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Ein alter Mann und eine junge Frau, ein beliebtes Komödienmotiv kann man gerade im Bockenheimer Depot einmal ganz anders und überraschend erleben. Die als „erotischer Bilderbogen in der Art eines Kammerspiels“ angekündigte Oper „In seinem Garten liebt Don Perlimplín Belisa“ bietet ein selten gespieltes Werk von Wolfgang Fortner (1907-1987) nach Frederico Garcia Lorca. Die Besprechung der bunten Mischung aus Poesie, Surrealismus und tragisch-komischem Seelendrama mit zwölftöniger Musik darf in unserem UniWehrsEL nicht fehlen. Herzlichen Dank für den Beitrag!

Guten Morgen,

die Oper „In seinem Garten liebt Don Perlimplim Belisa“ von Wolfgang Fortner hat einen seltsam sperrigen Titel. Die Oper könnte ein typischer Komödienstoff sein. Es geht um einen älteren Mann, der sich auf Anraten seiner Haushälterin eine junge Ehefrau als Versorgung fürs Alter sucht. Der spanische Autor Lorca macht daraus ein Seelendrama. Der Alte fürchtet sich vor der Liebe zu der jungen Frau. Deshalb erfindet er einen jungen Mann im roten Mantel, der seiner frisch angetrauten Frau Komplimente in Texten macht. Dieser junge Mann entzieht sich Belisa. Das weckt aber ihre Neugier und ihre Sehnsucht nach einem Treffen mit dem geheimnisvollen Mann. Im Kern des Stücks geht es um Sehnsüchte, die nicht ausgelebt werden können. Das können alle möglichen Wünsche sein.

In diesem Stück sind sie erotischer und sexueller Art. Lorca geht davon aus, dass jeder Mensch Vorstellungen und geheime Wünsche in sich trägt, die er, wenn er darüber nachdenkt, wegen seines schlechten Gewissens nicht mit anderen teilen möchte. Es ist ein geheimer Teil der sagt, dies gehört nicht zu mir. Es passt nicht in unser allgemeines Wertesystem. Der Mensch schränkt seine Wünsche massiv ein. Er glaubt, es seien zerstörerische Wünsche. Deshalb werden diese Wünsche verdrängt. Für den Don ist es ein Schock sich selbst einzugestehen, dass er Belisas Körper heiß begehrt. Dieses Begehren steht im Widerspruch zu seiner Welt der Bücher. Er hält sich für intellektuell, nicht für einen alten Lüstling. Für sich hat er nie daran gedacht, zu heiraten. Diese Idee hat ihm die Haushälterin in den Kopf gesetzt. Dons Geheimnis bleibt, warum er trotzdem in die Heirat einwilligt; Belisa sagt, dass er sie liebt. Ob sich in der Hochzeitsnacht körperlich etwas zwischen den Beiden abspielt, lässt Lorca offen.

Im entscheidenden Moment erscheinen Kobolde und bedecken das Brautpaar. Die Kobolde, spanisch ‚los Duendes‘, sind Figuren aus der Folklore. Ein Kobold, ein Erdgeist, ein Puck, der dem jungen Lorca einen direkten Draht zur Kunst verschaffte.Sie besitzen eine dämonische Kraft. Die Kobolde stehen für eine weitere Ebene im Stück. Sie sind übernatürlich. Anfangs ist das Stück wie eine Komödie gestrickt, mit den Kobolden kommt eine weitere Ebene hinzu. Die Kobolde stehen für verdrängte Gefühle, die den Don und Belisa indrekt beeinflussen. Die Kobolde greifen nicht wie Teufel in das Geschehen aktiv ein. Sie stellen dem Don und Belisa keine Fallen auf. Sie treiben den Don nicht am Ende in den Selbstmord. Die Kobolde sind Beobachter. Sie schauen zu, was der Don und Belisa treiben. Sie sind das innere Chaos der Gefühle in den Figuren.

Lorca war mit dem Surrealisten und Maler Dali befreundet. Diese Freundschaft schlägt sich im Bühnenbild wieder. Der Zuschauer sieht keinen klassischen Garten, sondern eine Wüste mit Muschelschale. Es ist ein geschützter, abgeschiedener Raum, in dem der Don behütet lebt. Er und seine Bücher, die er sorgsam sortiert hat. Belisa ist deshalb ein Eindringling in diesen geschützten Raum. Der Raum verändert sich, indem in die Bücherwelt symbolisch ein Bett hereingetragen wird. 

Der Jüngling mit dem Mantel ist eine Phantasie des Dons, die er für Belisa erschaffen hat. Es gelingt dem Don durch seine Beschreibungen diesen Phantasie-Mann zum Leben zu erwecken. So weckt er eine große Leidenschaft in Belisa. Diese Seite hat sie an sich selbst noch nicht gekannt. Sie ist neu für sie. Belisa gerät ins Schwärmen, später in große Erregung als der Don ihr verspricht, den geheimnisvollen Liebhaber zu treffen. Es ist ein Spiel zwischen dem Don und ihr. Der Don treibt das Spiel so weit, dass er es nicht mehr zur Zufriedenheit von Belisa auflösen kann. Deshalb wählt er den Tod des imaginären Liebhabers seiner Frau. In seinem Kopf sind der Liebhaber und er selbst, ein und dieselbe Person. Darum muss er sich in seiner verschrobenen Logik am Ende selbst töten. Damit das Geheimnis um den imaginären Liebhaber gewahrt bleibt. 

In seiner Story greift Lorca ein Klischee aus der Romantik auf: Der Mann steht für den Geist. Die Liebe spielt sich geistig ab. Die Frau dagegen ist Körper. Mit ihrer Erfahrung über die Trauer um den vermeintlichen jungen Liebhaber sorgt der Don dafür, dass Belisa jetzt eine Seele hat. Denn in dieser Idee sorgt der Mann mit seiner Geisteskraft dafür, dass die Frau eine Seele bekommt. Um Belisa nicht als traumatisierte Frau auf der Bühne allein zurückzulassen, lässt die Regie Belisa am Ende den Garten verlassen. Sie ist also der Welt des Don entkommen. 

Mit seinem Don bezieht sich Lorca auf eine bekannte Figur der spanischen Literatur. Eigentlich verkörpert der Don einen ganz spezifischen Charakter. Durch seine Anspielungen in der Oper wird er zu einer vieldeutigen Figur. Die Oper ist oft widersprüchlich und geheimnisvoll. Es sind surreale Bilder. Ein Geheimnis ist keins mehr, wenn alles bereits leicht entschlüsselt werden kann.

Fazit die Oper behandelt ungelebte Sehnsüchte der Figuren. Sie gerät zu einer Farce, die den Zuschauer durch die Darstellung von unwahrscheinlichen oder extravaganten, dennoch denkbaren Situationen, unterhalten will. Eine Komödie zugleich, die menschliche Schwächen zur Schau stellt.  Mit verschiedenen Ebenen ist das Werk nicht leicht greifbar, und das macht den Reiz dieses Stücks aus.

Für Gartenfreunde ist das Stück vielleicht falsch. Es geht nicht um Pflanzenkunde oder die Schönheit des Gartens, sondern was sich in dem Garten abspielt. Es gibt bekanntlich den Garten Eden, aus dem Adame und Eva vertrieben worden sind. So ein Paradiesgarten ist auch hier gemeint. Nur dass der Don und Belisa für die Schönheit des Gartens nichts übrighaben, weil sie mit ihren ungelebten Sehnsüchten und Wünschen beschäftigt sind und deshalb ihre Umgebung um sich herum vergessen.

  • Beitrags-Kategorie:Blog
  • Beitrag zuletzt geändert am:8. April 2024
  • Lesedauer:7 min Lesezeit