Im Buch „Wie man die Angst vor dem Tod überwindet“ beschreibt Irvin D. Yalom im dritten Kapitel, unter der Überschrift „Meilensteine des Lebens als Weckruf“, die besonderen aufrüttelnden Erlebnisse, die uns daran erinnern, dass unsere Zeit auf Erden nicht unbegrenzt ist. Diese `“Weckrufe“ bewirken ein Erwachen – erschreckend und gerade darum bereichernd.
„Le soleil ni la mort ne se peuvent regarder en face“ (Der Sonne und dem Tod kann man nicht ins Gesicht blicken) ist ein Zitat von Francois de la Rochefoucauld und steht direkt unter dem Buchtitel auf der ersten Seite von Yaloms beeindruckendem Fachbuch. Es beschäftigt sich mit einer unserer existenziellen Fragen, der Angst vorm Sterben, „unserem düsteren Schatten, der sich nicht abschütteln lässt“. Der Autor lässt den Leser wissen, Angst (statt „Furcht“) sei der Preis, den wir für das Bewusstsein unserer Existenz zahlen. Wie nun diese Angst zu überwinden sei, davon handeln seine beispielhaften Ausführungen.
Als „gewöhnlich und subtil zugleich“ beschreibt Yalom einen Meilenstein im Leben eines jeden Menschen, wenn er nach Jahren seine Klassenkameraden wieder trifft.
Wir alle kennen solche Treffen, nach 20, 30 oder 40 Jahren, in denen der Lebenszyklus deutlich spürbar wird, wenn man die einstigen Kameraden und Mitschülerinnen effektiv gealtert und erwachsen geworden wieder sieht. Natürlich wird auch derer gedacht, die inzwischen gestorben sind. Wie Yalom schreibt: „ein ernüchternder und machtvoller Weckruf“. Die zur Verfügung gestellten Jugendfotos tun ein Übriges. Der Vergleich zwischen den jungen, unschuldigen Gesichtern auf den Fotos und den „faltigen Masken“, die man beim Umherlaufen im Raum erblickt, erwecke die Gedanken: „So alt, sie sind alle so alt. Was mache ich hier? Wie wirke ich auf die anderen?“
Spannend wie Yalom seine eigenen Gedanken dazu entwickelt. Es geht nicht nur um die gemeinsame Geschichte und das Gefühl der Verbundenheit zu den einstigen Klassenkameraden. Vielmehr auch das Erstaunen darüber, dass es Menschen gab, die Dich kannten, als Du noch jung und frisch warst. Und tatsächlich gäbe es erstaunlich viele Heiraten nach einem solchen Anlass. Die lange Bekanntschaft wirke vertrauenserweckend und „alte Lieben flackern wieder auf, die alle sind Mitspieler in einem Drama, das lange zuvor vor dem Hintergrund grenzenloser Hoffnung begann“.
Erinnern Sie sich noch an Ihre Reaktionen nach dem letzten Klassentreffen?
Als weitere existentiellen Weckrufe sieht Yalom die „Besitzstandsregelungen“. Hier würde über den Tod und die Erben sinniert, was viele Fragen aufwirft: Wen liebe ich und wen nicht, wer wird mich eigentlich vermissen und wer wird sich über meine hinterlassenen Sachen freuen bzw. wer wird alles, was sich lebenslang angesammelt hat, einfach in den Mülleimer befördern? Wer darf meine E-Mails oder meine Briefe lesen, sollte ich sie nicht besser jetzt gleich verbrennen oder löschen, bevor Zuviel von mir durch sie offenbart wird?
Lösen diese leidenschaftlichen Gedanken existentielle Ängste bei Ihnen aus?
Auch die runden Geburtstage stellen nach Yalom potentielle Weckrufe dar. Worum geht es neben den Geschenken, Karten, Kuchen eigentlich wirklich? Sind diese Feiern vielleicht Versuche, keine Gedanken an das unerbittliche Schwinden der Zeit aufkommen zu lassen oder lösen sie sogar genau diese Gedanken aus?
Haben Sie sich schon einmal gefragt, welche Gefühle die großen, runden Geburtstage bei Ihnen auslösen?
Eine ganz besondere Art der Weckrufe stellen unsere Träume dar. Starke Träume, so Yalom, übermitteln Botschaften, die ebenso wachrütteln sollen.
Die Erfahrung, von einem solchen Ereignis, einer Begebenheit, einem Traum wachgerüttelt zu werden und darüber zu sprechen, gehört zur wichtigen Arbeit eines Therapeuten, weil sie für therapeutische Zwecke nutzbar gemacht werden können, lässt Yalom den Leser wissen.
Haben Sie schon einmal über Ihre großen Träume nachgedacht? Hätten Sie den Mut, mit einer Ihnen vertrauten Person darüber zu sprechen? Ob Träume Türen öffnen, die zum Erwachen führen können, darüber wird in unserem Seminar „Fremde Welt Nachterleben“ zu sprechen sein.
Danke für den morgendlichen Weckruf von Susane Jutzeler auf Pixabay!