Dass Anthony Hopkins eine große Gefühlspalette zum Ausdruck bringen kann, ist dem Kinofan sicherlich vertraut. Wer erinnert sich nicht gerne an den 1993 erschienenen Film „Shadowlands“ von Richard Attenborough, indem er den steifen Literaturprofessor „Jack“ verkörpert, der durch die Heirat mit „Joy“ (nomen est omen) lernen muss, Gegensätze zu überwinden und Gefühle zu akzeptieren. 30 Jahre später glänzt Hopkins wieder in der Paraderolle des Sigmund Freud. In „Freud – Jenseits des Glaubens“ geht es wiederum um zwei Menschen mit unterschiedlicher Biographie, auf deren Grundlage sich eine spannende psychologische Verbindung ergibt. Der junge Theologe C. S. Lewis trifft auf den totkranken alten Atheisten Sigmund Freud, drei Wochen vor dessen Selbstmord. Es entwickelt sich eine brisante Diskussion um die Theodizeeproblematik (vgl. auch Städelführung mit Pfarrer Schnell zum Bild „Hiob auf dem Mistaufen“).
Das Theodizeeproblem, griech. theos (Gott) und dike (Gerechtigkeit), stellt die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes, also ob es gerecht von ihm ist, seine Geschöpfe leiden zu lassen (siehe auch Beitrag Silence). Ob es der Verlust seiner geliebten Tochter Sophie ist, die mit 27 Jahren an der spanischen Grippe starb oder der Verlust des 5jährigen Enkels, der Freud den Glauben an Gott verlieren ließ? Rückblenden im Film zeigen, wie schwer dem leidenden alten Menschen diese Erinnerungen fallen und die Frage stellen lässt: Gibt es eine Rechtfertigung der Vorstellung Gottes angesichts des Übels in der Welt? Anders der junge Clive Staples Lewis, der gerade durch die traumatischen Kriegserfahrungen zu seinem Glauben gefunden hat und die Frage aufwirft: Muss das Übel in der Welt existieren, damit wir das Gute als Gutes überhaupt wahrnehmen können?
Der Film stellt eine fiktive Begegnung zwischen Sigmund Freud, bekennender Atheist, und dem bedeutenden christlichen Autoren C.S. Lewis dar. Möglich wäre eine solche Zusammenkunft durchaus gewesen. Freud musste 1938 vor den Nazis ins Exil nach London, zusammen mit seiner Tochter Anna, fliehen. Dort lebte der junge Autor Lewis, der bekannt wurde für Werke wie „Die Chroniken von Narnia“ oder „Pardon, ich bin Christ“. Wer tatsächlich Freud kurz vor seinem Freitod im September 1939 in seinem Haus in London besucht hat, „Niemand weiß, ob es tatsächlich Lewis war“, so der Abspann im Film.
Mit der Frage nach der Existenz Gottes schließt der Regisseur Matt Brown an das bereits 2009 uraufgeführte Stück des US-Dramatikers Mark St. Germain an. Das fiktive Treffen basiert auf einem Theaterstück von Mark St. Germain aus dem Jahr 2009. Dieses wiederum wird bereits in „The Question of God: CS Lewis and Sigmund Freud Debate God, Love, Sex, and the Meaning of Life“ von Armand Nicholi beschrieben. Premiere feierte der Film im Oktober 2023 beim Festival des American Film Institute, er lief bereits in ausgewählten Kinos der USA, nun ist er in Frankfurt in den Arthouse Kinos zu sehen.
Der Film, englischer Originaltitel „Freud’s Last Session“, spielt am 3. September 1939, als Großbritannien in den Krieg gegen Nazideutschland eintritt. Lewis besucht Freud auf dessen Betreiben hin in seiner Wohnung. Es entspinnt sich ein faszinierender Dialog mit zahlreichen Rückblenden auf beider Leben. Freud erscheint als süchtig, nimmt Drogen und Alkohol zu sich. Er leidet an Gaumenkrebs, spuckt auch zwischendurch nicht nur Gift und Galle, denn er ist sehr streitlustig, sondern auch Blut. Eitel, arrogant, uneinsichtig wähnt er sich dem jungen Intellektuellen Lewis gegenüber überlegen. Dieser wiederum bleibt ruhig und schmunzelt zuweilen über die wütende Verdammung des Glaubens an Gott, die Freud an den Tag legt. Lewis erscheint im Laufe des Films nicht mehr als unerschütterlich frommer Gläubiger, sondern ringt mit seinem Gottesverständnis, anders als sein von ihm erwähntes Vorbild J.R.R. Tolkien. Der Vater der modernen Fantasy-Literatur („Herr der Ringe“) war seit seiner Kindheit ein praktizierender katholischer Christ.

Schon der Untertitel des Films zu „Freud“ – Jenseits des Glaubens“ greift auf Freuds Schrift „Jenseits des Lustprinzips“ zurück. Sigmund Freud, als bekannter Gründer der Psychoanalyse, entwickelt 1920 eine neue Triebtheorie: statt dem Triebleben, das auf das Lustprinzip zurückführt, stehen nun Lebens- und Todestriebe gleichberechtigt nebeneinander. Der Lebenstrieb befördert Libido, Narzissmus und Liebe. Der Todestrieb bedingt Aggression und Selbstzerstörung. Beide Triebe sind fundamental, lassen sich letztlich weder gänzlich aufklären, noch wegtherapieren, was die Psychoanalyse heute (kultur-)pessimistischer erscheinen lässt als jemals zuvor. Nach dieser Theorie bleibt das Böse neben dem Guten allzeit in der Welt bestehen.
Sir Anthony Hopkins spielt als Freud hinreisend überzeugend. Auch sein Gegenpart, Matthew Goode („Downton Abbey“), ist großartig. Freuds Tochter Anna, die dem Vater verfallen scheint, kein eigenes Leben haben darf, sucht während des Dialogs der großen Männer, sich selbst aufgebend nach einem Medikament, das Freuds Schmerzen vorübergehend lindern soll. Die Deutsche Liv Lisa Fries („Babylon Berlin“, „Kafka“), in der Rolle der Tochter Anna, wirkt anrührend im Bemühen, den geliebten Vater zu dienen und dabei ihre eigene Freundschaft und Liebe zu ihrer gleichgeschlechtlichen Partnerin hintenan zu stellen. Erst am Ende des Films besinnt sie sich eines Besseren und bringt die Geliebte mit ins väterliche Haus.
Anna, Freuds ungewollte Tochter, das jüngste seiner sechs Kinder, ist für Freud das „Versuchskaninchen“ der Psychoanalyse, was ihm Lewis auch im Dialog vorhält. Und doch ist sie durch ihre Treue und Loyalität zu seiner „Antigone“ geworden, wie er sie selbst nennt. Sie wird später zur Erbin seines Vermächtnisses und zur bedeutenden Kinderpsychologin. Privat lebte und arbeitete sie nach Freuds Tod mit der amerikanischen Millionenerbin Dorothy Burlingham-Tiffany bis zu deren Tod zusammen. Beide hatten Ende der Vierzigerjahre ein heute noch gültiges Buch über „Heimatlose Kinder“ verfasst.
Eine lesbische Beziehung leugneten sie lebenslang, vor allem im Film will Freud nichts von der Freundin Annas wissen. Eher wohl, weil er seine Tochter ganz für sich alleine beansprucht. Freud selbst schrieb 1905 seine „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“ und betonte, der Mensch sei kein sexuell natürliches Wesen, vielmehr mit „polymorph-perversen“ Trieben geboren. Die biologische Art der Sexualobjekte sei ihm einerlei. Hetero oder homo, männlich oder weiblich: Das Sexuelle am Menschen sei eine kulturelle Einschreibung, nichts, was ihm genetisch wie auf einer fertigen Software, mitgegeben werde (vgl. taz 2006, Artikel „Anna Freud hätt’s gefreut“).