Haratischwili „Phädra in Flammen“ – was ist eigentlich mein Ich?
Nach „Penthesilea: ein Requiem“ und „Klytämnestra“ ist „Phädra“ eine Figur, die sich im Kontext von Freiheiten dem Schauspiel eröffnet. Die verhängnisvolle Liebe zwischen Phädra und ihrem Schwiegersohn Hippolytos ist Ausgangspunkt für viele bekannte Autoren, sich mit der Figur der Phädra näher zu beschäftigen. Einige bekannte Autoren seien an dieser Stelle genannt: Euripides, Ovid, Seneca, Jean Racine, Sarah Kane. Sie alle haben sich mit der Figur Phädra auseinandergesetzt. Dies schürt natürlich auch Erwartungen von einem bildungsaffinen Publikum, wenn ein Stück den Titel „Phädra in Flammen“ tragen soll. Das Schauspiel Frankfurt hat jedoch aus dem bekannten Stoff eine neue Variante erstellt; im Kino würden es die Schöpfer einer Story eine ‚Adaption einer alten Geschichte ins zeitgemäße Gewand‘ nennen. Der Stoff wurde von der deutsch-georgischen Schriftstellerin Nino Haratischwili unter neuen Aspekten am Schauspiel Frankfurt durchdacht. Der Kulturbotschafter des UniWehrsEL teilt dazu seine Gedanken mit uns, vielen Dank dafür!
Liebes UniWehrsEL,
In den bereits bekannten Stoffelementen steht stets die Story von Phädra zu ihrem männlichen Schwiegersohn im Vordergrund. Diese Liebe der Phädra bleibt unerwidert, und Phädra sinnt auf Rache. Sie bezichtigt den jungen Mann gegenüber ihrem Ehemann, sie vergewaltigt zu haben. Dies führt zur Bestrafung des Schwiegersohns durch die Hand der Götter. So lässt Poseidon, der Gott des Meeres, seine Seeschlange auf den Beschuldigten los. Der Schwiegersohn wird wahlweise getötet oder im letzten Moment von einem zweiten Gott errettet.
Der Clou der Interpretation des Stoffes von Haratischwili ist, dass es sich bei der Person in die sich Phädra verliebt, diesmal um eine Frau handelt. Ein weiterer wichtiger Unterschied zu den anderen Texten ist, dass es sich bei der in Frankfurt gezeigten Phädra um keine ganz junge Frau mehr handelt. Sie ist nicht wegen eines Krieges durch ihren Ehemann Theseus verlassen worden und fühlt sich deswegen einsam. Vielmehr geht es um eine gestandene Frau, die selbst Macht ausübt und mit Stolz den Titel ‚Königin von Athen‘ trägt.
Diese Frau hat mächtig Lebenserfahrung gesammelt. Sie ist keinesfalls naiv und stolpert in die Beziehung mit Persea, sondern diese Phädra trifft einen bewussten Entschluss sich auf die verführerische Persea einzulassen. Phädra hat sich in dieser Fassung in einem Leben aus Routine mit Theseus eingelassen. Sie kennt alle Regeln des Palastes sehr genau. Sie hat sich mit diesem Leben gut arrangiert bzw. eingerichtet. Dazu hat Phädra in dieser Story zwei erwachsene Söhne.
Demophon ist der erstgeborene Sohn und möchte seinen Vater unbedingt möglichst schnell als „King of the Ring“ beerben. Dieses Versprechen hat Demophon dem Vater abgetrotzt, damit nicht der jüngere Bruder auf die Idee kommt, den Vater auch beerben zu wollen. Demophon will schnell den Thronwechsel vollziehen. Um seinen Anspruch zu sichern, muss er jedoch schnellstmöglich heiraten. Dabei ist es ihm unwichtig, ob die Frau aus einer angesehenen Familie stammt. Im Gegenteil er wünscht sich eine Frau mit tieferem sozialem Status. Er erwartet von dieser Frau Dankbarkeit dafür, dass sie seine Königin wird.
Doch tatsächlich hat Demophon seine Braut nicht selbst ausgewählt. Dazu ist der jetzige König Theseus ein viel zu großer ‚Kontrollfreak‘. Theseus ist in dieser Fassung ebenfalls kein junger Kämpfer mehr, sondern steuert unweigerlich auf das Altenteil zu; jedoch nicht als Mann, sondern als Kämpfer in der Feldschlacht. Sein Ruhm lebt von seinen alten Heldengeschichten, nicht von seinen aktuellen Entscheidungen als Herrscher. Zumeist war er in Athen abwesend und hat seiner Frau die Macht über das Volk überlassen. Deshalb kennt Phädra auch jeden Kniff im Palast. Sie hat in jungen Jahren oft die Verantwortung über das Volk getragen. Sehr zum Missfallen von Panopeus.
Dieser war einst ein junger Mann, der mit Theseus nach Athen kam. Er war früher mittelos und bewunderte Theseus sehr. Gerne wäre Panopeus Krieger an der Seite des Helden Theseus geworden. Doch seine Kraft fehlte ihm. Auch konnte Panopeus sich keine Ausbildung zum Krieger in seiner Jugend leisten. So musste er sich ein eigenes Betätigungsfeld suchen. Zunächst verfiel er dem Wein und dem Rausch. Später entdeckte er sein Talent in der Redekunst und wurde der Priester von Theseus. In dieser Funktion übte er immer stärkeren Einfluss auf die Gesellschaft aus. Er überlegte sich Regeln für ein besseres Zusammenleben und ein Leben in Einklang mit den Göttern.
Bei seiner Suche nach einer besseren Gesellschaft kam ihm die machtbewusste Phädra in die Quere. Er vermied es, mit ihr in Konfrontation zu geraten. Denn Phädra hatte sein peinliches Geheimnis mitbekommen. Panopeus war als junger Mann in Theseus verliebt und hatte sich an der Statur des abwesenden Theseus selbstbefriedigt, während Phädra ihn bei dieser Tat erwischt hat. Sie schwieg zu dem Vorfall, und so ist Panopeus einer Bestrafung wegen der Schändung der Statur des Theseus bisher entgangen. Dieses Wissen setzt Phädra als eine Art moralische Erpressung gegen Panopeus ein. So ist Theseus zwar auf dem Papier der Herrscher über sein Volk, aber in indirekter Mitbestimmung regiert Phädra, in dieser von Haratischwili konzipierten Geschichte, die Geschicke des Landes mit.
Phädra lässt ihren Mann in dem Glauben, er sei der alleinige Herrscher. Ihren erstgeborenen Sohn lässt Phädra in dem Glauben, sie würde ihn dabei unterstützen, die Macht zu übernehmen. Dabei kennt Phädra ihren Theseus ganz genau und weiß, dass er nie auf seine Macht verzichten wird bis ihn der Tod holt. Phädra ist also nicht ehrlich zu Theseus und Demophon. Zudem hat sie sich mit dem jungen Sohn Acamas einen, ihr loyalen Sohn geschaffen. Dieser Sohn geht ganz auf die Wünsche seiner Mutter Phädra ein. In dieses verwobene Machtkonstrukt greift nun Persea als Außenseiterin ein. Sie hat, so wird der Zuschauer erfahren, zunächst den Vater Theseus‘ verführt. Deshalb wählte Theseus Persea zur Braut für den ersten Sohn.
Dann verführt sie im Bade den unerfahrenen zweiten Sohn Acamas. Dieser sucht keine Liebe, sondern Abwechslung zur Mutter und einen Freund. Deshalb stimmt Persea auch den alten Disneyklassiker Aladin an, mit „You have a friend in me“, um die Zuneigung von Acamas zu gewinnen. Dieser ist ein leichtes Ziel der großen Verführerin Persea. Dabei zeigt sich Phädra gegenüber Persea zunächst unerbittlich. Sie verweist die neue Frau auf ihren Platz. Dieser „Girl-Boss-Move“ zeigt, wie sicher sich Phädra ihrer gehobenen Stellung ist. Phädra handelt nach der Devise des Songs „Ich hab‘ alles im Griff auf dem sinkenden Schiff“.
Phädra handelt in diesem Stück so wie es sonst immer männlichen Figuren zugedacht wird. Sie ist kühl, berechnend und strategisch planend. Sie setzt die Verführerin Persea ‚in Feuer‘, gilt es doch einen Kampf um die (sexuelle) Macht über die andere Person auszufechten. Dabei bedient sich die Verführerin aller ihr zur Verfügung stehenden Tricks. Sie schafft eine angenehme Atmosphäre für Phädra und überlässt Phädra die Initiative. So behält Phädra vermeintlich die Kontrolle über Persea.
Auf einer Insel der Glückseligkeit, welche von Persea als Liebesnest geschaffen worden ist, und unter Einfluss eines kleinen Drogenrauschs, vergisst Phädra ihre Stellung und ihre Vorsicht. Da es nicht bei dem einen Mal bleibt, sondern die Frauen sich gegenseitig in den Armen wiegen, bleibt diese Beziehung dem jüngeren Sohn Acamas nicht lange verborgen.
Darf er doch in der Konsequenz weder seine Mutter Phädra noch seine neue Freundin Persea besuchen. So bleibt er alleine. An die Männer des Hauses kann er sich nicht wenden. Theseus und Demophon bekriegen sich gegenseitig um den Platz der Nr. 1 im Reich. Deshalb haben sie keine Zeit für Phädra oder Persea. Demohon ahnt nicht einmal, mit was für einer verführerischen Sirene er von seinem Vater verkuppelt worden ist. Demophon will ‚King‘ anstelle des Kings werden. Nur diesen Wunsch hat er im Kopf.
So wendet sich Acamas an den Priester Panopeus. Dieser erkennt seine Chance, seine Macht gegenüber Phädra auszubauen. Endlich hat er ein Druckmittel gegen Phädra. Nun soll Phädra seinen Machtanspruch bestätigen und mit ihm gemeinsam durchsetzen. Als Phädra im klärenden Gespräch nicht von der eigenen Macht lassen kann und Panpoeus an seine Untat in der Vergangenheit erinnert, kommt es zum Bruch zwischen Phädra und Panopeus.
Nun setzt Panopeus sein Wissen über die Affäre von Phädra und Persea als Druckmittel auf Demophon ein. Wie will Demophon jemals King werden, wenn er nicht mal seine zukünftige Ehefrau im Griff hat. Demophon hält die Sache zunächst für einen Witz von Panopeus. Später kommt ihm die Idee, diese Affäre zu nutzen, um den Vater zu erpressen, damit Theseus endlich abdankt. Theseus erkennt die Gefahr durch den Sohn.
Mit der Enthüllung über das Liebesleben von Phädra wird Theseus zum Gespött des Volkes. Um seine Rache an Phädra zu vollenden, beschließt der Priester, Phädra den Flammen zu opfern. Während nun die Männer mit ihren Machtspielen zu tun haben, setzen sich Phädra und Persea ab. Ein Scheiterhaufen wird zwar mündlich von Panopeus errichtet und angezündet, in der gelebten Praxis bleibt aber alles beim Alten. Die Frauen haben weiter ihre Affäre und die Männer sind mit ihren Spielchen beschäftigt. So sind am Ende alle glücklich. Acamas beschließt ein intriganter Mann zu werden und gewinnt für sich neues Lebensglück.
Der Regisseur Max Lindemann stellt das Verlangen und die Verführung der handelnden Personen in das Zentrum seiner Inszenierung. Zu sehen gibt es heiße Badequellen, einen Liebesgarten und einen Luxuswagen der geräumig zum Verweilen einlädt.
Phädra in der Neufassung am Schauspiel Frankfurt handelt von Macht der Frauen, über Politik, Religion, Liebe und die Stellung der Frau in der Familie. Die Geschichte von Phädra verdeutlicht dem Zuschauer was passieren kann, wenn religiöser Eifer in Gestalt eines Priesters auf die Staatsgewalt, ausgeübt durch Theseus, trifft. Dann hat die Liebe zwischen Frau und Frau, Mutter und Sohn keinen Platz mehr. Ins Zentrum der Politik rückt die Bestrafung der Abweichlerin Phädra. Ihr Schicksal ist es, in Flammen aufzugehen. Solch ein tödliches Ende wollte die Regie von Herrn Lindemann nicht zulassen und hat ein anderes Ende, indem alle wieder „glücklich“ sind gefunden.
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