstrategien, obwohl sie in einer anderen Kommunikationsform erhoben wurden, sich teilweise durchaus auf die K-t-S-Kommunikation übertragen lassen. Sie ergänzt sie durch einen weiteren wichtigen fünften Punkt: „Das Zurückschweigen“.

Generell kann gesagt werden, dass die Kommunikationsstruktur der „analogen“ im Gegensatz zur „digitalen“ Welt anderen Gesetzen folgt, sich aber durch die weiter fortschreitende Entwicklung der Messenger Plattform WhatsApp (Nachrichten, Videos, Sticker, Sprachnachrichten, aber auch Face-to-Face-Telefonate) sich beide Kommunikationssysteme immer mehr annnähern, ebenso die Kommunikationsstrategien, die Zeitverzögerung scheint der gravierendste Unterschied sein. Natürlich entscheidet jeder Einzelne, wann und in welchem Kontext (z. B. bei Beschwerden und Konflikten) er /sie lieber eine F-t-F Kommunikation möchte, oder eine K-t-S-Intervention für besser hält.

Bitte lassen Sie sich von den zahlreichen Gedankengängen zur digitalen Kommunikation weiter anregen in Teil II!