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Zwei Paare wollen eigentlich nur für ein paar Wochen die Wohnungen tauschen. Daraus entwickelt sich eine Mischung aus Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ und Yasmina Rezas „Der Gott des Gemetzels“ wie es schon 2019 das Kellertheater Frankfurt zeigte. Moritz Rinke gibt der Regisseurin Judith Kuhnert in Darmstadt wieder einmal einen Stoff, der in Erinnerung bleiben wird, wie schon vor einigen Jahren im Stück „Frau Müller muss weg“. Wunderbar, dass der Kulturbotschafter wieder einmal vor Ort war und für uns UniWehrsEL-Leser kommentiert hat.

Liebes UniWehrsEL,

In der Schauspielkomödie „Wir lieben und wissen nichts“ von Moritz Rinke am Staatstheater Darmstadt geht es um zwei Paare und die Frage, wie wirkt sich die Arbeit auf den Alltag und das Leben als Paar aus? Hannah ist erfolgreiche Coachin von Bankern und anderen Promis, welche ihr Leben auf eine bessere Work-Life-Balance bringen möchten. Ihre Kunden sind reiche, dauergestresste Manager. Zur Zeit lebt Hannah mit ihrem Freund Sebastian in einer Wohnung, vermutlich in Darmstadt. Doch nun will Hannah beruflich Zürich erobern und nach Zürich, Basel, am besten die ganze Schweiz auswandern. Um Kosten zu sparen, will sie ihre gemeinsame Wohnung mit Sebastian mit einem Paar, welches aus der Schweiz, genauer aus Zürich kommt, tauschen. Doch der liebe Sebastian erweisst sich als heimtückisch. Hat er doch seine Sachen bis kurz vor der Abfahrt nach Zürich immer noch nicht in Kisten gepackt. Will Sebastian Hannahs beruflichen Erfolg boykottieren?

Sebastian ist Geisteswissenschaftler und freier Autor. Er schreibt gerade an einem neuen Buch mit dem Thema, ‚die Gesellschaft als Orgie‘. Mit Hannahs kapitalistischem Anbiedern der Seminare für Reiche kann Sebastian nichts anfangen. Zwar ernähren die Seminare ihn gut. Trotzdem kann er sich eine Spitze gegen Hannahs Brötchenerwerb nicht verkneifen. Sexuell läuft es auch nicht mehr so rosig bei dem Paar. Vielleicht, weil sich Sebastian mehr den Orgien in Büchern als in der Praxis widmet.

Zu allem Überfluss erscheint das Tauschpaar Roman und Magdalena deutlich verfrüht zur Abnahme der Wohnung. Roman hat einen wichtigen Job. Er muss Satelliten im Weltall beobachten. Die Satelliten müssen in die richtige Bahn gelenkt werden. Das ist sehr wichtig, denn die Welt will miteinander verbunden und verknüpft werden. Roman ist quasi wie ein Ritter, der andere mit seiner Technik ins gelobte Land bringt.

Dabei spricht er viel mit der Technik und wenig mit seiner Magdalena. Diese hat bei der Abreise nach Darmstadt einen wichtigen Brief in der Post entdeckt. Dieser Brief enthält das Kündigungsschreiben für Roman. Dieser will das Schreiben nicht wahrhaben und verweigert sich, das Schreiben zu lesen. Magdalena ist mitgekommen, um Roman emotional zu stützen. Doch dieser will von dieser Art Hilfe nichts wissen und lieber von Satelliten im Weltall reden.

Hannah ist von der ‚Macherart‘ von Roman angetan; verhält er sich doch ganz anders als Sebastian. Der Zuschauer erfährt, dass sich Sebastian hat testen lassen, ob er zeugungsfähig ist. Das Ergebnis war für ihn so erschreckend, dass er in den Sexstreik mit Hannah getreten ist, ohne ihr davon zu erzählen, weil er Angst hat sie zu verlieren. Deshalb flieht er in die Welt der Reclamhefte. Der Zuschauer sieht eine Schrankwand voll mit Reclamheften, ein Leben in einer Parallelwelt mit Klassikern, Sachbüchern oder zeitgenössische Autoren, als Flucht vor der realen Welt mit ihren Alltagsproblemen.

Das Stück zeigt eine Entfremdung der Paare. Beide Paare können nicht mehr ihre Wünsche äußern, sondern es herrscht bei dem Thema des Wünschens Stille. Dafür widmet sich jeder stattdessen der Arbeit wie Hannah und Roman oder vergräbt sich in Büchern wie Sebastian. Auch Magdalena ist mit sich nicht im Reinen. Sie versucht ihre vermeintlichen körperlichen Unzulänglichkeiten zu verbessern. So strebt sie an, sich durch Schönheit anderes wett zu machen, dazu gehört das Tauchen ihrer Knie in Sauerstoffbäder.  

Eine Botschaft des Stücks könnte dementsprechend lauten: während sich die Welt mit Technik zu verbinden versucht, herrscht Eiszeit in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Man hört dem Partner nicht richtig zu und erkennt auch nicht seine Bedürfnisse. So lebt man aneinander vorbei, findet kurzfristig Gefallen am Partner des jeweiligen Gegenübers, träumt vielleicht davon das auch ausleben zu dürfen, überschreitet aber nicht wirklich die einmal gesetzten Grenzen.

Wie finden Sie diese Thematik? Ist sie geeignet für eine Komödie oder steckt doch eine Tragödie dahinter? Das hat doch wirklich sehr viel mit unserem Seminar und der Problematik des Schweigens bzw. des Nicht-miteinander-reden-Könnens zu tun.

Am Ende bleibt ein Theaterabend in Erinnerung, der einmal wieder nachdenklich stimmt, trotz Witz und einem Humor, der manchmal in der Kehle stecken zu bleiben droht.  

Mit lieben Grüßen an die UniWehrsEL-Leser

Ihr Kulturbotschafter

  • Beitrags-Kategorie:Blog
  • Beitrag zuletzt geändert am:18. Dezember 2023
  • Lesedauer:6 min Lesezeit