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Stellen Sie sich vor, Sie warten auf den Weltuntergang. Wie würden Sie Ihre letzten Stunden verbringen wollen? Darum geht es in der Satire „Le Grand Macabre“ mit dem Text von Michael Meschke und György Ligeti nach Michel de Ghelderode, Uraufführung 1978. Ligeti feiert seinen 100 Geburtstag und die Oper Frankfurt führt deshalb diese ‚unaufführbare‘ Oper auf.

Dazu ein Leserbrief, der zum Schmunzeln einlädt. Vielen Dank dafür!

Liebes UniWehrsEL,

… Für bunte Kostüme und viel Humor ist gesorgt. Ich werde Ihnen den Schluss der Oper verraten. Der Weltuntergang fällt aus. Zurück bleiben die Figuren der Handlung, z.B. ein falscher Prophet, dessen Voraussage nicht eingetreten ist. Ist das nicht eine schöne Geschichte?  Die Inszenierung ist übrigens im Bewusstsein der Stadtpolitik Frankfurt angekommen. So besuchten drei Stadtverordnete die Premiere und regten sich über sogenanntes „Blackfacing“ auf: „weißer Darsteller malt sich das Gesicht schwarz an“. Der “schwarz-angemalte” Darsteller entpuppte sich jedoch als ägyptischer Gott Anubis, und der trägt ein schwarzes Gesicht. Also alles halb so wild. Satire ist nicht immer gut zu verstehen. Werde schauen, ob Anubis heute Abend kein bemaltes Gesicht mehr hat. Ligeti hätte bestimmt seinen Spaß an dieser kleinen Petitesse. Was meinen Sie?

Aber nun von Anfang an:

Die Oper „Le Grand Macabre“ beginnt, wie könnte es auch anders sein, mit einer Nachrichtensendung: ein großer Komet ist im Anflug auf die Erde – und dann macht es „rums“ – und wir, alle Erdenbewohner, sind tot. Als guter Arbeitnehmer erfahren wir diese Nachricht nicht im heimischen Wohnzimmer, wo es schön warm und nett ist. Wir erfahren dies auf der überfüllten Autobahn, mitten im Stau, auf dem Weg zur morgendlichen Arbeit. Zur Beruhigung der Bevölkerung ist die Polizei bereits abgehauen, nur ein leeres Polizeiauto zurücklassend. Wir, die Bevölkerung, ist also ganz auf sich selbst gestellt. Willkommen im „Le grand Macabre“!

Statt mit einer Ouvertüre wird der Zuschauer mit einem Autohubkonzert begrüßt. Das ist total nervig. Der Titelheld begegnet uns denn auch sehr realistisch. Er trägt den wunderschönen Namen Piet vom Fass und brüllt seine Mitmenschen aufgrund des Staus an. Sehr realistisch.

Unser Piet steigt nun aus dem Taxi aus. Er tut dies in unnachahmlicher Weise. Bekleidet nur mit einem weißen Bademantel und bewaffnet mit seinem nackten dicken Bauch und mächtig schlechter Laune. Piet trägt nicht nur den Namen Fass, sondern hat dieses bereits leergetrunken.

Der Opernkenner ist natürlich von Piet begeistert. Diese Figur ist ein Verweis auf Verdis Falstaff. Jener Trunkenbold der schon in Shakespeare Stücken für reichlich Lacher sorgte, sodass er, wie es sich für einen Antihelden gehört, sein eigenes Spin-Off in den lustigen Weibern von Windsor und in Verdis Oper Falstaff erhält.

Dieser ‚dicke Sack‘, eine liebevolle Umschreibung für den Titelhelden, trifft nun auf das lesbische Liebespaar Amanda/Amando. Mir fällt bei der Namensgebung ganz spontan C.G. Jungs Anima/Animus ein, als eine Partnerschaft die sich gerade in der herannahenden Krise (oder dem Umgang mit dem eigenen Schatten) wohl noch als unterstützend erweisen wird. In der Oper stehen diese, anscheinend bessergestellten Leute – gewöhnlich in einem schicken Cabrio durch die Gegend fahrend – im Stau. Amanda und Amando wollen den Weltuntergang einfach mit Liebemachen zu Ende bringen.

Die Überbetonung der freien Liebe ist wohl auch dem geschuldet, dass das Stück 1978 uraufgeführt worden ist. „Make love not war“ und freie Liebe erinnert spontan an „wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment“, das wohl noch gerade so in Mode war. Das würde irgendwie passen, denn das „Age of Aquarius“ oder „Wassermannzeitalter“ der Rockoper “Hair” würde ja passend zum anfangs angekündigten Weltuntergang auf den Anfang eines neuen Denkens oder eines völligen Wandels des bisherigen Denkens hinweisen.   

Doch so ein Stück, rund um eine Zeitenwende und Weltuntergangsfantasien, kommt nicht ohne Bösewicht aus. Diesen finden wir in der Rolle des Nekrotzar (wer denkt da nicht an Nebukadnezar). Nekrotzar ist ein fanatischer Anhänger der Vorstellung, dass die Welt untergeht. Auch das klingt verdächtig nach Lars von Triers „Melancholia“ und erinnert an unsere gemeinsamen Diskussionen im Seminar „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten …“ über die Melancholie in unsicheren Zeiten im Wintersemester 22/23.   

Passenderweise entsteigt Nekrotzar dem Autokorso per Leichenwagen. So kommt er als Leichenbeschauer zunächst noch ganz seriös daher, um dann seine Erzählung vom Weltuntergang unter die wartenden Fußballfans zu bringen. Schließlich wird fast an jedem Tag irgendwo Fußball gespielt, und es sind wohl immer und überall irgendwelche im Stau unterwegs. Da der Weltuntergang wohl am Morgen verkündet worden ist, befinden sich unter den im Stau wartenden keine Anzugträger bzw. keine mutmaßlichen Theaterbesucher. Möglicherweise sitzen die alle in der Deutschen Bahn fest, die in dieser Inszenierung leider nicht gezeigt wird, da der erste Teil auf der Autobahn spielt.

Im zweiten Teil des Stück sieht der Zuschauer das Innenleben eines Wohnwagens. Dort hat sich ein Pärchen im Wohnwagen eingerichtet. Zur Beruhigung der Nerven hat Astradamos LSD genommen. Ob das am Weltuntergang liegt oder an seiner anspruchsvollen Ehefrau Mescalina (auch hier wieder – nomen est omen!) bleibt der Interpretation des Zuschauers überlassen. Jedenfalls sind Astradamos und Mescalina von flauschigen Einhörnern und bösen Spinnen umgeben. Auch die Jugend wird im Weltuntergang gezeigt: Der Sohn ist glücklich, wenn er auf seinem Tablet Computerspiele spielen darf und ihn die Eltern in Ruhe lassen.

Auf einem großen Neonschild wird auf eine bevorstehende Party „Le Grand Macabre“ hingewiesen. Nekrozar beschließt auf die Party zu gehen und Piet vom Fass, Astradamos und Mescalina mitzunehmen.

Nach der Pause in der Oper befinden sich die Leute auf einer großen Hotelparty mit ausgefallenen Kostümen. Der Fürst Go-Go hat in rotem Totengewand zur Party eingeladen. Der Verweis auf die Party der Oper „Die Fledermaus“ ist offenkundig. Auf der Party begegnen uns Adam und Eva, Napoleon, futuristische Frauen. Kurz dem Auge wird etwas geboten. Es gibt einen Feueralarm. Irgendwo im Zimmer zählt eine Uhr die Stunden zum Weltuntergang runter.

Wie bei der Fledermaus endet die Oper im Champagnerrausch, nicht im Weltuntergang. Der bleibt aus. Die Bediensteten räumen alles wieder auf. Amanda und Amando hatten den Orgasmus ihres Lebens. Piet wird langsam nüchtern. Astradamos und Mescalina haben ihren Ehestreit angesichts des Weltuntergangs ruhen lassen. Nur Nekrotzar ist enttäuscht, weil der schwarze Tod nur als kostümierter Typ auftaucht, die Menschheit an sich aber verschont geblieben ist.

Und so endet diese Satire mit Friede, Freude und ohne Eierkuchen. Fazit: Wenn du vom Weltuntergang erfährst, befindest du dich hoffentlich nicht im Stau auf der Autobahn, sondern lieber in einer Suite im Hiltonhotel und feierst mit Freunden den Untergang, bis der Feueralarm ertönt oder die Putzkolone kommt. Sie macht dann schön sauber. Auf dass der nächste Untergang kommen mag.

Wie hätten Sie den Weltuntergang gerne begangen? Wie Piet mit einem Fass Bier oder in Liebe schwelgend wie Amanda/Amando, streitend wie Astradamos und Mescalina und einer ordentlichen Portion LSD, oder mit der Narrenkappe auf dem Haupt wie Nekrotzar? U.A.w.g.!

  • Beitrags-Kategorie:Blog
  • Beitrag zuletzt geändert am:30. November 2023
  • Lesedauer:8 min Lesezeit