You are currently viewing Kommentar: Was macht eine gute Beziehung aus und “Die bitteren Tränen der Petra von Kant”

Was eine gute Beziehung ausmacht, das war unsere Frage auf der Grundlage des Theaterstücks “Die bitteren Tränen der Petra von Kant” von Rainer Werner Fassbinder.

Herzlichen Dank für den Kommentar!

In vielen Beziehungen ist Macht ein wesentliches Thema und auch die Zeit spielt eine wesentliche Rolle. So auch im Stück von Fassbender. Es soll die Machtstrukturen innerhalb von Beziehungen auslosten. Da in den 1970er Jahren die Beziehungen zwischen Mann und Frau die Regel war und nicht so offen über schwule oder lesbische Beziehungen gesprochen bzw. diese in den Medien nicht so einer breiten Öffentlichkeit bekannt waren wie heute, wo über den Christopher-Street-Day und die Gay-Parade regelmäßig in der Tagesschau berichtet wird, hat das Thema provoziert, wo es sich heute normalisiert hat. Ein Skandal ist es heute sicherlich nicht mehr, wenn zwei Frauen miteinander offen eine lesbische Beziehung leben.

Die Regisseurin Pauline Beaulieu behandelt das lesbisch sein per se in ihrer aktuellen Inszenierung nicht, sondern stellt die Beziehung ganz normal dar. Es wird also in keinster Weise mit Klischees aus heterosexuellen Pornos gearbeitet, wo Frauen, nachdem sie von einem Mann befriedigt worden sind aus einem Momentum der sexuellen Versessenheit noch schnell eine “Frau-Frau-Nummer” einschieben, um sich dann wieder dem Mann zu widmen. In solchen Filmen wird der Mann stets als dominat und die Frau als devot dargestellt. Nun zeigt gerade die Rolle der Petra Kant, dass auch Frauen dominant sein können. Petra Kant beherrscht die anderen Figuren.

Interessant ist, dass in diesem Stück eine Frau Macht besitzt und sich dann genauso grenzwertig bzw. grenzüberschreitend verhält, wie der Zuschauer dies sonst von männlichen Figuren wie z.B. Richard III gewöhnt ist. Das Stück war mit Anna Steffens in der Titelrolle sehr gut besetzt. Sie spielt ebenso in dieser Spielzeit die Mutter Courage, also eine Frau, die sich selbst und ihre Kinder in den Wirren des 30jährigen Kriegs ernähren muss und dabei harte Entscheidungen trifft. Anna Steffens hat in Platonow die gegensätzliche Rolle der Generalin gespielt. Diese müsste um ihre Vermögen zu retten, sich mit einem reichen alten Mann verbinden, wählt aber lieber den eigenen finanziellen Ruin und die vermeintliche Liebe zu Platonow, als sich in ihr Schicksal als Dekorationsobjekt eines reichen Mannes klaglos zu fügen. Sie ist mutig und stößt den reichen Alten vor den Kopf und ergreift auch gegenüber Platonow die Iniative, sich für sie zu entscheiden.

Spannend finde ich die optische Auseinandersetzung mittels der Kostüme. Auf der einen Seite sind die Frauen alle sehr weiblich in diesen Barock-anmutenden Kostümen oder Karin im Badeanzug. Die Kostüme bilden also ein weibliches Idealbild ab. Auf der anderen Seite verhalten sie sich nicht wie typische weibliche Figuren auf der Bühne. Alle wählen vorsichtig ihre Sprache, handeln überlegt und gewitzt,um ihre Ziele zu erreichen. So wie die Frauen in Cosi fan tutte, die sich gedanklich sehr langsam im Kopf der Frage annähren, ob sie ihren Partner betrügen sollten, weil die Gelegenheit gerade vor der Tür steht oder besser darauf verzichten sollen.

Petra Kant umwirbt Karin offensiv, und es muss schnell gehen. Sie baut Druck auf. Das weicht von dem Frauenbild, welches oft auf der Bühne gezeigt wird, ab. Frauen lassen sich dort stets langsam umwerben, Männer müssen den ersten Schritt machen und offensiv auf die Frau zugehen. Diese eingeübte Vorstellung von Frauenrollen wird in dem Stück hinterfragt, indem sich die Frauen klar positionieren. Die Tochter macht keinen Hehl daraus, dass sie es nicht toll findet, dass sich die Mutter eine Liebhaberin im Alter der Tochter nimmt. Auch die Mutter bringt klar zum Ausdruck, dass sie die lesbische Beziehung ihrer Tochter nicht begrüßt, sich aber damit abfindet bzw. davon ausgeht, dass sich diese Beziehung aufgrund der Streitereien zwischen Karin und Petra von selbst erledigt haben. 

In der Einführung wurde berichtet, dass das Stück in Europa ca. 200 mal auf Bühnen aufgeführt worden ist. Es ist das erfolgreichste Stück von Fassbinder. Von Schauspielerinnen wird es gerne gespielt, weil es für unterschiedliche Frauentypen Rollen anbietet. In Mainz wurde das Stück nur selten aufgeführt. Raus kam es in 2020 in Mitten der Coronapandemie. Es ist eine Kooperation mit dem Theatres de la Ville de Luxembourg. Das Stück wurde vom Schauspiel Mainz ausgewählt, weil es sich um die Oberflächlichkeit den äußeren Schein, dreht. Das soll die Modebranche, in der sich Petra bewegt, deutlich machen. Das Team suchte nach einem Stück, das sich mit der heutigen Influencer-Szene auseinandersetzt. Influencer sind Leute, die andere Menschen beeinflussen, etwas zu kaufen.

Mit ihrer Mode beeinflusst Petra den Kleidungsstil von jungen Menschen maßgeblich. Sie gibt vor, was gerade “in” ist oder als “out” gilt. Daher ist die Figur Petra ein Vorläufer von den heutigen Influencern im Internet, die sich mit Hilfe von Selbstvermarktung im Internet auf sozialen Plattformen präsentieren. Wer hat den besten Style – der gibt den Ton an. Dass solche Personen auch fragwürdiges Verhalten bzw. macht-dominiertes Verhalten gegenüber anderen Menschen und ihrem eigenen Umfeld ausüben können, darauf zielt die Inszenierung am Mainzer Schauspielhaus ab. In der Einführung nannte die Dramaturgin Petra Kant eine einsame Person, die mit Machtspielen in ihren Beziehungen ihre innere Leere füllt.

Was macht für mich die gute Beziehung aus?

– Füreinander da sein, aber auch sich Freiraum lassen, sich auf Augenhöhe miteinander befinden und nicht den anderen dominieren wollen.
– Miteinander lachen können, auch über die vermeintlichen “Influencer”!

  • Beitrags-Kategorie:Blog
  • Beitrag zuletzt geändert am:14. Februar 2024
  • Lesedauer:7 min Lesezeit