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Händels Giulio Cesare spielt mit Leben, Emotionen, Intrigen und Action rund um die Affäre Cäsars und Kleopatras bei seiner Unterwerfung Ägyptens. Seit 1724 gilt dieses Musikdrama als ein Riesenerfolg, anders als vielleicht so manche andere der Händel-Opern. Viel Ausdauer braucht der Zuschauer im Frankfurter Opernhaus, dauert es doch immerhin vier Stunden, samt Pausen. Alles geht soweit gut aus, aber bis dahin ist es eben ein weiter Weg. Der Kulturbotschafter des UniWehrsEL hat ihn für uns beschritten. Sie haben noch bis 18. Mai 2024 dazu Gelegenheit.

Liebes UniWehrsEL,

ich habe die Vorstellung „Giulio Cesare in Egitto“ von Georg Fridrich Händel am 6.04.24 an der Oper Frankfurt besucht. Männer in Röcken mit hohen Stimmen. Würdest du das mit Macht verbinden? Normalerweise nicht. Ausnahme der Typ im Rock hieße Cesar und wäre ein Countertenor.

Während die Vorgängerinszenierung der Oper Frankfurt auf einem Filmset spielte und den Film Cleopatra mit Richard Burton und Elisabeth Taylor nachspielte, übrigens mit einer großen Portion Ironie, geht es in der Neuinszenierung von „Giuilio Cesare in Egitto“ in der Inszenierung von Nadja Loschky komplett ohne Humor zu. Im Zentrum dieser Neuinszenierung geht es um die Frage: wer hat die (politische) Macht in den Händen? Wer dominiert den anderen und unterwirft ihn?

Zu Beginn dieser Deutung sehen die Zuschauer den kopflosen Körper von Pompeius, dem Widersacher, in einer Glasvitrine sitzen. Ein schrecklicher Anblick. Besonders für Cäsar, weil er sich vorstellt, er könnte der Körper sein. Das jagt ihm Schauer über den Rücken. Schließlich weiß Julius Cäsar nicht, auf welche Weise das Schicksal ihn einst töten wird. Vielleicht hat er aber eine Vorahnung auf die Zukunft. Jedenfalls ist er nicht sehr begeistert von Tolomeo, dem Ägyptischen Herrscher. Tolomeo hat Cäsar dieses grausame Geschenk gemacht. Pompeius hinterlässt seine totunglückliche Frau Cornelia und den, in dieser Inszenierung deutlich erkennbar minderjährigen, Sohn Sesto.

Cornelia gerät durch den Tod des Gatten in doppelte Bedrängnis. Tolomeo und sein Heerführer Achilleus begehren beide Cornelia. Zu dieser Gemengelage gesellt sich Cleopatra. Sie wurde von ihrem Bruder um die Herrschaft betrogen und plant nun ihrerseits, den Römer Cäsar auf ihre Seite zu ziehen. So begegnet sie ihm in dieser Inszenierung zunächst im Kostüm einer Dienerin Lyra. Später inszeniert Cleopatra eine geschickte Verführungsszene. Sie lockt Cäsar in einen Garten mit prächtigen Früchten. In diesem Garten erwarten ihn verschleierte Frauen. Eine davon ist Cleopatra selbst. Bei diesem aufwendigen Spektakel sollte Cäsar quasi von selbst zu Cleopatras Geliebtem werden. Zurück bliebe dann ein verliebter Cäsar mit einem Schleier in der Hand.

Doch der Plan misslingt. Cäsar folgt zwar Cleopatra. Die beiden werden jedoch von Attentätern heimtückisch bedroht. Deshalb zweifelt Cäsar an der Loyalität dieser Lyra. Dies stürzt Cleopatra in Verzweiflung. Sieht sie doch ihre Trümpfe verfallen.

Derweil sinnt Sesto auf Rache für den Vater. Auch die ehrenvolle Beerdigung durch Cäsar kann Sesto nicht trösten. So verwandelt sich Sesto in einen Racheengel, der Tolomeo und Achilleus mit einer Pistole umbringt. Für Cornelia ist das keine Lösung. Denn sie hat den Sohn an die Rache verloren. So gibt es schließlich nur für Cäsar und Cleopatra ein musikalisches Happyend.

Die Regie interessiert an dem Werk die Frage: was ist ein Mensch bereit zu tun, wenn er in den Abgrund blickt. Wie verhält sich der Mensch unter existenziell bedrohlichen Bedingungen?

Neben der persönlichen Todesbedrohung der Figuren Cesar, Cleopatra, Cornelia, geht es auch um das Thema Liebe in unterschiedlichen Gewändern. Da ist zum einen die Liebe zwischen Mutter Cornelia und dem Sohn Sesto. Cleopatra wird ihrerseits von Nireno, einem Kammerdiener, bedrängt. Sie soll ihn heiraten und damit endgültig auf die Macht verzichten. Somit ist die inszenierte Liebe von Cleopatra zu Cäsar nur ein Versuch, einen Ausweg aus der Situation mit Nireno zu finden. Schließlich hat ihr Bruder sie vom Thron gestoßen und sie ist ins Exil geflüchtet.

In der Oper wird Tolomeo als völlig unberechenbar dargestellt. Seine Stimmungsschwankungen sind extrem. Daher steckt die Regie ihn in ein Gewandt mit Perlen. In einer Szene sitzt er auf dem Thron und Cornelia hat sich zu unterwerfen. Sie müsste die Stufen zum Thron erklimmen, um mit ihm auf gleicher Ebene zu sein. Statt zu ihr herunterzusteigen, lässt er sie von den Schergen niederwerfen. Er will sie total beherrschen. Als er dann doch den Thron verlässt, greift er zur Peitsche.

Sesto steht zunächst unter Schock. Um wieder ins Handeln zu kommen, schwört er seiner Mutter, den Vater zu rächen. Die Musik von Händel zeigt die Zartheit von Sesto. Bei Sesto stellt sich die Frage: wie reagieren Menschen, die Gewalt erfahren. Sorgt diese Erfahrung dafür, dass Sesto seine Gewalt reproduziert und so in eine Spirale gerät, in der ein Mord auf den nächsten Mord folgt? Es ist klar, dass Sesto nach dem Tod des Vaters zu einer anderen Person wird. Er begibt sich quasi auf eine innere Reise. Am Ende wird er zu einem Mörder. Um dies bildlich darzustellen trifft Sesto auf einen nur für ihn sichtbaren Fremden. Dieser gibt ihm Waffen in die Hand. Er wird sein Pate in der Gewalt. So hat dieser Vorgang etwas Poetisches. Er ist daher aber nicht weniger schrecklich, aber für den Zuschauer besser verständlich.

An einer Stelle wurde bereits beschrieben, wie Tolomeo sich gegenüber Cornelia verhält. Tolomeo hat aber ebenfalls eine Gewalterfahrung mit Cäsar. Dieser wird von Cesar in der Badewanne bedroht. Dies zeigt, dass auch Cesar eine düstere Seite hat. Auch er will sich mit seinem Verhalten die Macht sichern. Gütig zu Sesto und Cornelia ist er nicht aus eigenem Antrieb, sondern aus Kalkül. So will er die Wut des Sohnes auf den Mörder des Vaters lenken und von sich weg. Denn durch den Tod des Rivalen kann er seinen Machtanspruch endlich durchsetzen.

Nadja Loschky ist es gelungen, einen spannenden Opernabend zu zaubern. Schließlich will das Publikum vier Stunden lang unterhalten werden. Sie tut dies mit einem besonderen Bühnenbild von Etienne Pluss. Dabei wird das Bühnenbild mit einem Motor bewegt. So wandert das Bühnenbild ohne das der Zuschauer es merkt mit einem Laufband immer weiter. So entstehen interessante Räume, und so kann der Ortswechsel prima umgesetzt werden. Dabei entsteht kein Leerlauf. Es wird den Zuschauer wirklich viel geboten.

Die Kostüme von Spreckelmeyer sind ebenfalls originell. Wie bereits erwähnt, trägt Cäsar, genau wie seine Männer, einen Rock und manchmal Schmuck.

Die Figur der Cleopatra ist mit vielen Bildern in unseren Köpfen besetzt. Es gibt die Cleopatra aus den Filmen wie sie Elisabeth Taylor dargestellt hat. Cleopatra objektiv zu beurteilen fällt dem Zuschauer daher schwer. Sie wird in den Quellen von römischen und griechischen Autoren erwähnt. Diese zeichnen ein vernichtendes Urteil über sie. Eine Frau, die im Luxus und Dekadenz schwebt. Eine Frau, die Intrigen spinnt und eigene Interessen verfolgt. Die Regie versucht nun dieses negative Bild zu überschreiben, indem sie aufzeigt, in welcher misslichen Lage sich Cleopatra und Cornelia befinden. Die Regie spielt also die Mutter nicht gegen die ‚Singlelady‘ Cleopatra aus, sondern beide verhalten sich so, dass sie eine reale Chance haben, die politischen Machtkämpfe zu überleben. Cleopatra ist in dieser Deutung keine berechnende ‚Femme Fatale‘, welche die Männer gegenseitig ausspielt, sondern einfach eine Frau, die um ihre Existenz kämpft. Dies verbindet sie in dieser Inszenierung mit Cäsar. Er ist kein strahlender Held, sondern kämpft ebenso um seine Existenz. Cleopatra gibt ihm Hoffnung auf einen Moment des Glücks, bevor der Existenzkampf von Neuem beginnt.

In der Inszenierung sind römische Statuen zu sehen. Diese wurden von der Regie bewusst gewählt. Die Statuen zeigen nämlich, wie sich die Herrscher gerne selbst sehen: strahlend und glanzvoll. Bei den Statuen ging es nicht darum, die Wirklichkeit abzubilden, sondern sich selbst in gutes Licht zu setzten. Sie dienen also der Selbstdarstellung. So strahlend diese Statuen sind, so unsicher ist Cäsar bei seinem tatsächlichen Handeln. Daher werden die Figuren zu Cäsar in Kontrast gesetzt. Dies ist ein spannendes Spiel der Regie.

Herzlichen Dank für den spannenden Beitrag, mein lieber Kulturbotschafter, schön, dass Sie uns immer auf dem Laufenden halten! Und wie immer ein Dankeschön auch an Pixabay und in diesem Fall an ‘Coleur’ und den markanten Kopf Cäsars.

  • Beitrags-Kategorie:Blog
  • Beitrag zuletzt geändert am:11. April 2024
  • Lesedauer:9 min Lesezeit