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Der moralische Zeigefinger gegen die gefährdete Natur steht oft im Widerstreit zur besonderen Vorliebe für ein tierisches Produkt. Dies kam mir in den Sinn, als ich heute im Kuechenblock der Kuechenmarie nicht nur eine wunderbare Zusammenfassung unserer ersten Seminarstunde „Erst das Fressen, dann die Moral“ gelesen habe (tausend Dank an dieser Stelle für das große Lob, das mir durch Dich zuteilwurde, liebe Anne), sondern auch den Oktopus auf liebevolle Art zubereitet fand.

„Einen gekochten Oktopusarm (gibt es in vielen Supermärkten schon fertig in der Fischtheke) in Scheiben schneiden und im verbliebenen Fett in der Pfanne anbraten, ein wenig Zitronensaft hinzugeben und über die Zucchini auf dem Teller geben. Fertig.“

Da ist sie nun, die gefährdete Liebschaft, heiß begehrt, sehr bewundert und immer in Gefahr, vor lauter Liebe verspeiste zu werden. Man hat sie zum Fressen gerne, die kleine „Mundfreude“ (frz. Amuse Bouche), appetitanregend, in mundgerechte Happen geschnitten und liebevoll zwischen in dünne Streifen gehobelte und in Olivenöl angebratene, möglichst mit einem Schuss Pastis und etwas Oregano verfeinerte, Zucchini drapiert. Klingt einfach lecker!

Moment mal! Wie heißt es so schön, „des inen sin Uhl, ist des andern sin Nachtigall“ und meint, ethisch einwandfreies Speisen ist zwar eine Utopie, aber bei Oktopus-Speisen kommt so mancher nachdenkliche Gourmet auch bei flüchtiger Betrachtung zu keiner klaren Entscheidung.

Ein Beispiel liefert „arte“. Ein spanischer Fischereikonzern verkündet voller Stolz, ihm sei es erstmals gelungen, den Oktopus in Gefangenschaft zu vermehren. Das dient nun allerdings nicht der Arterhaltung, sondern hat für die Firma das Ziel „3.000 Tonnen jährlich zu ziehen und zum Verzehr zu verkaufen. Das soll Arbeitsplätze schaffen und den Wildfang entlasten. Es wird aber auch Millionen in die Kassen des Konzerns spülen“. Die Tierschutzpartei in Spanien läuft Sturm gegen den geplanten Bau der Krakenfarm, plädiert dagegen für eine längere Ruhezeit der Oktopusse, statt einer Massenzucht des als intelligent geltenden Tieres.

Der Verzehr von Oktopus sollte jedenfalls überdacht werden, so kann man in diversen Zeitungen nachlesen. Wer im Internet unterwegs ist, entdeckt, wie mit dem Entsetzen der Zuschauer gespielt wird. Da gibt es die chinesische Foodbloggerin, die versucht, einen lebendigen Oktopus zu verspeisen. Soll dies Aufschlüsse über chinesisches Essverhalten geben? Oder die Grausamkeit den Tieren gegenüber? Gibt es eigentlich genaue Zahlen, wie bedroht der Bestand an Oktopus tatsächlich ist? Hat man sich schon einmal Gedanken gemacht, wie er eigentlich gefangen wird, und dass das Fangen mittels Grundscherbrettnetzen den Meeresboden zerstört? Und last but not least: der Krake zählt zu den intelligentesten tierischen Lebewesen. Sollte dies eine Rolle spielen, sozusagen, wer dümmer ist, muss früher sterben?

Und dann gab es ja auch noch einen James- Bond-Film von 1983 mit Roger Moore, der seinen Titel einer James-Bond-Kurzgeschichte von Ian Fleming verdankte. Octopussy war der Spitzname einer Frau, die ihren eigenen Schmugglerring mit Sitz in Indien führte, die einen Wanderzirkus als legitime Geschäftsfront nutzte, bevor sie mit einem abtrünnigen sowjetischen General Geschäfte machte. Wer da wen mit seinen langen Tentakeln an Land gezogen hat, ist nachträglich nicht mehr festzustellen.

Dass Fressen und gefressen werden nicht nur im Kontext der Nahrungsaufnahme zwischen Mensch und Tier eine Rolle spielt, sondern auch im Miteinander in der Tierwelt, zeigt der Beitrag im Spiegel, indem es um Liebe, Sex und Tod des Octopus geht. “Die körperliche Liebe wird bei der beobachteten Octopusart deswegen im wahrsten Sinne des Wortes zur Lebensaufgabe: Einen Monat nach dem Geschlechtsakt schlüpfen die Jungen, das Elternpaar stirbt nur wenig später.” Auch dies scheint mir ein wesentlicher Aspekt im Kontext des Liebens, Sterbens und Vergehens zu sein.