You are currently viewing „Furor“ macht Furore

Furor bedeutet Wut oder das sich Hineinsteigern bis zum totalen Ausraster. Furore ist etwas, das von sich Aufsehen macht, Beachtung findet. Ein Theaterstück auf das Beides zutrifft, wird an deutschen Bühnen gerne aufgeführt, sei es am Schauspiel Frankfurt 2018, als auch in der Unterfränkischen Landesbühne „Theater Schloß Maßbach“. Im Stück tummeln sich: ein enttäuschter Rechter, ein Polit-Profi, eine verzweifelte unterprivilegierte Mutter, deren drogenabhängiger Sohn in einen Unfall mit dem Politiker verwickelt war und zum Pflegefall geworden ist. Unser Kulturbotschafter des UniWehrsEL hat das Stück besucht und interpretiert. Herzlichen Dank dafür!

Liebes UniWehrsEL,

Furor ist das neue Stück des Autorenduos Lutz Hübner und Sarah Nemitz. Ihr bisher größter Erfolg war das Stück „Frau Müller muss weg“. Das auch in 2015 verfilmt wurde. In Frau Müller muss weg ging es um eine Gruppe Eltern, die sich Sorgen um die Versetzung ihrer Kinder machen und deshalb planen die Lehrerin Frau Müller auszutauschen. Das Stück kam bei Eltern gut an und lief zwei Jahre vor der Verfilmung bereits am Schauspiel Darmstadt. Wir haben im UniWehrsEL dieses Stück bereits erwähnt im Kontext von „Wir lieben und wir wissen nichts voneinander“.

Furor ist dagegen ein ganz anderes Stück über Wut. In einer Sozialwohnung lebt die Altenpflegerin Nele. Sie hat ein Treffen mit dem Politiker Braubach vereinbart. Der Politiker hat Neles Sohn vor zwei Wochen mit seinem Privatwagen angefahren und schwer verletzt. Die Prognose für den Sohn ist eine lebenslange Behinderung. Vermutlich wird er im Rollstuhl sitzen. Die Wohnung ist nicht behindertengerecht. Nele weiß auch nicht, wie sie die Arztrechnungen bezahlen soll. Braubach bietet seine Hilfe an. Das Gericht hatte ihn von der Schuld für den Unfall freigesprochen, weil der Sohn im Drogenrausch vor das Auto des Politikers gelaufen ist.

Darum trifft den Politiker aus juristischer Sicht keine Schuld. Dennoch will sich Braubach aus moralischen Gründen um den Sohn kümmern. Er hofft auf eine Vereinbarung mit Nele. Sie ist glücklich über die angebotene Hilfe und die Fördermöglichkeiten die der Politiker ihr in Aussicht stellt. Er bittet sie um Verschwiegenheit gegenüber der Presse. Es liegt eine Einigung in der Luft. Da kommt es zu einer Wende. Nele will keine Vereinbarung treffen, solange nicht der Cousin auch mit in das Gespräch einbezogen worden ist. Der Cousin war Nele in den zwei Wochen eine Stütze und die wichtigste Bezugsperson.

Deshalb will Nele den Cousin nicht übergehen. Er arbeitet in der Schicht als Paketbote. Mit dem verspäteten Eintreffen des Cousins verändert sich die Stimmung zwischen Nele und dem Politiker. Der Cousin hört sich den Vorschlag über die Hilfestellung durch den Politiker an und schickt Nele weg, weil er alleine mit dem Politiker “verhandeln” will.

Als Nele gegangen ist fordert der Paketbote vom Politiker 100.000 Euro als Entschädigung. Braubach lehnt das als Erpressung ab. Daraufhin entspinnt sich ein Dialog zwischen dem Politiker und dem Paketboten. Der Cousin gibt zu erkennen, dass es ihm gar nicht um das Geld geht, sondern um eine Änderung des Systems. Der Politiker soll seine Schuld am Unfall einräumen, sonst würde der Paketbote Beweise vorlegen, dass es die Schuld des Politikers sei, dass der Sohn von Nele im Rollstuhl sitzt. Der Politiker hätte den Richter bestochen – ein Bekannter von ihm aus dem Golfclub – damit er ein Urteil zu seinen Gunsten bekommt. Auch hätte der Politiker die Presse manipuliert und einen Artikel schreiben lassen, der ihn in ein positives Licht rückt. Der Paketbote entpuppt sich als Ideologe. Er glaubt an Verschwörungstheorien aus dem Internet. Der Politiker versucht mit Ironie den Vorwürfen zu begegnen. Er lässt sich sogar von dem Paketboten schlagen.

Letztlich kommt es zu keiner Einigung zwischen dem Boten, dem Politiker und Nele. Nele kündigt dem Boten die Freundschaft. Nachdem der Politiker seine Hilfe zurückzieht. Sie schmeißt den Cousin wegen des Vertrauensverlust und des Erpressungsversuchs aus der Wohnung. Der Politiker geht ohne Lösung von Nele weg.

Welche Themen werden in dem Stück Furor behandelt?

Ein Stichwort zu Furor ist die Spaltung der Gesellschaft. Hierbei geht es um die Auseinandersetzung zwischen Gruppen und eine zunehmende Emotionalität von Themen.

 Anstatt sachlich nach Lösungen zu suchen bedrohen sich der Politiker und der Cousin gegenseitig.

 Der Cousin unterstellt dem Politiker nur an die nächste Wahl zu denken und Mitgefühl zu heucheln.

Der Politiker fühlt sich erpresst vom Cousin und möchte ihn persönlich fertig machen, so dass dieser seine Anstellung als Paketbote verliert. Es geht nicht mehr um die Sache, den Unfall, sondern um persönliche Rachegedanken.

Eine Emotion, die alle drei Figuren antreibt, ist die Wut. Nele ist wütend auf den Sohn, dass er Drogen genommen hat und wütend auf den Politiker, weil er sich seit zwei Wochen nicht gemeldet hat. Sie glaubt, dass der Politiker sie als schlechte Mutter in die Zeitung gebracht hat. Später ist sie wütend auf den Paketboten, weil er durch den Streit mit dem Politiker die Chance vertan hat, etwas Positives für den Sohn heraus zu holen.

Der Politiker ist wütend auf den Paketboten, weil er die Einigung zwischen Nele und ihm verhindert. Als der Paketbote ihn erpressen will, ist er glücklich, weil er endlich eine Person gefunden hat, an der er seine Wut über den Unfall auslassen kann. Er wird seit dem Unfall im Internet anonym bedroht. Nun hat er ein Gesicht für seine Bedrohung in dem Paketboten gefunden.

Davor wittert er ein Komplott gegen sich im Internet durch den politischen Gegner. Gefühlt befindet sich der Politiker ständig im Wahlkampfmodus. Er muss sich andauernd für sein Verhalten in der Öffentlichkeit rechtfertigen. Insgeheim mag er die Demokratie nicht mehr, weil sie so kraftraubend ist.

Der Paketbote ist wütend, weil er nur diesen schlecht bezahlten Job gefunden hat und von Haus zu Haus hetzt. An den schlechten Arbeitsbedingungen ist der Politiker schuld, weil er nichts aktiv unternimmt, diese zu verbessern.

Nun versucht der Politiker, sich auch noch aus dem Unfall heraus zu winden. Daher will der Paketbote ins Gespräch mit dem Politiker kommen, um ihn mit seiner eigenen Situation zu konfrontieren. Im Netz hat sich der Paketbote in eine Scheinwelt begeben die ihm vorgaukelt, der Politiker und der Richter hätten sich gegen ihn verschworen.

Das Stück zeigt die Klassenunterschiede; der Politiker kommt mit Fahrdienst. Er kennt den Richter und den Chefarzt des Krankenhauses persönlich und möchte die Folgen des Unfalls an seine Mitarbeiter delegieren. Lebt nicht auch er in einer Scheinwelt ähnlich wie der Paketbote? Kommt es nicht sehr darauf an, wie er seine Stellungnahme nach außen hin deklariert?

Nur in der Scheinwelt des Politikers findet sich für alles eine passende Lösung. Der Politiker ist sich seiner Privilegien sicherlich bewusst, macht aber Glaubhaft, sein Erfolg liege an seinem Umgang mit Menschen, nicht etwa an seiner Stellung.

An einer Stelle spricht der Politiker über die Logik des Krieges. Wer nicht für mich ist, der ist mein Feind und muss vernichtet werden. Der Politiker spricht vom Krieg, der seine Existenz bedroht, durch die Anschuldigungen im Netz. Er hält den Cousin für den Verfasser von allen Lügen im Netz. Er droht mit Anwalt und Gericht gegen den Paketboten. Der Politiker gibt dem Cousin die Eigenverantwortung bzw. Schuld an seiner beruflichen Situation. Hätte er doch nur etwas Anständiges lernen sollen. Er habe sich die Rolle als Paketbote selbst ausgesucht, als Resultat seiner Dummheit. Es ist die Arroganz der Oberschicht, die in dem Moment aus dem Politiker spricht.

Auch die Rolle der Presse und des Internets werden in dem Stück besprochen. Die Presse bzw. die Lokalzeitung hat Nele nach dem Unfall kontaktiert, um Informationen über den Hergang herauszufinden. Dabei gaben sich die Journalisten als emphatisch aus. Im tatsächlichen Zeitungsartikel wird der geliebte Sohn zu einem ungehorsamen Monster und drogensüchtig. Diese Darstellung ist für die Mutter Nele verstörend.

Das Internet trägt in dem Stück zur Aufstachlung und zum Aufruhr des Paketboten bei. Es ist nicht Hilfe, sondern verstärkt die Konflikte zwischen dem Politiker und dem Paketboten.

Das Stück findet keine Lösung für die Ausgangslage. Es zeigt keine Hilfe, sondern die Wut der Figuren. Den Hass auf die Anderen und die Vereinzelung der Menschen. Es ist nicht positiv, sondern zeigt nur die vermeintliche Spaltung der Gesellschaft auf.

Wie ist Ihre Meinung dazu? Bitte schreiben Sie unter Kontakt!

Danke für das Bild der streitenden Männer von Roland Steinmann auf Pixabay!