You are currently viewing Stille Tage im November – Florian Illies

Blätter fallen, schauen sitzen und schweigen. Ein kostbarer Moment, das Leben die Zeit zu genießen. Ich bin zuhause, Homeoffice, nicht raus müssen und trotzdem die Natur fühlen, wenn ich zum Fenster hinausschaue. Der November, ein wechselhafter, geschichtsträchtiger, ein ganz besonderer Monat, es regnet – Zeit zum Innehalten.

In der Literatur bin ich zuhause, fühle mich wohl, verbunden mit anderen Literaten, die sich so ihre Gedanken gemacht haben. Bedeutende Ideen, die ich nachempfinden, oft nicht selber beschreiben kann. Einer, den ich besonders bewundere ist Florian Illies, Autor, Journalist Kunsthändler und Historiker. Sein neues Buch „Zauber der Stille“ wurde in unserem laufenden Seminar zum gleichen Thema genannt, nimmt mich mit auf eine Zeitreise; Gedanken fließen über die Natur, die stillen Orte, die besonderen Menschen, die in ihr leben.  

Vergangenheit wird zur Gegenwart, in der Stille entstehen die abenteuerlichen Geschichten eines Caspar David Friedrich, Gedanken zu Sehnsucht, Romantik und Natur. Illies schickt uns auf eine Zeitreise der Sehnsucht und Gefühle. 250 Jahre deutsche Geschichte wird sichtbar.

Friedrich züchtete und zeichnete Kanarienvögel, das erfährt der Leser unter anderem bei Illies. Er beschreibt den deutschen Künstler der Romantik als “verschrobenen Spätzünder”, als “unglaublichen Kindskopf”, dessen Charme Illies irgendwann erlegen ist.    

Der selber zu großen Gefühlen fähige Friedrich bewunderte Johann Wolfgang von Goethe, ohne auf Gegenliebe zu stoßen. Korrespondenz zwischen Beiden, ja, aber keine Anerkennung, da half alles buhlen nichts. Friedrich bewarb sich auch mal um einen von Goethe in Weimar ausgelobten Preis, bekam ihn auch, konnte aber der Melancholie und Sehnsucht in Friedrichs Bildern nichts abgewinnen. Goethe wollte Antworten durch die Kunst, Friedrich wollte an sie Fragen stellen.

Das lädt ein zu einem kleinen Exkurs, jenseits der Recherchen Illies: Weimar ist stolz auf seine beiden bekannten Künstler. Friedrich (1774-1840) und Goethe (1749-1832) werden uns auch dort im nächsten Jahr begegnen. Vom 22. November 2024 bis 2. März 2025 zeigt die Klassik Stiftung Weimar die Sonderausstellung Caspar David Friedrich, Goethe und die Romantik in Weimar. Weimar war Friedrichs Ausgangspunkt, hier begegnete er Goethe, heißt es in der Ankündigung. Die Klassik Stiftung Weimar wirbt damit, den 250. Geburtstag Caspar David Friedrichs zum Anlass zu nehmen, in einer Sonderausstellung die Anziehungskraft zwischen Friedrich und Goethe in den Fokus zu rücken.

„In der Ausstellung werden Gemälde, Zeichnungen und Druckgrafiken von Caspar David Friedrich und Werke von Goethe sowie von Caroline Bardua, Carl Gustav Carus, Georg Friedrich Kersting, Philipp Otto Runge, Luise Seidler und weiterer Künstler*innen der Romantik zu sehen sein“.

Zurück zu Illies und dem wechselvollen Monat November. Draußen regnet es immer noch Bindfäden und ich blättere im Kapitel „November“ seines weiteren großartigen Buches „1913“. Im „Sommer des Jahrhunderts“, so der Untertitel, begann in Literatur, Kunst und Musik eine Zeit der Extreme. „Man kokst, trinkt, ätzt, hasst, schreibt, malt, zieht sich gegenseitig an und stößt sich ab, liebt und verflucht sich.“ Florian Illies lässt dieses eine Jahr in einem grandiosen Panorama lebendig werden.

Die Zeitreise Illies beginnt mit Albert Camus (geboren am 7. November) und seinem Drama „Die Bessesenen“, welches gerade im Thalia-Theater läuft. „Der Fremde“ lief über 10 Jahre sehr erfolgreich im Thalia Theater in der Gaußstraße. Jetzt inszeniert die Hausregisseurin „Camus’ meisterhafte Dialoge zwischen politischer Debatte, großer Situationskomik und tiefer Tragik. „Die Besessenen“ sei Ausgangspunkt einer modernen Untersuchung des Zustands zwischen Ohnmacht und Tatendrang, Ratlosigkeit und Zersplitterung: ein Hochdruckkessel.

Besonders hervorgehoben wird bei Illies im Kapitel “November” der 9. November 2013. Da wollten zum Beispiel Felice und Kafka wieder zueinander finden, was misslungen sei.

Oder auch am 9. November 2013 wurde in Berlin der Psychoanalytiker Otto Groß durch preußische Polizeibeamte nach Österreich ausgewiesen, dort vom Vater entmündigt und ins Sanatorium Tullinn eingewiesen. Ich recherchiere weiter: “Im Gegensatz zu Freud lagen (nach Groß) die Ursachen psychischer Störungen nicht im sexuellen Bereich, sondern in den gesellschaftlichen Verhältnissen. Sexuelle Konflikte sind danach ein „Produkt des Milieus, ein Ausdruck der Zeitverhältnisse und ihrer Rückwirkung auf den Einzelnen (…)“.

Dass der 9. November als Schicksalstag der Deutschen schlechthin gilt, wird nicht nur bei Illies hervorgehoben. Und wie kann es da anders sein, just an diesem Tag erhielt das UniWehrsEL auch einen Leserrief, den ich Ihnen nicht vorenthalten möchte.

Herzlichen Dank dafür! Gerade am heutigen 18. November, hier vor meinem Fenster, ist die Gelegenheit, in den Zeitreisezug mit einzusteigen:

Liebes UniWehrsEL,

stelle dir vor du hättest eine Zeitmaschine wie die Typen aus dem Spielfilm Zurück in die Zukunft. Einzige Bedingung für deine Reise wäre, dass du am 9. November landen müsstest. Also steigst du nun mit mir ins Zeitreisemobil und fährst an den 9. November 1848. Beim Aussteigen aus dem Auto triffst du auf den Abgeordneten Robert Blum. Er ruft gerade „Ich sterbe für die Freiheit“. Denn am 9. November 1848 wird der Demokrat in Wien von Truppen der Gegenrevolution erschossen. Es ist der Anfang vom Ende der sogenannten Märzrevolution in den Staaten des Deutschen Bundes. Leider war der ersten Demokratie, die in der Paulskirche in Frankfurt beschlossen wurde keine lange Zeit beschieden.

Deshalb setzen wir uns zurück in unser Zeitreisemobil und besuchen den nächsten 9. November 1918. An diesem Tag reif der stellvertretende SPD-Vorsitzende Philipp Scheidemann von einem Balkon des Berliner Reichstag die erste deutsche Republik aus und besiegelte damit das Ende des Kaiserreichs. Scheidemann kam seinem politischen Konkurrenten Karl Liebknecht zwei Stunden zuvor, der von dem Berliner Schloss die „frei sozialistische Republik Deutschland“ ausrief. Dass die Republik von zwei verschiedenen politischen Lagern ausgerufen wurde zeigt die Zerrissenheit in der jungen Republik. Diese machte es ihr schwer einen Rückhalt in der Bevölkerung zu haben.

 Nun schnell wieder in die Zeitmaschine. Diesmal landen die Zeitreisenden am 9. November 1923. Beim Ausstieg aus dem Zeitmobil begegnen wir Adolf Hitler bei seinem Marsch zusammen mit General Erich Ludendorff und weiteren seiner Anhänger zur Feldherrenhallen in München. Wir beobachten nun wie die bayerische Polizei den Marsch stoppt und damit den Versuch Hitlers sich gewaltsam an die Macht zu putschen vereitelt. Hitlers Partei wird in der Folge verboten und Hitler zu einer Haft von fünf Jahren verurteilt. Seinen Aufstieg an die Macht zehn Jahre später konnte die Haft jedoch verhindern.

Mit dem Zeitmobil geht es nun in eines der dunkelsten Kapitel der Deutschen Geschichte den 9. November 1938. Wir landen mitten in der Nacht des 9. auf den 10. November 1938. Wir beobachten wie die SA-Truppen und Teil der SS gewalttätige Übergriffe auf die jüdische Bevölkerung unternehmen. Nach einer Rede von Propagandaminister Goebbels kommt es zur Reichskristallnacht.

In dieser Nacht werden etwa 7.500 jüdische Geschäfte zerstört und über 1.200 Synagogen niedergebrannt sowie zahllose Wohnungen verwüstet. 91 Juden werden erschlagen, niedergestochen oder zu Tode geprügelt. 30.000 Menschen werden verhaften und in die KZs Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen verschleppt. Der 9. November war der Auftakt für die weitere Judenverfolgung im nationalsozialistischen Deutschland.

Nach diesen betrüblichen Ereignissen landet unser Reisegefährt nun am 9. November 1989. Es ist der Tag des Mauerfalls. Die Ostberliner machen sich zu tausenden auf den Weg zu den Grenzübergängen ihrer Stadt. Gegen 23:30 Uhr konnten die Grenzsoldaten den Andrang der Menschen nicht mehr standhalten und der Übergang wurde gewaltlos geöffnet. Es begann die Wiedervereinigung Deutschlands.

Natürlich wissen wir nicht, ob unsere Reise an die Tage des 9. Novembers damit endgültig abgeschlossen ist. Vielleicht kommt zukünftig noch ein weiterer 9. November dazu. Dies wird die Geschichte uns bald offenbaren. Bis dahin sollten wir uns an die fünf Ereignisse des 9. Novembers gemeinsam erinnern. Was hast du am 9. November gemacht?

Herzlichen Dank ebenso an das schöne Bild der stillen Tage im November an Stefan Schweihofer aus Pixabay!