Händels „Rodelinda“, aus kindlicher Sicht, und Matthias Brandt „Kosmos der eigenen Kindheit“
Gern gesehener Gast in Frankfurt ist Georg Friedrich Händel. 2025 ist seine „Rodelinda“, eine komplizierte Geschichte um Liebe, Treue, Verrat, Totschlag und Macht zu sehen. Sie wird in der Inszenierung von Claus Guth in der Gegenwart angesiedelt. Die große Familienauseinandersetzung, aus der Sicht des traumatisierten Kindes Flavio erzählt, beinhaltet schwelende Beziehungsprobleme und sogar Mordanschläge. Nun geschieht für den Zuschauer etwas Unerwartetes. Genau wie bei „Fräulein Else“ – einer Geschichte, die von Arthur Schnitzler aus der Binnenperspektive eines jungen Mädchens erzählt wird, – klingt auch die verworrene Story um „Rodelinda“, aus kindlicher Perspektive des Flavio wahrgenommen, plötzlich klar und plausibel. Die Sicht aus der Welt eines Kindes hat unseren Kulturbotschafter des UniWehrsEL auch an Matthias Brandt und dessen Kindheitserinnerungen, verarbeitet in „Raumpatroullie“ und gelesen im Schauspiel Frankfurt, erinnert.
Liebes UniWehrsEL,
In dieser Inszenierung wird die Geschichte nicht aus Sicht der Titelfigur Rodelinda erzählt, sondern aus Sicht einer Randfigur: Rodelindas Sohn. Der Sohn ist in der Deutung des Regisseurs Claus Guth nun die Hauptfigur. So wird die Story aus Sicht eines Kindes erzählt. Dieses Kind muss verkraften, dass der Vater abwesend ist. Die Mutter gegenüber dem Sohn verschlossen ist. Der Vetter auf den Sohn bedrohlich wirkt.
Das Bühnenbild ist in einem aufklappbaren Puppenhaus untergebracht. Es zeigt zwei Stockwerke. Das Puppenhaus ist in dem Stil eines englischen Herrnhauses eingerichtet. Es erinnert an den Regierungssitz des Englischen Premierministers in der Downing Street Nr. 10. Das Haus gehört also zur Oberschicht. Die Bühne ist drehbar. So kann der Zuschauer sie von außen und innen betrachten. Im Programmheft wird darauf hingewiesen, es handele sich um eine Nachbildung des Hauses, welches der Komponist Händel zur Zeit der Komposition von Rodelinda bewohnt haben soll. Dies zeigt das Händel mit seinen Kompositionen in London wirtschaftlich sehr erfolgreich gewesen sein muss, um sich so einen Prachtbau leisten zu können.
Für den Sohn von Rodelinda ist das Haus jedoch ein goldenes Gefängnis. Er wird von großen Bodyguards auf Schritt und Tritt überwacht. Dieses Szenario erinnert an die Kindheitserinnerungen von Matthias Brandt, der Sohn des ehemaligen Bundeskanzlers Willi Brandt. In seinem Roman Raumpatrouille verarbeitet Brandt seine Kindheitserinnerungen auf poetische Weise. In seiner Einsamkeit träumt sich Brandt in die Rolle eines Astronauten. Diese Astronauten waren in seiner Kindheit in den 1960er Jahren durch die Mondlandung der Amerikaner sehr populär. Es ist seine Art mit einem als öde, langweilig, empfunden Lebensalltag klarzukommen.
Die Lesungen von Matthias Brandt (E. T. A. Hoffmanns „Bergwerke zu Falun“) bleiben in Erinnerung. So auch „Life – Raumpatrouille & Memory Boy“ im Schauspiel Frankfurt, zusammen mit dem Singer-Songwriter Jens Thomas. An diese Begegnung mit Geschichten und Songs aus dem „Kosmos der eigenen Kindheit“ musste der Kulturbotschafter des UniWehrsEL denken, als er in der Inszenierung von Guth am 05.01.2025 saß und das Schicksal des kleinen Kindes verfolgte.
Einsame Menschen neigen zu einem hohen Maß an Phantasie, um die Langeweile (auch innere Traurigkeit) zu kompensieren. Dies ist auch bei Rodelindas Sohn der Fall. Anders als bei Matthias Brandt träumt sich Rodelindas Sohn nicht in die Welt der Astronauten, sondern verarbeitet seine Ängste unterbewusst, frei nach Freud, in schrecklichen Alpträumen.
In diesem Alpträumen verwandeln sich die Menschen aus seiner näheren Umgebung in düstere Monster. Diese verfolgen den Jungen in seinem Träumen. Besonders wenn er einen Streit zwischen Rodelinda und ihrer Umgebung mitbekommt, gerät der Sohn regelmäßig danach in ein alptraumhaftes Szenario.
Ein Streit wird als lebensbedrohlich von Flavio empfunden. Deshalb strebt er nach Harmonie. Dabei kann er die Trauer der Mutter nicht verstehen. Diese hält den Vater für Tod. Dabei hat dieser seinen Tod nur vorgetäuscht, um seine Feinde zu verwirren. Seinem Sohn hat er sich vermutlich, in Verkleidung, aber offenbart. Dies würde seine Reaktion auf den Tod des Vaters erklären. Er reagiert gar nicht an der Grabplatte für den Vater. So kann der Sohn die Trauer der Mutter nicht verstehen und ihr nicht helfen. Das fehlende Einfühlungsvermögen des Sohnes in die Lage der Mutter treibt einen Keil in die Beziehung zwischen Mutter und Sohn. Aus dieser Fehlkommunikation lässt die Regie die Alpträume des Jungen erwachsen.
Diese schrecklichen Gestalten erinnern an Monsterwesen wie sie der Zuschauer aus Halloween kennt. Die Figuren lassen den Betrachter deshalb an Halloween denken, weil die Gesichter der Monster an Kürbisfratzen erinnern, wie diese in Kürbisse geritzt werden. Die Monster könnten auch Vogelscheuchen ähnliche Wesen sein.
Die wohl berühmteste Vogelscheuche finden sich, passend zu Rodelindas Sohn im „Zauberer von Oz“ wieder. Möglicherweise liest Rodelindas Sohn gerade dieses Buch, wenn er in sein Zimmer geschickt wird, während die Erwachsenen die Weltpolitik unter sich neu gestalten. Denn in der Sage, auf welcher die Oper basiert, wird Rodelindas Sohn als Geisel genommen, um eine Heirat mit dem Feind zu erzwingen.
Da sich Rodelinda standhaft weigert, sich neu zu vermählen, wird ihr Sohn vom Feind in der Realität bedroht. Dies sorgt für die Missstimmung der Mutter. Um den Sohn nicht zu belasten, hält sie ihre innere Anspannung vermeintlich vor dem Sohn verborgen. Dieser spürt jedoch den inneren Konflikt der Mutter, deutet ihn aber falsch.
Der Vater deutet ebenfalls Rodelinda scheinbare Zugeständnis an den Feind, sich um des Sohnes willen doch neu zu verheiraten, als Treuebruch. Der Vater gerät darüber so in Zorn, dass er Rodelinda seinerseits bedroht. So deutet es jedenfalls der kleine Sohn, der diesen Konflikt zwischen Vater und Mutter als Alptraum empfindet. Der Sohn bezieht den Konflikt auf sich und verarbeitet ihn mit den Monstern.
Deshalb erinnert die Inszenierung mit den Monstern an diesem Punkt eher an einen grausigen Horrorfilm, als an eine Händel Oper. Die Wiederholung der Musik von Händel lässt dieses Horrorgefühl besonders stark aufkommen. Denn mit der Wiederholung tauchen die Monster in längeren Szenen auf und verfehlen beim Zuschauer ihre Furcht einflößende Wirkung nicht. Schrecken zu verbannen, das liegt der Regie nicht.
Trotz eines Happyends im Libretto bleiben die Familienkonflikte zwischen Vater, Mutter und Sohn am Ende bestehen. Logischerweise lösen sich die Alpträume des Sohnes auch nicht in Luft auf, sondern bleiben bestehen. Die Frage bleibt, wird der stark traumatisierten Sohn eines Tages zum Mörder seiner Eltern? Dies wäre eine Konsequenz aus dem ungelösten Konflikt der Familie. Mit mörderischen Familienkonstellationen kennt sich der Operngänger gut aus. So denkt dieser bei einem solchen Fall sofort an Elektra und ihre Lebensgeschichte und wie Elektra zur Mörderin an der Mutter und ihrem Liebhaber wird. Auch diesen Stoff hat die Regie in Frankfurt bereits bearbeitet.
Die Aufführung wird dem Zuschauer noch lange nach dem Besuch in Erinnerung bleiben. Denn die Bilder der Regie sind sehr einprägsam gewählt.
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