Von Heiner Schwens
Schweigen in der digitalen Kommunikation ist ein Thema, das einen immer wieder beschäftigt. In einer Welt, in der wir ständig online sind und unsere Gedanken und Gefühle über soziale Netzwerke teilen, scheint es manchmal schwierig, das Schweigen zu wahren. Aber warum ist das Schweigen andererseits auch wichtig? Es ermöglicht uns, innezuhalten und nachzudenken, bevor wir etwas sagen oder schreiben. Es gibt uns die Möglichkeit, unsere Worte sorgfältig zu wählen und sicherzustellen, dass wir das Richtige ausdrücken. Schweigen kann auch Raum für Reflexion und Selbstfindung schaffen, es muss nicht immer zunächst negativ gedeutet werden.
In der digitalen Welt scheint es jedoch, dass das Schweigen oft übersehen wird. Wir sind so daran gewöhnt, sofort zu antworten oder unsere Meinung zu teilen, dass wir manchmal vergessen, dass es auch in Ordnung ist, nichts zu sagen. Wie wir gehört haben, kann Schweigen genauso mächtig sein wie Worte. Lasst uns das Schweigen in der digitalen Welt wertschätzen. Lasst uns lernen, dass es in Ordnung ist, nicht immer sofort zu reagieren. Lasst uns Raum für Gedanken und Reflexion schaffen. Denn manchmal ist es besser, nichts zu schreiben, als etwas mitzuteilen, was wir später bereuen könnten. Lasst uns das Schweigen in der digitalen Kommunikation nicht unterschätzen. Es kann uns helfen, uns selbst besser kennenzulernen und unsere Beziehungen zu stärken.
An drei Beispielen lassen sich unterschiedliche Kommunikationsprozesse (Kommunikationsverhalten und Kommunikationserwartungen) bezogen auf das Schweigen bei WhatsApp Nachrichten verdeutlichen.
Im Beitrag “Schweigen in einer digitalen Welt” sind drei Abbildungen, zur „Metakommunikation über Schweigen. Das erste Bild, frei übersetzt, drückt die Verwunderung aus, dass es offensichtlich leichter ist, mit all den “Gänsen” einen Chor zu gründen, als auf eine WhatsApp Nachricht zu antworten. Die Bilder 2 und 3 zeugen von einem anderen Kommunikationsverhalten. Bild 1: eine zwinkernde junge Frau lässt wissen: „when he waits 3 hours to text back so you wait 3 days“; Bild 2: ein Frosch erklärt dieses Spiel für zwei Spieler, im Sinne von, “man solle sich ruhig Zeit mit der Antwort lassen, wenn man selber gewartet hat”. Bei der Interpretation der Bilder 2 und 3 handelt es sich offensichtlich um die Entwicklung eines „Machtspiels“, das seine eigenen Spielregeln hat, wobei es Sieger*innen und Verlierer*innen gibt, nach dem Motto: „Wer länger schweigt, gewinnt“.
Es entsteht auf der Metaebene ein kommunikativ bedeutsam interpretiertes Schweigen, Bergmann spricht hier von Redezugvakanz. Eine Redezugvakanz kann eine Pause sein, ein Zeichen für Nachdenklichkeit oder Zögerlichkeit. Sie stellt keinen zu vermeidenden Abbruch oder Lücke von Kommunikation dar. Positiv gesehen kann die Redezugvakanz sogar als ein wesentlicher, produktiver Bestandteil eines interaktionalen Prozesses aufgefasst werden. Beim Empfänger (Rezipient) geht man davon aus, dass er/sie sich informieren will und/oder informiert werden soll. Dabei spielt es bereits eine aktive Rolle, dass er/sie aufnahmebereit ist. Das Verstehen und die Interpretation der Botschaft (Rezeption) bleibt erkennbar noch aus.
„Die Interpretation des Schweigens dient in diesen Fällen der „Autopoiesis der Kommunikation“ (Luhmann/Fuchs, “Reden und Schweigen”). Was versteht man darunter? Autopoiesis im Kontext des Schweigens kann als ein Prozess verstanden werden, bei dem das Schweigen selbst aufrechterhalten und reproduziert wird. Dies kann auf verschiedene Weisen geschehen. Zum Beispiel kann in einer Gruppe oder Gesellschaft das Schweigen zu bestimmten Themen durch soziale Normen und Erwartungen aufrechterhalten werden. Individuen können sich selbst zensieren und dazu beitragen, das Schweigen zu reproduzieren, um Konflikte zu vermeiden oder soziale Harmonie zu bewahren. In diesem Sinne kann das Schweigen als ein autopoietisches System betrachtet werden, das sich selbst organisiert und erhält.
Ein Kontaktabbruch soll aber nicht angestrebt werden, vielmehr geht es um ein Ausbalancieren zwischen Schreiben und Schweigen, zwischen Zuwendung und Ignorieren; ein stiller Kampf, der über Sieg und Niederlage entscheidet. Die o. g. Beispiele (2. und 3. Bild) könnten allerdings auch als „Häsitationspause“ (so wie etwa äh, ähm) innerhalb der Kommunikation gedeutet/erahnt werden, was bei der K-t-S-Kommunikation allerdings erkennbar schwierig zu deuten ist.
Die kommunikativen Erwartungshaltungen bei den beiden Bildern 2 und 3 gehen nicht nur von einem zeitlichen Rahmen aus, in dem eine Reaktion erwartet wird, sondern beklagt und bewertet das Verhalten des Gegenübers, es muss eine entsprechende Interventionsstrategie entwickelt werden, dieses Schweigen zu unterbrechen. Welche Möglichkeiten gibt dazu?
Sina Lautenschläger analysierte unterschiedliche Interventionsstrategien und kommt zu dem Ergebnis, dass es durchaus Parallelen bei der Beendigung der Schweigephasen zwischen der F-t-F Kommunikation und der digitalen K-t-S-Kommunikation gibt. Sie kommt bei der K-t-S-Kommunikation zu einer zusätzlichen Besonderheit, die wir eben erlebt haben: „Das längerfristige Zurückschweigen“. Bei den unterschiedlichen kommunikationsstrategischen Anwendungen wird immer davon ausgegangen, dass die erwartete Zeitspanne überschritten wurde, in der (Bergmann, 182, S. 158) die „normative Erwartung, dass der Gesprächsteilnehmer, der am Zug ist, seiner Redepflicht schon noch nachkommen wird“, nicht ausgeschlossen wird.
Analog zu Schweigephasen im Gespräch und den damit verbundenen Interventionsstrategien stellt Lautenschläger aufgrund eigener Untersuchungen fest, dass zwar „diese kommunikativen Phänomene in einer anderen Kommunikationsform erhoben wurden, sich diese Strategien, z. T. etwas modifiziert, auch auf die hier relevante KtS-Kommunikation übertragen lassen“. Bergmann begründet z. B. die Wiederholung (Face-to-Face) damit, dass die Äußerung inhaltlich beim Rezipienten nicht angekommen ist, und deshalb einer nochmaligen Formulierung bedarf, andererseits sieht der Sprecher seine Äußerung nicht als korrekturbedürftig an und wiederholt sie so, wie er sie zuerst formuliert hat.
Lautenschläger hat bei der K-t-S- Interventionsstrategie festgestellt, dass „Wiederholungen überwiegend nur dann vorkommen, wenn sie von einem reformulierten Text begleitet werden, damit soll eine Re-Thematisierung bezweckt werden“. Reformuliert ist ein Text dann, wenn er z. B. besser strukturiert ist, konkrete, statt abstrakte Inhalte ausweist. Bei einer weiteren Interventionsstrategie spricht S. Lautenschläger Fokussierungsaufforderung, über die das Schweigen beendet werden kann. Was versteht sie darunter? Dazu ein Beispiel: Ein Sender schickt einem Empfänger eine K-t-S-Botschaft. Durch die Antwort, die er vom Empfänger erhält, fühlt er sich nicht wahrgenommen, nicht verstanden, da die Antwort nicht auf ihn fokussiert ist. Der Empfänger scheint ihn nicht zu verstehen; die Erwartungshaltung des Senders wird enttäuscht, der Sender der Nachricht fühlt sich missverstanden, er schweigt. Hier ist das Schweigen so zu deuten, dass Betroffenheit vorliegt, evtl. Kränkung oder schlichtweg Ignoranz. Eine einfache Wiederholung der Message würde in diesem Fall nicht mehr ausreichen, das Schweigen zu unterbrechen.
Wenn der Empfänger auf das Schweigen z. B. mit: „Bist du jetzt sauer?“ reagiert, „lässt dies Rückschlüsse darauf zu, wie der Empfänger das Schweigen einschätzt“; er weiß also, dass irgendetwas nicht OK ist. Sendet jetzt der Empfänger z. B. nur zwei Fragezeichen (??) als Rückmeldung, können diese als Fokussierungsaufforderung verstanden werden. Der Kommunikator (Sender) könnte darin eine Aufforderung sehen, die erste K-t-S – Message nochmals „korrekturinitiierend“ geändert zu formulieren in der Hoffnung, dass der Rezipient (Empfänger) nicht absichtlich ignorant war. Generell gilt, dass alle Interventionsstrategien bei der K-t-S Kommunikation nur einem Zweck dienen, die „Redezugvakanz“ zu beenden und das Gegenüber dazu zu bewegen, sich entsprechend zu melden.
Also, lasst uns gemeinsam schweigen und die Kraft des Schweigens in der digitalen Welt erkunden. Das Schweigen in seiner negativen Bedeutung sollte keinen Raum mehr bei der digitalen Kommunikation haben.