Was geht verloren in einer Welt, in der scheinbar alles immer nur besser wird?
Diese Frage stellt sich der junge Regisseur und Autor Wilke Weermann im Schauspiel Frankfurt in seinem Stück „Unheim“. Weermann geht es um dystopische Zukunftsentwürfe der Unterhaltungsmedien und den schwarzen Topoi der Romantik. Seine Hauptfigur Ira ist Ermittlerin für anormale Phänomene und spürt unheimlichen Vorkommnissen hinterher.
Sie beginnt in „Arcadia“ zu ermitteln.
Die eher technikresistente Ira, zu den wenigen vollbio-analogen Menschen gehörend, braucht Geld. Mit frischen Implantaten in der Hörschnecke und unter der Augenhornhaut versucht Ira bei den drei Bewohnern eines virtuellen Wohnhauses namens Arcadia, einem Spuk auf die Spur zu kommen. Bislang konnte man sich trotz gleichzeitiger Anwesenheit weder wahrnehmen noch in die Quere kommen. Nun aber ist da plötzlich doch etwas zu vernehmen. Ist da vielleicht die Technik eines ausgezogenen oder verstorbenen Vormieters noch nicht abgeschaltet worden? Oder ist der Hochhaus-Nachbar, dessen Post aus dem Briefkasten quillt, wirklich auf Reisen? Ira schürft tiefer und wird fündig.
Dazu ein Leserbrief:
Liebes UniWehrsEL,
es ist Herbst, und was passt besser in die Jahreszeit als eine schöne, schaurige Gruselgeschichte. So eine bietet gerade das Schauspiel Frankfurt mit dem Stück “Unheim“ an.
In dieser Zukunftsgeschichte wird eine Geisterjägerin beauftragt, ein Haus Geisterfrei zu machen. Klingt ein wenig nach Ghostbusters? Diese Geisterjägerin verdient ihr Geld damit, Spuren verstorbener Körper aus den Speichermedien und Algorithmen der digital-realen Welt zu entfernen. Im Laufe der Ermittlungen stellt sich die Hauptfigur Ira die Frage, wo verläuft die Grenze zwischen Leben und Simulation, Leben und unbelebten Maschinen, Leben und Tod?
Dieser Eindruck ist sicher gewollt. Das Bühnenbild ist außergewöhnlich. Die Idee des Teams, ein Computerspiel aus den 1990er zu bauen, ist so cool. Die Schauspieler bewegen sich wie Computerspielfiguren. Sie reden auch manchmal so. Tiefgründig wird die Frage nach der Seele gestellt – einer Idee aus dem 19. Jahrhundert. Kann auch ein Computer eine Seele haben? Schließen wir unsere Erinnerungen auf Festplatten ein?
In diesem Haus, das die Geisterjägerin besucht, leben drei Männer nicht miteinander, sondern digital gestapelt, unabhängig voneinander. Mit Technik ist also das Problem des knappen Wohnraums in der Großstadt in einem Projekt mit dem Namen Arcadia gelöst worden. Doch haben die drei Bewohner den Eindruck, dass dort noch andere Menschen in dieser Festplattenwohnung leben und zu ungünstigen Zeiten auftauchen. Sie stören die Ruhe der Bewohner. Sind diese Anderen die Vormieter? Wie wird die Hausgemeinschaft diese Störenfriede wieder los? Mit einem technischen Neustart, könnte der Zuschauer glauben. Jedoch scheint dieser Neustart dazu geführt zu haben, dass nun die Detektivin auch in dem Haus mit den drei Bewohnern für immer festsitzt, zusammen mit der Vermieterin und den drei Geistern. Schöner Mist.
Das Stück spielt also mit unseren Zukunftsvorstellungen und besonders mit unseren Ängsten. Das Stück ist ein Auftragswerk für das Schauspiel Frankfurt von Wilke Weermann. Die Bühne ist sehr liebevoll gestaltet und versprüht ganz viel Computerspiel-Charme. Das Stück ist mysteriös, seltsam aber auch lustig, wenn es an die Super-Mario-Spiele erinnert. Wilke Weermann führt auch Regie und hat einen unterhaltsamen Theaterabend geschaffen. Schon der Titel Unheim ist spielerisch. Das gemütliche Heim steckt da drin, aber die Silbe ‚Un‘ zeigt an, dass man nicht gerne dort verweilt. Jedenfalls nicht freiwillig.
Die zentrale Frage des Stücks ist, wie sich durch die Allgegenwart des Digitalen heute und in Zukunft unsere Vorstellung von Geist, Materie, Realem, Spirituellem, Sterblichkeit und Unsterblichkeit verändern wird.
Liebe Grüße von einem begeisterten UniWehrsEL-Leser
Und sehr interessant interpretiert Winnie Geipert ergänzend im Strandgut:
“Wilke Weermann hat die Namen seiner Protagonisten Ira, Edna und Dr. Tim Rosnau dem griechischen Ariadne-Mythos um das Labyrinth von König Minos entlehnt, und auch das unheimliche Wohnhaus eng mit der Kulturgeschichte verknüpft, verheißt doch der in Stein gehauene Satz »Et in Arcadia ego« (Auch ich in Arkadien) auf den berühmten Gemälden von Barbieri und Poussin aus dem 17. Jahrhundert nichts weniger als die stete Gegenwärtigkeit des Todes. Das (neo-)barocke Kleid, in das Johanna Stenzel (Bühne, Kostüme) die arkadische Zukunft hüllt, kommt nicht von ungefähr.”
Was uns die Zukunft wohl bringen mag?
Diese Frage verbirgt sich wohl auch hinter der Tür von Arek Socha, danke dafür!