Es ist Zeit für etwas Neues. Das macht sich in zahlreichen Neuauflagen in der Musik, aber auch in Filmen bemerkbar.
Klar, dass auch das Leben der österreichischen Kaiserin Sissi eine Neuauflage braucht. Das Kostümepos, das Tausende von Menschen seinerseits zu Tränen rührte, soll jetzt durch ein neues Frauenbild ‚aufgehübscht‘ werden. Zeitgeist und Serienkultur verlangen heute weniger sanfte Erotik, als exzessiven Sex und trotzdem ein bisschen Romantik dabei.
Sissi war für ihre Zeit für viele Mädchen prägend, gerade weil die Figur auch rebellisch war. Viele junge Frauen identifizierten sich mit ihr, einmal Prinzessin sein, wundervolle Kleider tragen, eine Liebesbeziehung leben. Sissi steht auch heute noch für Geschlechterinszenierung, die in der Phantasie ausgelebt wird.
Wie wird die neue Filmreihe von einem männlichen Zuschauer bewertet?
Liebes UniWehrsEL,
guten Morgen, zu Weihnachten kommt traditionell im Fernsehen die Filmreihe Sissi mit Romy Schneider. Da dachte sich RTL wie wäre es denn einmal mit einer Neuverfilmung in Serie. Diese hatte ich mir aufgezeichnet und nun angeschaut. Grund dafür war, dass Teile der neuen Serie in Bad Kissingen und in der Residenz Würzburg gedreht worden sind. Das weckte mein Interesse, weil ich beide Orte kenne und auf die filmische Inszenierung gespannt war. Die alte Sissi Verfilmung habe ich zuletzt als Kind gesehen. Also gab es keine Vorbelastung, dass ich mich noch besonders gut an die Sissi Filmreihe erinnern konnte.
Schon die ersten fünf Minuten der Neuverfilmung – wohlgemerkt ab 12 Jahren – beginnen mit einer vom Zuschauer nicht erwartbaren Szene: nämlich Sissi wird bei einer angedeuteten Selbstbefriedigung von ihrer älteren Schwester ertappt und die Frauen führen anschließend ein sexuell anzügliches Gespräch am Küchentisch darüber. Warum die Regie ausgerechnet mit dieser Szene in die Serie startet, darüber kann ich nur Vermutungen anstellen. Die Sissi Filmreihe ist in einer Zeit gedreht worden, in der sexuelle Anspielungen in Filmen gar nicht vorkamen. Daher hat Sissi vielleicht beim Regieteam ein biederes Image und deshalb inszeniert die Regie bewusst einen Bruch mit diesen alten Filmproduktionen.
In einer weiteren Szene reitet Sissi ein wildes Pferd ein. Sissi geht nicht unvorbereitet in die Hochzeitsnacht mit Franz, sondern schaut sich verschiedene erotische Stellungen auf Tarotkarten an.
Nachdem Sissi mitbekommen hat, dass Franz regelmäßig Damenbesuch aus dem horizontalen Gewerbe empfängt. Zudem reist Sissi Franz allein nachts hinterher. Er geht ins Bordell und Sissi mietet sich seine Prostituierte. Sie soll Sissi kurzerhand in die Welt der männlichen sexuellen Wünsche einführen und sie aufklären. Dazu muss die Prostituierte Sissi als Hofdame in spezieller Mission begleiten. Es entsteht so ein inniges (Liebes-)Verhältnis zwischen der Sissi und der jungen Prostituierten. Als Sissi ihr Kind verliert, hat sie mit der Prostituierten Tröstungssex.
Neben Sissi wird auch Franz ganz anders dargestellt. Er erleidet in seinem ersten Kampfeinsatz ein Trauma und wird verflucht. Das erinnert an Shakespeares Macbeth, der auch mit seinen persönlichen Dämonen kämpft. Ein liebevoller Partner an der Seite von Sissi ist dieser Franz sicher nicht. Er führt Krieg, ist dabei dauerhaft schlechter Laune und missmutig. Dazu mischt sich seine Mutter auch noch dauernd in die Beziehung ein. Sehr romantisch ist das nicht.
Nach verlorener Schlacht geht es zum Abreagieren zu Prostituierten. Die Darstellung des Franz erinnert mich an die Skandalverfilmung „American Psycho“ um 2000. In dem Film geht es um einen Investmentbanker, der sich in seinem Beruf langweilt und deshalb anfängt willkürlich Prostituierte zum eigenen Vergnügen zu misshandeln und später als Kick umzubringen. Dieses Ritual der Ermordung benennt er mit „Zurückbringen von Videos“. Zu dieser Figur des Investmentbankers sehe ich in der Darstellung des neuen Franz durchaus Gemeinsamkeiten. Zwar misshandelt Franz keine Frauen direkt, aber er widmet sich ausschließlich seinem persönlichem Vergnügen wie im Film „American Psycho“. Auch Politik wird zu einer persönlichen Racheaktion gegen Napoleon und Kampf mit seinen eigenen Geistern. Da stört Sissi eigentlich nur dazwischen.
Sissi zeigt sich mit ihrer bereits erwähnten Schwester wenig solidarisch. Sie spannt der Schwester den vorgesehenen Partner Franz aus und es herrscht zwischen den Frauen das, was RTL im Boulevard als „Zickenkrieg“ bezeichnen würde. Da fällt die Sissi Neuverfilmung in alte Geschlechterrollenbilder, wenn es Frauen darum geht, die Gunst von Männern zu gewinnen, ist alles erlaubt. Auch dann wenn diese Männer eher eine düstere psychopatische Ausstrahlung haben, nicht loyal gegenüber anderen Frauen sind, weil der Mann mit Stellung (Kaiser) einen Wert an sich hat.
Was bezweckt die Regie mit dieser Sissi Neuinterpretation?
Die gezeigten Szenen sollen Sissi als rebellischen Geist zeigen. Sie soll kein vermeintliches Püppchen wie Romy Schneider sein, sondern eine Abenteuerin. So wie Sissi in der Neuverfilmung dargestellt wird, wäre früher ein männlicher Seefahrer wie Sindbad dargestellt worden. Dieser geht seine eigenen Wege, unbeirrt und allen Widrigkeiten zum Trotz.
Nur dass diese Rollenbeschreibung in Sissi nicht von einem Mann, sondern eben von einer Frau dargestellt wird. Die Art der Heldendarstellung bleibt gleich, nur das Geschlecht wird ausgewechselt.
Kurz vor Ende der Reihe zeigt Sissi dann auch noch ihr diplomatisches Geschick, indem sie die beiden männlichen Streithähne Franz und Napoleon an den Verhandlungstisch bringt und hinter dem Rücken von Franz politische Bündnisse schmiedet.
Die Botschaft ist klar, Sissi ist Friedensengel und Powerfrau.
Und wenn Sissi das kann, dann kann das jede Frau, nämlich zur Heldin werden.
Wieder ein ganz anderes Bild als das hier beschriebene zeigt das Interview mit der Hauptdarstellerin Dominique Devenport