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David Gieselmann hat sich in der „Villa Alfons“ des Wirecard Skandals angenommen und schwierige Finanzbegriffe allgemein verständlich erklärt. In unserem Beitrag  Schwarzer Humor berichteten wir darüber. Nun hat Tom Lanoye mit seiner „Königin Lear“ ein Bühnenexperiment gewagt, das mit den Themen Macht und Geld gänzlich anders umgeht. Shakespeares „King Lear“ wird in die Neuzeit versetzt. Statt drei Töchtern, die das Vertrauen des Vaters erwerben sollen, gibt es nun drei Bürgersöhne, die sich den Mutterkonzern aufteilen.

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Bezüge zur scheidenden Kanzlerin Angela Merkel sind da vom Staatstheater Darmstadt nicht ganz zufällig gewählt worden. Die alte Konzernleiterin muss gehen, und schon beginnt der Kampf um Macht und Geld und das geteilte Wirtschaftsimperium.  Es beginnt ein Spektakel des Scheiterns und des Zerfalls einer Weltordnung, ein Umbruch und eine Zeitenwende, die zeitkritische Bezüge zur Corona-Krise in sich tragen soll.

Während Shakespeares »König Lear« von den tragischen Konsequenzen, des falschen Vertrauens erzählt und die Frage nach der größten Liebe einer Tochter zu ihrem Vater erzählt, erzählt „Königin Lear“ vom Alt- und Verrücktwerden einer Mutter und Firmenchefin, von drei Brüdern, die jeder auf seine Art und Weise versagen, von der Sprache des Geldes, die nur noch von einer Elite verstanden wird und dennoch die Welt aller Menschen beherrscht. Von der Kritik hoch gelobt, erreichte uns heute ein Leserbrief, den das Stück nicht ganz überzeugen konnte.

Liebes UniWehrsEL,

das Stück „Königin Lear“ ist eine Bearbeitung des bekannten Shakespearestoffes. Als erstes ins Auge fällt, dass der König zur Frau wird. Aus den drei Prinzessinnen werden drei Prinzen. Aus dem Narren wird eine Gebärden-Sprache-Übersetzerin. Der Autor des Stückes, Tom Lanoye, will zum Lear Stoff einen modernen Bezug herstellen. Daher verlegt er die Handlung weg von einem Königreich, hin zu einen familiengeführten Großkonzern.

Diese Überführung des Textes ist für den Zuschauer durchaus problematisch, denn Tom Lanoye führt nun Begriffe aus der Finanzwelt ein, wie z.B. Mikrokredit, Leerverkauf oder Short Selling. Das geschieht teilweise in schneller Sprache auf Deutsch-Englisch. Die Begriffe werden einfach vorausgesetzt. Das ist eine andere Herangehensweise als bei dem Stück „Villa Alfons“, bei dem sich der Autor David Gieselmann sehr bemüht, die finanziellen Begriffe in der Affäre um den Dax-Konzern Wirecard klar zu benennen und somit auch Transparenz für den Zuschauer herzustellen. Beim Autor Tom Lanoye entsteht dagegen gewollt der Gegenentwurf. Es spricht eine „vermeintliche“ Finanzelite für den Zuschauer unverständliches Zeug. So entsteht der Eindruck beim Zuhörer, dass er nicht Teil dieses Kreises ist. Auf diese Weise fällt eine pauschale Ablehnung des Kapitalismus dem Zuschauer leicht. Noch dazu wenn die Inszenierung klare Feindbilder definiert. So ist im Hintergrund an einer Stelle eine brennende Finanzmetropole „Frankfurt“ zu sehen. Im zweiten Teil des Abends begegnet die Königin in einer Szene in einem wüsten Hinterhof in einem schrottreiferen Auto ein schlechtrasierter Mann, der vor sich dahinbrabbelt. Ist er Opfer des Kapitalismus geworden oder einfach nur ein Verrückter?

In der Inszenierung ist Königin Lear keinesfalls verrückt, sondern hat vermeintliche „Demenzschübe“ oder spielt sie diese vor den Angehörigen? Dies ist je nach Szene vom Publikum interpretierbar. Das Stück entfaltet dann seine stärkste Kraft, wenn die Königin Lear in die Sprache von Shakespeare zurückfällt und es ganz klar der alten Dramaturgie folgt. Dann berührt die Hauptfigur den Zuschauer.

Eine weitere Ebene bringen die Kinder der Königin Lear in das Stück ein. Während es in der Shakespearevorlage um die Mächte zwischen drei Königreichen geht, sollen die Kinder in der Neubearbeitung auch noch an Selbstzweifeln und Versagensängsten leiden. Der älteste Sohn sieht sich selbst als Verschwender an. Er sagt über sich selbst, er könne Geld gut ausgeben, aber wisse nicht wie er welches verdienen könne. Der mittlere Sohn wird als unkommunikativer Zahlenmensch dargestellt. Er kann mit anderen nicht reden und flüchtet daher in die Welt der Zahlen. Kann aber diese doch nicht so deuten, dass er die Firma erfolgreich führen könnte. Der dritte Sohn ist ein Idealist, der mit kreativen Ideen dem Kapitalismus ein menschliches Antlitz geben will. Er kann gut Fehler von anderen erkennen und diese benennen. Leider kann er seine Ideen nicht in ein vernünftig-wirtschaftendes Finanzkonzept überführen. Er gehört zur Fraktion der idealistischen „Schwätzer“. Für diese ist im kapitalistischen System kein Platz. Er wird von seinem Bruder in der Konzernzentrale in die Tiefe gestürzt. Denn den Kapitalismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf, oder so ähnlich sieht es der Autor.

Zu den Söhnen gesellen sich noch zwei Frauen. Die eine reagiert auf die an sie gestellten Anforderungen mit Dauerkrankheit und späterer moralischer Entrüstung gegenüber dem kapitalistischen System. Die andere Frau hängt gedanklich in den 1930ern fest, sie möchte Mutter von Konzernerben sein und zwingt ihren Partner möglichst viel Sex mit ihr zu haben. Gerade die zweite Frauenrolle ist für ein heutiges Stück so gar nicht feministisch, sondern bedient alle Stereotypen einer Frau, die ihr Glück im Haushalt und in der Kindererziehung findet. Wenn man schon eine moderne Version von Königin Lear macht, warum dann eine Frauenrolle mit so viel rückgewandtem Charakterprofil?

Das Stück wurde bereits am Schauspiel Frankfurt aufgeführt. Dort entschied sich die Regie es stark zu kürzen; über eine Stunde Kapitalismuskritik fiel weg. Darmstadt wählt nun einen Gegenweg und bebildert die im Stück enthaltene Kapitalismuskritik ausführlich. Ob dadurch das Stück von Tom Lanoye verständlicher wird und ob seine Kritik berechtigt ist, liegt im Auge des Betrachters. Das Schauspielensemble Darmstadt gibt jedenfalls sein Bestes für den Zuschauer einen unterhaltsamen, vielleicht auch lehrreichen Abend zu gestalten.

Würdest du dir das Stück in dieser Version gerne ansehen?

  • Beitrags-Kategorie:Blog
  • Beitrag zuletzt geändert am:23. Januar 2022
  • Lesedauer:7 min Lesezeit