You are currently viewing Stille Gedanken – Gedanken zur Stille

Ein erstaunlicher Leserbrief, der unmittelbar an das Thema Acedia, Melancholie und „Die große Stille“ anknüpft, erreichte mich kurz nach unserem Seminar am Donnerstag. Wir hatten dort sehr eifrig über die Stille und die innere Einkehr zu sich selbst reflektiert. Das Thema der Stille hat wohl nicht nur zu Recherchen angeregt, sondern auch einen Moment des Innehaltens bedeutet.

Herzlichen Dank, lieber Schreiber im UniWehrsEL, dass wir an Ihren Gedanken teilhaben dürfen.

Liebes UniWehrsEL,

die große Stille, die im gleichnamigen Film von Philip Gröning so wunderbar gezeigt wird, hat bei mir zahlreiche Gedanken ausgelöst. So erinnert sie mich an mich selbst, wenn ich die Einsamkeit auf ländlichen Fluren suche und mich in mich selbst zurückziehe. Schon Mark Aurel hat von der stillen ungestörten Zufluchtsstätte gesprochen, die der Mensch in sich trägt, der Menschenseele.

Meine Stille ist eine langsam heraufziehende Stille, so wie ich sie in meinem Inneren höre und in mir nachklingen lasse. Ich denke dabei an Robert Schumann und seine wunderbare Musik. Nachgelesen habe ich, dass einer seiner Texte von Carl Herloßsohn stammt. Herloßsohn schrieb zahlreiche Gedichte und Lieder, von denen einige im 19. Jahrhundert sehr populär wurden. Mehrfach vertont – u. a. von Robert Schumann – wurde Herloßsohns Wenn die Schwalben heimwärts ziehn. Geschrieben haben soll er auch ein Konversationslexikon für Damen. Es biete wohl “einen unerschöpflichen Fundus an Material zum Verständnis von “weiblicher” Bildung und Kultur, von spezifischen (männlichen) Vorstellungen, wie Frauen Bildung erfahren sollten und wie diese in die Gesellschaft eingebracht werden sollte.” Wirklich vielseitig, der Herr!

Es ist dem Menschen zuweilen zu eigen, bei der Stille gleichzeitig an “die Stille vor dem Sturm” zu denken, ähnlich wie es Niccolo Machiavelli (1469-1527) tat, der dabei an den Meeressturm dachte. Allzuviel Stille lässt wohl böse Ahnungen aufkommen.

Die Stille hat in meinen Augen zahlreiche Facetten, die irgendwie heute bei mir eine durchaus angenehme positive Melancholie auslöst. Ich denke da unter anderem an die Stille des Herbstes von Hugo von Hoffmannsthal, den österreichischen Dramatiker und Erzähler (1874-1929). Er gilt als bedeutender Repräsentant des deutschsprachigen Fin de Siècle und der Wiener Moderne und hat mit dem Zitat „Es gibt eine Stille des Herbstes bis in die Farben hinein“, wohl nicht nur die Stimmung eines Herbsttages, sondern auch die am Ende des Jahrhunderts treffend beschrieben.

Aber auch die Abendstille hat viel für sich, so wie sie Otto Conrad (1805-1882) empfunden und beschrieben hat ,,, nur am Bach die Nachtigall ..“ hat noch leise und klagend ihre Lieder gesungen, wie es im Liedtext weitergeht.

Wer in der Stille eine Antwort sucht, der baut im Sinne Newtons eine Brücke, um die Möglichkeit zu haben, darüber zu den anderen zu gelangen. Weniger Mauern und mehr offen bleiben für Neues steht dahinter.

Diese stillen Tage wecken Erinnerungen. Nicht nur wie bei Henry Miller Stille Tage in Clichy, sondern schon Martin Luther (1483-1546) schrieb über den „stillen Tag“, den er wohl mit dem Karfreitag verband. Es geht wohl darum, dass wer den Ostertag nicht mag, auch keinen guten Tag im Jahr hat. Ein Aphorismus, der immer noch gut bekannt ist.

Als letztes noch ein Wort zur „Stillen Vollkommenheit“. Eine Stille die plötzlich bei aller Rastlosigkeit auftauchen kann, inmitten aller weltlichen Sorgen und Nöte. Dann nehme ich mir die Zeit, still zu sitzen und zu lauschen. Ganz frei, nach Buddhas Worten höre ich dann die Melodie des Lebens, die in mir schwingt.

Es grüßt Sie alle ganz herzlich
Ein stiller und nachdenklicher Leser des UniWehrsEL

Ich habe selten soviel gelernt wie durch Ihren Artikel, lieber Schreiber. Ich bin wirklich sehr beeindruckt von Ihrem Wissen oder dieser sehr aufwändigen Recherchearbeit zu unserem Thema.

Danke auch an S. Hermann und F. Richter für den metaphorischen Sonnenuntergang, der Stille, Alter und Frieden miteinander verbindet.

  • Beitrags-Kategorie:Blog
  • Beitrag zuletzt geändert am:5. November 2022
  • Lesedauer:5 min Lesezeit