Zu den sieben Todsünden zählte die Acedia oder auch Trägheit des Geistes oder des Herzens. Am Ende zahlreicher Verfehlungen im menschlichen Handelns stehend, galt sie als das zwangsläufige Ergebnis maßloser Trink- und Esssucht. Jahrelang praktiziert zerstöre sie nicht nur die Sinne, sondern ließe den menschlichen Körper auch wesentlich schneller altern. Acedia war im Mittelalter auch als Mönchskrankheit bekannt.
Warum eigentlich? Im „Aerzteblatt“ versuche ich durch die Ausführungen von Hartmut Kraft meiner Frage auf die Spur zu kommen.
Kurz zusammengefasst lese ich, dass man das Thema des „Müßiggangs“ früher anders konnotierte. Körperliche Arbeit galt in der Antike als Zeichen der Unfreiheit. „Banausen“ waren gezwungen zu arbeiten. Wer dies nicht musste, der genoss die „vita contemplativa“ und konnte sich dem Kunstsinn und einem geistigen Lebensstil hingeben. Mit dem Christentum änderte sich diese Einstellung in den Wahlspruch „… so jemand nicht will arbeiten, der soll auch nicht essen“.
Diese Arbeitsethik der Benediktiner sei heute noch als „ora und labora“ bekannt. Dahinter verbarg sich, dass Müßiggang nicht nur aller Laster Anfang sei, sondern besonders bei Mönchen zum „Feind der Seele“ werden konnte. Die Medizin kannte damals noch nicht die zahlreichen Gründe, warum Mönche traurig, lustlos und schläfrig werden konnten und ihre vermeintliche „Trägheit“ dazu führte, ihre religiösen Pflichten zu vernachlässigen. Die, in der christlichen Frühzeit lebenden, Menschen litten zuweilen unter ihrer selbst gewählten „Isolationsfolter“. Hinzu kamen wohl Mangelernährung und die Unmöglichkeit einer medizinischen Abklärung, ob nicht Herzleistungsschwäche oder Schlafapnoe mögliche Ursachen der „Acedia“ sein könnten.
Hartmut Kraft erläutert einen weiteren Grund für den schlechten Ruf der Trägheit und führt die „protestantische Arbeitsethik“ an, die der deutsche Soziologe Max Weber postulierte. Schon bei Martin Luther sei zu lesen, dass der gute Christ viel zu wachen und früh aufzustehen habe, um der Faulheit zu widerstehen. Dies verstärkten die Puritaner, die geistigen Väter der USA, durch den Ausspruch: „Nichts ist so verderblich wie Faulheit!“ Und gipfelte schließlich im Ausspruch von Benjamin Franklin aus dem Jahre 1748: „Time is money“.
Acedia, auch Pigritia genannt, habe sich aus dem Mönchstum emanzipiert und alle Bürger erreicht, so Kaft. „Die Trägheit als Sünde ist im Alltag angekommen, wie die Darstellung einer Magd auf der Grafik von Vorsterman nach einem Entwurf von Adriaen Brouwer zeigt. Den Kopf aufgestützt in die kräftige rechte Hand, die Augen geschlossen – kein Zweifel: Hier ruht die Arbeit. Ein Skandal für den Arbeitgeber, der diese offenkundige Faulheit auch noch entlohnen soll. Dass kleine Pausen die Arbeitsfähigkeit, gar die Kreativität fördern können, hat sich erst viel später als Erkenntnis durchgesetzt.“
Dieses gedankenverlorene Sinnen erinnert mich sehr stark an Dürers Melancholie.
Ein sehr interessanter Leserbrief von Maria Pohlen an das UniWehrsEL widmete sich genau diesem Thema und ergänzte es zudem durch einen Filmtipp, den ich sehr gerne aufgreife.
„Vergangene Woche wurde im Seminar öfters von der Anfälligkeit der Mönche für die Acedia gesprochen, ausgelöst durch das Alleinesein in der Zelle. Dem möchte ich hinzufügen, dass das doch wohl eher für die ganz frühen Wüstenväter galt, die tatsächlich unter extremen Bedingungen sich der „Gott-Suche“ hingaben.
Vor Jahren sah ich den bemerkenswerten Film „Die große Stille„. Philip Gröning filmte die Kartause Chartreuse über ein Jahr lang. Obwohl der Kartäuserorden ein sehr stiller Orden ist, bekam man nicht den Eindruck, als ob die Zelle anfällig für „Acedia“ mache. (Jedenfalls nicht mehr als Corona und home-office zusammen.) Eine kluge Ordensregel sorgt für „ora et labora“, Handwerk, Landwirtschaft, freie Zeit im Schnee und auch Reisen in wissenschaftlichem Interesse und Verbundenheit mit der Welt gehören dazu. Diese Regeln verfolgen die meisten Ordensgemeinschaften schon seit Jahrhunderten, auch wenn sie lange Klausurzeiten beinhalten.
Über etliche Jahre hinweg hielt ich mich selbst Zwei-Wochen-weise in Klöstern auf, um Zen einzuüben. Es waren sehr besondere Wochen, auch anstrengend körperlich und seelisch. Die erstaunliche Erfahrung aber war nicht Melancholie, sondern eine gesteigerte Wahrnehmung der sinnlichen Welt und die Erweiterung (oder doch eher Vertiefung?) des Sehens und Fühlens. Nun gut, es waren „nur“ zwei Wochen . . . Aber das Verständnis für Rhythmus mit seinen Wechseln und Pausen blieb mir.
Vielleicht gleitet die Melancholie ja deshalb auch in die Depression ab, wenn man sozusagen aus dem „Takt“ gerät. In diesem Lebenstakt hat die Melancholie ja einen guten und berechtigten Platz. Sie zu verdrängen, als unnütz oder krankhaft zu bezeichnen, lässt sie sich nicht so gerne gefallen.
Von alldem schienen die Mönche jedenfalls auch Kenntnis gehabt zu haben. (Nicht zuletzt haben wir der mönchischen Melancholie etliches an Dichtung und Künsten zu verdanken, gleich, welchen Geschlechtes sie waren.)“
Maria Pohlen
Herzlichen Dank, liebe Frau Pohlen!