Du betrachtest gerade „Das Abschiedsdinner“ – Aspekte der Lebens- und Freundschaftsoptimierung

Matthieu Delaporte und Alexandre de La Patellière beleuchten in der Komödie „Das Abschiedsdinner“ die Aspekte der Freundschaftsoptimierung. Ursprünglich kommen die Autoren vom französischen Film. In ihrem ersten Theaterstück „Der Vorname“ geht es um den aberwitzigen Streit über den Vornamen eines Kindes. Es soll Adolf, in der französischen Schreibweise Adolphe, heißen, das weckt Assoziationen zu Hitler. Ist Namensgebung eine private Entscheidung oder ein politischer Akt, ein Tabubruch? „Das Abschiedsdinner“ ist das Nachfolgewerk der Autoren. Regie führt Ingo Pfeiffer mit dem Ensemble des „Schloss Maßbach“. Dazu ein Leserbrief mit herzlichem Dank!

Liebe UniWehrsEL-Leser,

Das Abschiedsdinner gehört zu den sogenannten ‚Wohlstandskomödien‘ aus der Zeit um 2010. In Bert Brechts Dreigroschenoper ruft Mackie Messer den wohlbekannten Satz aus: „Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm!“ Daher der Ausdruck „Wohlstandskomödie“. Die Figur Mackie Messer impliziert Wohlstand mit Freiheit von existenziellen Problemen. Im fröhlichen vor sich Hinleben gibt es in diese Sinne keine echten Nöte, wohl aber eingebildete.

Im Gegensatz zu Berthold Brechts Stücken bei denen es um soziale Probleme und gesellschaftliche Schichten geht, hat die Wohlstandskomödie keine realen gesellschaftlichen Probleme wie etwa Krieg, Frieden, Ausbeutung der Arbeiter oder das Zusammenleben von verschiedenen Gesellschaftsschichten oder Arbeitslosigkeit und Armut zum Thema, vielmehr leben die Figuren in gesicherten Verhältnissen und (scheinbarer) grenzenloser Sicherheit. Es gibt keine Bedrohung von außen wie bei Professor Mamlock, bei der ‚Nazis‘ die Existenz eines Arztes bedrohen, sondern der ‚Feind‘ kommt aus dem Inneren. Es ist nicht die (Zweier-)Beziehung die in der Krise steckt, sondern es drängt sich ein Freund aus der Kindheit dazwischen. In der Wohlstandskomödie wird der Wert einer Freundschaft, wie alle anderen gesellschaftlichen Beziehungen seit 2010, aus der ökonomischen Sichtweise betrachtet. Es wird die Frage nach der Nützlichkeit gestellt. Wer nicht mehr nützlich ist der kann weg.

Um den Beziehungsausstieg zu vereinfachen wird ein Abschiedsdinner für den zukünftigen Exfreund veranstaltet, bei dem der Beziehungshighlights gedacht werden soll. Nach dem letzten Abend in Gemeinschaft soll der Exfreund ‚geghostet‘ werden. Auf Deutsch, es wird auf seine Nachrichten nicht mehr reagiert. Er wird zum vergessenen Geist. Die Verbindung wird gekappt. Es ist quasi die Übertragung der beruflichen Situation von vielen Menschen um 2010 auf das Privatleben. Leute die nicht passen, werden im Unternehmertum einfach „abgebaut“, „dein Arbeitsplatz entfällt“, „Du wirst hier nicht mehr gebraucht“. So z.B. bei Twitter geschehen, wo die Mitarbeiter eine Entlassungsmail erhalten haben und sich das Gespräch mit dem Personaler gespart worden ist.

Diese ökonomische Logik und Lösung greift das Stück Abschiedsdinner in seiner ganzen Brutalität auf. Ein Paar beschließt dem langjährigen Freund ein Abschiedsdinner zu geben. Dazu wird die Lieblingsmusik des zukünftigen Exfreundes gespielt, sein Lieblingsgericht gekocht und alte Geschenke aus der Freundschaftszeit hervorgekramt. Endlich nehmen sich die Beiden Zeit, dem Freund ausführlich zuzuhören. Davor war nur Zeit für die Ausrede, sich nicht zu treffen. Nach dem Abschiedsdinner hat das Paar endlich wieder Zeit für sich, statt zur Pflege lästiger Beziehung in der Freizeit. Es geht um Prioritätensetzung.

Was ist ein Event? Der dauernörgelnde Exfreund mit Sicherheit nicht. Dazu noch seine, im künstlerischen Bereich tätige, Freundin. Sie spricht eine fremde Sprache mit „ihrer Kunst“. Lieber ist das Paar unter Menschen mit gleichen Themen. Kunst und Theater gehören hier nicht dazu. Das Ideal des Bildungsbürgers, der sich durch das Theater auf die Welt vorbereitet hat, ist vergessen. Das Theater ist ein Fremdkörper. Unverstanden vom bürgerlichen Haushalt. Lustigerweise wird das Ende des Theaters auf einer Theaterbühne verhandelt und in Diskurs gestellt. Man – der heutige Bildungsbürger – hat so wenig Freizeit und soll diese in den engen Mauern eines Theaters verbringen? Irgendwie schon pervers?

Der Mann ist Verleger. Seine Wohnung ist voller Bücher, die er nicht gelesen hat. 700 Seiten lesen? Dann das Buch als Buchstütze verwenden. Mann lebt vom Buch, aber wichtig ist der Verkauf, nicht der Inhalt des Buches. Die Beurteilung von Büchern macht der bezahlte Kritiker, nicht der Verleger.

Nach dieser Logik ist Freundschaft eine Sache des Zeitmanagements und das Abschiedsdinner die Lösung für ein Zeitproblem. Zeit ist Geld und das, so scheint hier durch, ist wichtiger als die Pflege von Freunden. Das Abschiedsdinner ist schließlich der letzte gemeinsame Abend. Es geht um Zeitmanagement: Hat das Paar nicht 30 % seiner Zeit zur Pflege von Freunden und Gesellschaft verwendet? Wären da nicht 10 % effizienter, diese aber intensiv genutzt? Mehr Ertrag durch bessere Zeiteinteilung! Die Idee stammt von einem auf Zeitersparnis getrimmten Rechtsanwalt, der dem Paar die Idee des Abschiedsdinners nahegelegt hat.

Nun trifft das Paar auf einen hoch neurotischen Freund. Dessen Leben gleicht einem Trümmerfeld. Er steckt in der beruflichen Sackgasse, sein Therapeut ist verstorben, seine Liebesbeziehung zerbrochen. Von den Wechselfällen des Lebens hat er nichts verstanden. Er ist wie der Sänger Falco es beschreibt, ein „Egoist„, bei dem sich alles nur um ihn selbst dreht. Von der Freundin längst innerlich getrennt, sich stattdessen an den Therapeuten anlehnend, nach dessen Tod sofort eine neue amerikanische Therapie ausprobierend, immer schön alles wegtherapieren; es lebe der Kapitalismus der solche Möglichkeiten schafft!

Was bedeutet da schon Freundschaft. Der Freund war in der Kindheit wichtig, passt jedoch nicht mehr in die jetzige Lebenssituation, dem heutigen Lebensstil. Alles ist eben vergänglich. Der heutige Verleger hat längst den Grund vergessen, warum er mit diesem Freund zusammen war. Also besser, die alten Zöpfe abschneiden. Weg mit der emotionalen Komponente, her mit der Ratio!

Leider haben Menschen diese ‚unberechenbaren‘ Gefühle, die dem ‚Ratio‘ widerstehen. So spielt auf der unbewussten Ebene des Stücks das unausgesprochene Gefühlsleben der Freunde eine nicht unbedeutende Rolle. Die Männer fühlen sich zueinander hingezogen, eine implizite Liebesbeziehung, die keiner Worte bedarf, das ‚Knistern im Raum‘ kann nicht verbalisiert werden. Das ist die Crux auch in der Beziehung des Ehepaars; man hat verlernt über Gefühle miteinander zu kommunizieren. So zeigt sich das Paar nach außen hin als Streithähne, nicht als liebende Einheit. So ist der „Egoist“ trotzdem dem Verleger vertraut, weil da eine zärtliche Nostalgie mitschwingt. Da ist die Sehnsucht nach einem berauschenden Moment der Zweisamkeit spürbar, zwischen dem Ehepaar genauso wie zwischen den Freunden.

Der hilflose Freund weckt im Verleger ‚Muttergefühle‘, dazu kommt das Gefühl gebraucht zu werden. Freundschaft heißt, eine Karte mit Erinnerungen und gemeinsamen Erfahrungen anzulegen, die eine starke Verbindung schafft. Damit hat die Frau des Verlegers nicht gerechnet. Andererseits kennt sie ihren Partner genau und weiß, wie schwer er Beziehungen beenden kann. Das Abschiedsdinner scheint die Lösung für zu viel Gefühle für den Freund.

Ganz naiv ist der baldige Exfreund so auch nicht, hat er doch von der Methode des Abschiedsdinners bereits erfahren durch bereits erwähnten Rechtsanwalt. In seinem Kopf macht es irgendwann klick. Mit diesem Konflikt wird der Zuschauer in die verdiente Pause entlassen.

Doch wer danach auf den großen ‚Knall‘ hofft, wird bitterlich enttäuscht. Statt einer Aussprache kommt es zum Rollentausch der Konfliktparteien, um hinterher mehr Verständnis für die Position des anderen zu entwickeln. In der Inszenierung von „Schloss Maßbach“ tauschen die Männer die Kleidung. Das ist der ‚Seelenstriptease‘ wörtlich genommen. Der Schwerpunkt liegt auf Striptease nicht auf der Seele. So wird der Text vom Anfang durch den Freund einfach nochmals durchgekaut. Heraus kommt eine Parodie der anderen Person, aber kein tiefes Verständnis des anderen Menschen. So greift der Verleger zum guten alten Vertrösten auf nächsten Mittwoch. Da können dann alle Punkte der Beziehung der Männer aufgearbeitet werden. Man(n) begibt sich in gegenseitige Therapie. Natürlich ohne Einbeziehung der Frau. Sie stellt einen ‚Blumentopf‘ dar, wird zur Stichwortgeberin zwischen den Freunden. Den Schritt zur Trennung muss der Verleger selbst gehen. Kann er aber nicht, bräuchte dazu die Argumente seiner Frau, will er eigentlich auch nicht.

So wird das Treffen am Mittwoch vor der Frau verheimlicht. Als Mann nicht stark zu sein oder stark auszusehen, ist tödlich für das eigene Selbstbild. So geht das Paar schlafen. Die Fau mit der Meinung, den Exfreund in den Abschied geschickt zu haben, der Mann mit dem Gefühl, ein neues Geheimnis vor der Frau zu haben. Das Stück endet mit dem Zubettgehen und der Hoffnung auf das Jahr 5.000. Denn warum sollte man Lösungen, die ein potentielles ‚Unwohlsein‘ in sich bergen, übers Knie brechen, denn „wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm“, frei nach Macky Messer.

Danke für das Bild der Trennung Bild von Tumisu auf Pixabay
  • Beitrags-Kategorie:Blog
  • Beitrag zuletzt geändert am:9. Dezember 2024
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