Ein Thema hat in dieser Woche zu weitergehenden Überlegungen angeregt. Im Blog-Beitrag Allzumenschliches ging es um das ‘erotische Mysterium‘ der „Ersten Menschen“ im Kontext der gleichnamigen Oper und um deren Fortpflanzung. Oder anders gesagt, es stellte sich die Frage nach der ‚erlaubten Liebe‘ zwischen nahen Verwandten.
Herr Heiner Schwens, der in unseren Seminaren an der U3L schon sehr interessante Beiträge für uns eruiert hat, erkundete auch die gegenwärtige Rechtslage zu Inzest. Herzlichen Dank dafür, lieber Herr Schwens!
Sehr geehrte Frau Wehrs,
als Anlage erhalten Sie meinen Kommentar zu: „Allzumenschliches“.
Herzliche Grüße, H. Schwens
Inzest (Rechtslage)
EGMR (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) zum Inzest
Der EGMR hat keine einheitliche Position zum Inzest eingenommen. Seiner Meinung nach können Entscheidungen dazu von Fall zu Fall unterschiedlich ausfallen.
Der EGMR ist der Meinung, dass das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens auch sexuelle Beziehungen zwischen erwachsenen Verwandten umfasst (Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention). Ein generelles Verbot von Inzest könnte möglicherweise eine Verletzung dieses Rechts darstellen.
Der EGMR rechtfertigt das Verbot von Inzest in den Fällen, „in denen Inzest mit Minderjährigen oder in einer Zwangssituation stattfindet“, es ergibt sich also eine differenzierte Sicht zum Thema Inzest.
Welchen Rang hat der EGMR in der BRD (Grundgesetz)?
Als völkerrechtlicher Vertrag zwischen den Konventionsstaaten steht dieser Vertrag in der deutschen Rechtsordnung im Rang eines einfachen Bundesgesetzes und kann theoretisch durch „einfaches nachfolgendes Bundesgesetz in der staatlichen Geltung verdrängt werden“.
Grundgesetz und Inzest
Die Strafvorschrift des § 173 Abs. 2 S. 2 StGB, die den Beischlaf zwischen den leiblichen Geschwistern mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bedroht, ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Dies entschied der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts.
Meinung der Gesellschaft zum Inzest
Die Meinungen sind sehr unterschiedlich und können je nach Kultur, Religion und persönlichen Überzeugungen variieren. In den meisten Gesellschaften wird Inzest als moralisch inakzeptabel angesehen und ist gesetzlich verboten. Das liegt u.a. daran, dass Inzest das Risiko von genetischen Störungen und Erbkrankheiten erhöhen kann.
In einigen Fällen kann Inzest auch als Missbrauch oder Ausnutzung von Machtverhältnissen betrachtet werden, insbesondere wenn es zwischen engen Verwandten wie Eltern und Kinder oder Geschwister stattfindet.
Es gibt auch Menschen die argumentieren, dass erwachsene Geschwister oder andere Verwandte das Recht haben sollten, freiwillig eine sexuelle Beziehung einzugehen, solange keine Zwangssituation (was versteht man darunter?) oder Missbrauch vorliegt. Inzest ist in der Gesellschaft oft mit Ablehnung oder Tabus behaftet.
Inzest in Märchen, z. B.:
- Brüder Grimm: Allerleirauh, König und Tochter (bitte selbst lesen, würde hier den Rahmen meines Kommentars überschreiten)
- Brüder Grimm: Hänsel und Gretel
Vorab: Das Märchen beruht vermutlich auf einen wahren Kriminalfall des 17. Jahrhunderts: Katharina Schladerer, als 7. Kind eines Köhlers 1618 in Wernigerode geboren, kam mit 12 Jahren ins Kloster nach Quedlinburg….
Darf der Hänsel mit der Gretel?
Pro und Contra
Pro:
- „Kann denn Liebe Sünde sein“? Zarah Leander fragt sich das in einer Zeit (release 1997), als Ehebruch verboten war, Homosexualität ebenfalls.
- Im Strafrecht gilt heute längst der Grundsatz: Die einvernehmliche Sexualität von zwei Erwachsenen geht den Staat nichts an, außer: Das Inzestverbot.
- Der Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg sieht das Inzestverbot nicht so streng, „der Staat kann bestrafen, muss aber nicht“.
- Es gibt keine Begründung für dieses Strafgesetz (wie in vielen anderen europäischen Staaten auch), „Sex zwischen Geschwistern sollte nun auch bei uns entkriminalisiert werden“ (TAZ).
- Es gibt heute viele zusammengewürfelte Familien, die nicht dem traditionellen Familienbild entsprechen, so dass die verwirrenden Verwandtschaftsverhältnisse der im Inzest gezeugten Kinder nur noch ein schwaches Argument sein können.
- Für Missbrauch und Gewaltverhältnisse gibt es andere Strafbestimmungen.
- Wie sieht es dann mit drohenden Erbschäden aus? Es gibt heute keine Beschränkungen für Menschen mit Erbkrankheiten beim „Paarungsverhalten“. Warum soll dann gerade bei Geschwistern die Gefahr von krankem Nachwuchs bestehen und strafrechtlich geahndet werden?
- Strafbestände ohne Opfer und ohne rationalen Strafgrund sollten abgeschafft werden – ist es Aufgabe des Staates, eine zweifelhafte Moral durchzusetzen?
Contra
- Bruder und Schwester sind tabu, ebenso Sohn und Tochter, Vater und Mutter. Der Inzest wird fast ausnahmslos in allen Gesellschaften sanktioniert.
- Das Inzestverbot ist kein beliebiges Gesetz, es ist mit selbstbestimmter Sexualität und Gesellschaft vereinbar.
- Claude Levi-Strauss (Anthropologe) formulierte 1984 seine erste Theorie zum Inzestverbot. Aus Psychologie News:“Für ihn steht das Inzestverbot an der Schwelle von Natur und Kultur, da es Eigenschaften von beiden teilt: Als Universalie gehört es zum Bereich der Natur, als Verbot zu Kultur“. (Bitte weiterlesen unter: Levi-Strauss “Theorie zum Inzestverbot“).
- Familie kann als Schutzraum angesehen werden, in dem das Inter-Sexuelle keinen Platz haben kann; deshalb erscheint Missbrauch in der Familie als besonders skandalös.
- Deniz Yücel (Autor und Redakteur) sieht nicht nur das Inzestverbot, sondern auch ein Gebot: “Wer einen Partner oder eine Partnerin sucht, muss in die Welt hinaus, und sei es nur bis ins nächste Dorf. Das aber bedeutet: Kommunikation, Mobilität, Fortschritt. Das Gegenteil ist das sprichwörtliche Kaff in den Alpen, das seit Jahr und Tag im eigenen Saft brütet. Milliarden Menschen bieten eine wunderbare Auswahl, warum sollte man dann mit den Geschwistern ins Bett?“
Meine Meinung (Heiner Schwens):
Ich stehe zum Inzestverbot so, wie es der EGMR (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) formuliert.
Danke für das Bild „Familie“ von Gerd Altmann auf Pixabay