Ein Theaterstück macht im Staatstheater Darmstadt gerade Furore: Dazu die Ankündigung: „Auslöschung“ ist der Titel einer Niederschrift, die Franz-Josef Murau in seinem letzten Lebensjahr in Rom verfasst hat und die Thomas Bernhard zugänglich macht. Diese Aufzeichnungen waren für Murau unumgänglich geworden, da in ihnen ein Thema im Zentrum steht, das seine ganze Existenz zerstört hat, nämlich seine Herkunft. Dieser „Herkunftskomplex“ lässt sich mit dem Namen eines Ortes bezeichnen: Wolfsegg. Hier ist Murau aufgewachsen, hat er den Entschluss gefasst, dass er, will er sich, seine geistige Existenz retten, Wolfsegg verlassen muss. Obwohl er deshalb beabsichtigt, Wolfsegg zu meiden, muss er dennoch dorthin reisen: seine Eltern und sein Bruder sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Dieser erneute Wolfsegg-Aufenthalt macht Murau deutlich, daß er sich von Wolfsegg endgültig lösen muss. Er fasst den Entschluss, über Wolfsegg zu schreiben, und zwar mit dem Ziel, das in diesem Bericht „Beschriebene auszulöschen, alles auszulöschen, das ich unter Wolfsegg verstehe, und alles, das Wolfsegg ist“. Ganz klar, dass unser Kulturbotschafter seine Erlebnisse damit für uns zusammenfasst. Danke und lesen Sie selbst:
Liebes UniWehrsEL,
Gestern Abend war die „Auslöschung“ von Thomas Bernhard im Stil des Theatermachers. Also ein großer Monolog des Hauptdarstellers. Dieser Eindruck wurde noch verstärkt, dadurch dass die Hauptfigur Franz-Josef Murau, gespielt von Daniel Scholz, die Rolle seines Freundes Gambetti auch noch übernommen hatte, weil der Schauspieler des Gambetti kurzfristig erkrankt war. Ebenfalls verhindert war die Schwester Amalia, die kurzfristig von einer anderen Schauspielerin verkörpert wurde. Was tut man nicht für eine total ausgebuchte Vorstellung.
Zum Inhalt Murau: ein Privatgelehrter muss sich nach dem plötzlichen Unfalltod seiner Eltern mit deren Vergangenheit beschäftigen. Dabei werden Kindheitserinnerungen wach. Murau rechnet in seinem pointierten Monolog mit der Nazivergangenheit seiner Familie ab und mit ihrem katholischen Glauben und der katholischen Kirche insbesondere.
Um seine Familienbande zu zerreißen, will er ein Buch mit dem Titel „Auslöschung“ schreiben. Im ersten Teil des Abends befindet er sich im Exil in Italien. Im zweiten Teil trifft er auf seine Schwestern Amalia und Caecilia mit denen er nichts verbindet. Sie waren auf der Seite der Eltern.
Auf der Beerdigung trifft Murau auf den aus Rom angereisten Erzbischof Spadolini, der das soziale Engagement seiner Eltern in höchstem Maße lobt. Aus Muraus Sicht waren seine Eltern keine Ehrenleute, sondern dem Opportunismus verfallen. Besonders seine Mutter diente sich den Nazis und später den amerikanischen Besatzern an. Sie drehten ihr Fähnchen nach dem Wind.
Nach dem Tod könnte Murau so weiter machen, vermacht sein Erbe das Schloss an eine jüdische Gemeinde.
Was kann der Zuschauer aus Auslöschung – ein Zerfall lernen?
Auslöschung ist der letzte Roman von Thomas Bernhard. In der Einleitung zum Stück erzählte der Schauspieldirektor von Darmstadt, Oliver Brunner, daß er von diesem Roman fasziniert ist.
Deshalb war es sein Herzenswunsch aus dem Buch eine Fassung für die Bühne zu schaffen. Die Bühnenfassung ist von Felix Metzner. Er führt gleichzeitig auch Regie. Der Text wird also nicht nur gelesen, sondern auch bebildert. Am Anfang sieht der Zuschauer den Unfall in einem Film. Dieser ist schwarzweiß gehalten. Der Film bleibt in Andeutungen zum Unfall. Danach sieht man Murau im abgedunkelten Studierraum. Es erinnert fast an Faust der mit sich ringt.
In einem Moment sitzen die verstorbenen Eltern gesichtslos auf einer Bank, später zieht Murau einen Vergleich zwischen Jägern und den Nazis. Ein Jäger verfolgt seine Beute. Der Nazi verfolgt den, der nicht in sein Bild passt. Sehr lange spricht Murau über das Schloss Wolfsegg, sein Erbe.
Bildlich wird an dieser Stelle ein Puppenhaus mit Anbau gezeigt. Im Programmheft ist das Schloss abgebildet. Eigentlich könnte Murau auch eine Kindheit wie ein Prinz im Märchen gehabt haben.
Mit neun endete das Märchen jedoch, und er wurde diszipliniert. In diesem Moment versucht Murau sich mit einem Eimer selbst zu foltern.
Und zum Schluss noch einen Auszug aus der Kritik der FR: “Mit „Auslöschung“ erschließt Metzner die vielleicht beste Bernhard-Prosa. Den Bernhard-Schmäh mildert er in neunzig pausenfreien Minuten so ab, dass er im inneren Monolog der Hauptfigur, teils auf Figuren verteilt, nie lästig wird. Von Bernhards Literaturbezügen bleibt vor allem einer: „Die Deutschen nehmen Goethe ein wie eine Medizin… philiströser Schrebergärtner… Totengräber des deutschen Geistes… gegen die Stücke Shakespeares wie ein Schweizer Sennenhund gegen einen Frankfurter Vorstadtdackel. Hölderlin ist der große Lyriker, Musil der große Prosaschreiber und Kleist der große Dramatiker. Goethe ist es dreimal nicht.“ Andere Tiraden widmen sich so würdigen Themen wie dem Selchfleisch”.
Liebe Grüße vom Kulturbotschafter