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Das von Bertolt Brecht gegründete Berliner Ensemble bringt eine neue »Dreigroschenoper« heraus. Theater Deutschland gerät dadurch mal wieder in einen Ausnahmezustand. Barrie Koskys Neuproduktion ist einfach Kult! Sie mischt auch bei den Internationalen Maifestspielen mit.

Ganz klar, der Kulturbotschafter des UniWehrsEL freut sich auch darauf!


Liebes UniWehrsEL,

ich freue mich auf die Dreigroschenoper bei den Internationalen Maifestspielen in Wiesbaden. Am Donnerstag ist es so weit. Es ist ein Gastspiel vom Berliner Ensemble. Denn es gibt ein Wiedersehen mit vielen ehemaligen Frankfurter Schauspielern aus der Oliver Reese Intendanz. Mit dabei Constanze Becker, Nico Holonics als Titelheld, Bettina Hoppe und Josefin Platt. Mit Cynthia Micas übernimmt eine Schwarze die weibliche Titelrolle. Die Regie hat Barrie Kosky, der Zauberer.

Auf der Bühne ist ein Labyrinth zu sehen. Es wird hoffentlich ein wilder, intensiver Theaterabend. Ich erwarte einen Bruch mit der Revueform wie die Dreigroschenoper oft angelegt wird. Mal sehen was daraus wird.

Die Darmstädter Fassung habe ich sehr geliebt und mir gerne angeschaut.
Meine erste Dreigroschenoper war am Schauspiel Frankfurt in den 1990ern mit einem” weißen schwimmenden Sarg” in dem sich Mackie Messer und Polly ihre Liebe gestanden haben.

Die These der 1990er Aufführung war, dass Kriminelle nur eine kurze Lebensdauer haben und deshalb der Tod schnell eintritt. Daher befinden sich der Kriminelle Räuber Mackie und seine Band von Anfang an mit einem Fuß im Grab. Dies wird mit Särgen auf der Bühne symbolisiert.

Egal was sie tun, der Tod ist ihnen mit dem Milleu in dem sie leben vorherbestimmt, und sie Leben im Grab – sind sich ihrer plötzlichen Sterblichkeit zu jederzeit immer bewußt. Dieses Bewußtsein lässt sie schreckliche Dinge wie einen Mord, schweren Raub und andere Verbrechen leichter begehen als Menschen, die in der bürgerlichen Gesellschaft aufgewachsen sind. Die bürgerliche Gesellschaft gibt klare Regeln von Recht und Unrecht gedanklich vor.

Die Verbrecher haben kein bürgerliches Empfinden von Recht und Unrecht. Sie stehen außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft und sind damit vermeintlich frei, aus Sicht von Polly. Jedoch ist diese “Freiheit” kurz, denn es wartet auf die Verbrecher der Tod. Auch das von Brecht verfasste Happyend kann es in dieser Deutung nicht geben. Ein Verbrecher kann nicht in den Ruhestand gehen, sondern nur ins Grab. Das “Brechtsche Happyend” ist also nur eine “Räuberpistole”, die sich die Verbrecher vor dem Tod erzählen, um ihm den Schrecken zu nehmen.

Da Polly aus bürgerlichen Verhältnissen stammt, ist sie sich des Grabes nicht bewußt und kann auch nicht die Regeln des Verbrechers brechen. Zwar ist ihr Vater ebenfalls im kriminellen Milleu tätig. Er verschleiert dies aber vor der Familie und spielt den “ehrbaren” Kaufmann. So kann Polly sich nicht bewußt sein, mit wem sie sich (Verbrecher) einlässt. Daher ist sie die Einzige die dem Sarg entgeht, weil sie nicht im kriminellen Kleinkrieg getötet wird. Dazu ist sie zu unwichtig für die rivalisierenden Verbrecher.

Habe ich Dir davon schon mal erzählt?
Spricht Dich die Berliner Fassung an? Sind wir gespannt auf eine Fortsetzung?

Nachklapp: … die Dreigroschenoper habe ich in Wiesbaden sehr genossen. Die Stimmung war sehr gut. Die Dreigroschenoper hat es offenkundig geschafft auch Menschen zu erreichen, die selten ins Theater gehen.

Es wurde bei jedem Gag geklatscht und im Publikum wurde den Schauspielern ein Ständchen gesungen. Das hat die Darsteller selbst überrascht. Die Truppe war hochmotiviert und hat die Stimmung im Saal gut aufgenommen.

Mich ermüdet das eifirige Applaus spenden, weil es dann immer zu Unterbrechung der Szene kommt. Das nimmt die Spannung raus. So fließt die Vorstellung dahin wie es auch bei Mozart Opern oft der Fall ist. Dazu ist aber die Weilsche Musik nicht gemacht wie Mozart dahinzu fließen.

Ich habe mir eine Tasche vom Berliner Ensemble gekauft. Für den nächsten Einkauf. Das güstigste Programmheft was ich je in den Händen gehalten habe für sagenhafte 0,30 Cent (!).

In der Praxis erwies sich das Bühnenbild doch als sehr weit weg im dritten Rang. Ich hatte mein Fernglas im Dauereinsatz. Das war anstrengend um die Gesten und Gesichtsausdrücke der Schauspieler einzufangen …

  • Beitrags-Kategorie:Alltagskultur / Blog
  • Beitrag zuletzt geändert am:14. Mai 2022
  • Lesedauer:5 min Lesezeit