Während wir Teilnehmer des Projektlabors im Semester im mehr oder weniger stillen Kämmerlein allein vor uns hin werkeln an Beiträgen für das ‚Zine‘ (kleines Magazin), das am Ende von 4 Semestern des Seminars „ÜberLebensKunst – das Projektlabor (Teil 4), neue Zugänge zu ‚unserer‘ Stadt öffnen soll, nutzen wir die vorlesungsfreie Zeit und die gelockerten Coronabeschränkungen zu Ausflügen in der Stadt. Es tut gut, sich endlich wieder einmal Live und in Farbe zu sehen. Auch wenn die Zoom-Treffen direkten Austausch ermöglichen und die Lernplattform OLAT weitere Kommunikationsformen anbietet, wird das ‚Treffen in Echt‘ von vielen herbeigesehnt und geschätzt.
Nun also nach einem Ausflug auf dem Main zur Besichtigung der Hochhäuser Frankfurts und der die Stadtteile verbindenden Mainbrücken, eine Führung auf dem Unicampus Westend. Für viele ein Ort, den sie aus universitären Veranstaltungen der U3L wie „Ein Haus taucht aus der Geschichte auf – vom Poelzig Bau zum Uni Campus Westend“ bereits kennen, der aber durch die sachkundigen Erläuterungen eines Mitstudierenden des Projektlabors neue Perspektiven zeigen wird. Auch ich bin bereits mehrfach im ‚Poelzigbau‘ gewesen und durch den wunderbaren Park spaziert. Aber nun schaue ich mit anderen Augen hin.
Wir treffen uns vor dem Haupteingang an der Südfassade des beeindruckenden Baus, der als Verwaltungsgebäude der IG Farben diente, einem 1925 entstandenen Zusammenschluss der wichtigsten deutschen Chemiefirmen. Der beigefarbene Travertin leuchtet uns trotz des zunächst noch trüben Sommerwetters freundlich entgegen. Das 250 m lange und 35 m hohe Gebäude wirkt aufgrund seiner Bauweise noch monumentaler als es ist. Dazu tragen zum einen die sechs Querflügel bei, die die längslaufende Fassade unterbrechen. Geschuldet ist dieser Eindruck zum anderen aber auch der sich nach oben hin stetig leicht verringernten Fensterhöhe. Wenn man es weiß, und wir wissen es dank der profunden Erläuterungen des Tour-Organisators, erkennt man die Unterschiede in den Fenstergrößen, die von unten nach oben kleiner werden. Dem Auge wird ein Emporwachsen des Hauses in die Höhe vorgetäuscht, das so nicht vorhanden ist. Da hatte der, der bei einer Sanierung 2000 baugleiche Fenster bestellte, wohl nicht genau hingeschaut. Diese Anekdote aus dem Wissensschatz unseres ‚Tour-Leiters‘ amüsiert uns.
Bei den weiteren Erläuterungen zum Gebäude werden aber auch die dunklen Verbindungen des Baus zur Nazizeit nicht ausgespart. Unsere Gruppe verharrt vor dem Norbert Wollheim Memorial. An diesem bin ich schon vorbeigeeilt und habe mich über die am Gebäude angebrachte Nummer gewundert. Zeit zum Stehenbleiben und zum Recherchieren, was es mit diesem Gebäude auf sich hat, habe ich mir nicht genommen. Nun erfahre ich, dass Norbert Wollheim ein jüdischer Zwangsarbeiter der IG Farben war, der das KZ überlebte und 1951erfolgreich den IG Farben Konzern in einem Musterprozess auf Entschädigung verklagte. Die über der Tür des Pavillons angebrachte Nummer ist die Häftlingsnummer von Norbert Wollheim. Im Park, um das kleine Gebäude unter Bäumen verteilt, finden sich Fototafeln mit Bildern weiterer Häftlinge aus dem KZ Buna/Monowitz.
Weiter geht es mit der Umrundung des Gebäudes und auch in der Geschichte. Nach der Kapitulation Deutschlands 1945 machten die siegreichen Amerikaner den Poelzig-Bau zu ihrem militärischen Hauptquartier. Die Rotunde, die heute den Studenten als Cafeteria dient, nutzte der damalige Oberbefehlshaber der amerikanischen Truppen in Deutschland Dwight D. Eisenhower als Garage für seinen Dienstjeep. Seine Gattin beschwerte sich angeblich über die als Kunst ausgestellte nackte Frauenfigur im Park, die auf ihr Drängen entfernt wurde, inzwischen aber wieder zurückgekehrt ist (Fritz Klimsch „Am Wasser 1931).
Nach dem umfangreichen Truppenabzug der Amerikaner aus Deutschland 1995 fiel das Gelände mitsamt dem Gebäude an den deutschen Staat zurück. Pläne das Gebäude als Sitz für die Europäische Zentralbank zu nutzen, zerschlugen sich. Zum Sommersemester 2001 wurde das Gebäude schließlich der Frankfurter Universität übergeben.
Unser Weg führt uns die Treppen hinauf am momentan leeren Wasserbecken vorbei zum Mensagebäude. Inzwischen ist die Sonne herausgekommen.Nach all der Geisteskost ist es nun Zeit für eine kleine körperliche Lockerungsübung. Einer der Mitstudierenden stiftet uns zu Tangoschritten an. Schon erklingen aus einer mitgebrachten kleinen Bluetooth Box Tangorhythmen. Es bedarf nicht viel Zuspruchs, die Musik zieht einen mit und die Tanzschritte. die uns vorgezaubert werden, ergeben sich so fast von allein. 20 Senioren fast im Gleichklang in Bewegung, so manchem Vorbeieilenden treibt das ein Lächeln ins Gesicht. Eigentlich wollte ich doch auch mal einen Tangokurs besuchen, ich sollte das wirklich in die Tat umsetzen.
Mit viel Gelächter und Geplauder machen wir uns nach dem Tanzintermezzo auf den weiteren Besichtigungsweg. Jetzt geht es in der Geschichte zurück, zu dem, was auf dem Gelände vor dem Errichten des Poelzig-Baus beheimatet war. An der zunächst an diesem Ort befindlichen psychiatrischen Klinik der Universität, die später auf das südliche Mainufer verlegt wurde, arbeitete Alois Alzheimer, der Auguste D. behandelte. Bei ihr diagnostizierte er als erster Patientin die Krankheit, die später nach ihm benannte wurde. Wir versammeln uns um seinen Gedenkstein. Ich schaue in nachdenkliche Gesichter um mich herum. Fragen sich manche vielleicht ebenfalls, ob sie irgendwann von dieser Krankheit heimgesucht werden? Denken sie an Verwandte, Freunde, die schon daran leiden? Natürlich stellt sich die Frage, warum nur des Arztes gedacht wird und nicht auch der Patientin, die ihm schließlich zum Ruhm verholfen hat. Dafür hat aber unser Guide gesorgt, denn er hat als Stifter ein Denkmal zur Erinnerung an Auguste D. initiiert, das natürlich Bestandteil unseres Rundganges ist.
Die Idee zu diesem Denkmal entstand bei ihm durch den zufälligen Fund von Porzellanscherben des Anstaltsgeschirrs die bei der Ausgrabung des sogenannten ‚Affensteinturms‘ zutage gefördert wurden. Man mutmaßt, dass dieser Turm den Eiskeller des Krankenhauses beherbergt hatte. Nun ruhen die Scherben unter einer Glasscheibe in einer Stahlkassette im Sockel des Kunstwerkes aus Stahl. Ich assoziiere Gedanken, die durch dieses oben und unten offene Behältnis davonfliegen. Auch die Wände des Kastens streben nach allen Seiten auseinander. Chaos im Gehirn, kein Halten der Gedanken?
An Adornos Denkmal vorbei, geht es zu unserer letzten Station, der Skulptur ‚Body of Knowledge‘, einem zusammengekauerten Körper mit großem Kopf, der aus Buchstaben von vielen Alphabeten gebildet wird. Noch eine kleine Tangoeinlage als Lockerungsübung am Schluss und die Führung ist zu Ende.
Ich mache mich angefüllt mit vielen Informationen und neuen Eindrücken auf einen nachdenklichen Heimweg. Dank an den Organisator und großartigen Wissensvermittler für die Erkenntnisse und Anregungen zum Nachdenken. Danke auch an den Tanz- und den Tonmeister, die den Rundgang mit der Anstiftung zum Tanzen um körperliche Erfahrung reicher werden ließen.
Herzlichen Dank an Dr. Anne Winckler für Ihren gelungenen Beitrag und Helmut Röll und Christel Enders für die Schnappschüsse (Helmut Röll hat alle, die er erreichen konnte, um Erlaubnis gefragt).