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Im Sommersemester 23 wird eines unserer Themen das “Fressen und die Moral” sein. Unabhängig von der, von Anne Winckler und mir angedachten Thematik rund um das Thema Essen, wurden wir durch einen Leserbrief im UniWehrsEL auf ein aktuelles Stück in den Kammerspielen in Frankfurt aufmerksam gemacht, das sich anscheinend des gleichen Schwerpunktes annimmt.

Was lag also näher, als sich dieses Stück namens “Der kleine Snack” einmal anzusehen und seine eigene Meinung zu bilden. Da Anne und ich zu getrennten Terminen gehen wollten, liegt es eigentlich nahe, hier meine Meinung zu dem Stück, nebst weiterführender Gedanken, zur allgemeinen Kenntnis zu bringen.

Liebe Anne,

hier also meine Ideen zum Thema Theater rund ums Essen in Frankfurt. Zu sehen sind fünf Darsteller:innen, die in knapp zwei Stunden überbordende  Energie verbreiten, unterlegt mit zugespielter Unterhaltungsmusik und eigenem Gesang, teilweise im Kanon. „Essen und Trinken“ werden facettenreich und mit viel Spielfreude präsentiert. Das, was danach herauskommt, die Fäkalien, werden für meinen Geschmack etwas zu breit getreten. Denn frei nach Goethe: „Getretener Quark wird breit nicht stark“!  zeigt das Spiel für mich durchaus zuweilen ein wenig Längen und Wiederholungen und es verlangte mich, bei soviel überbordendem Schwung und Elan, nach einer Pause.

Grundsätzliches wie Ausbeutung, Ernährungstrends, Monokultur, Kreislaufwirtschaft, Ressourcen und Tierwohl wird in einen Handlungsrahmen eingebunden, der surrealistisch anmutet und mit viel Gelächter begleitet wird. Wieder beim Thema der „Scheiße“ angelangt, wird in teilweise sich überschlagenden Wechselgesprächen über Schwemmkanalisation und Trinkwasseraufbereitung schwadroniert, quirlig und lustig verpackt und, zum Teil in Slapstick-Manier, kräftig durch die „braune Brühe“ (den Kakao) gezogen.

Es wird gelacht, gerannt, getobt, die Spielszenen sind genauso schillernd wie die Kostüme und ganz sicher, die Schauspieler haben ihre Rollen inkorporiert, sie spielen sie nicht nur, sondern leben sie.

Da findet sich die verführerische Chefin und Geschäftsfrau (gespielt von Anna Kubin). Sie beherrscht das Gebiet des Trend-Foods zumindest verbal, denn außer Ei, Banane, Ketchup und Senf und einer Heringsdose findet sich nichts Essbares. Macht aber nichts, denn ein Salat-Mix ist sowieso im Trend, braucht eben nur einen interessanten Namen wie „Salat Nicoise“ oder so ähnlich. Mit bunt schillerndem Rock dominiert und wirbelt sie über die Bühnenkulisse, die eigentlich nur aus einem riesigen marmorscheinenden Hightech-Herd mit überdimensionaler Abzugshaube erscheint. Der Herd ist auseinander zieh- und klappbar, man kann auf ihm liegen, kuscheln oder referieren, was man ausgiebig abwechselnd oder gemeinsam in Angriff nimmt.  

Ein wenig älter und sehr belesen erscheint die eine Hälfte eines Frauenpaares (dargestellt von Heidi Ecks), die in sanftem Schwarz-Weiß gewandet, mit einem Tuch um die schmale Mitte, galant durch die Küche schwebt. Mir scheint darauf ist eine Languste gemalt, könnte sich aber auch um ein Stück Darm handeln. Sie fingiert am laufenden Band Telefonanrufe, die ihre Unabkömmlichkeit von der Arbeit dokumentieren. Anscheinend ist sie so etwas wie eine Dozentin und Expertin für Geflügelabbildungen auf Renaissancegemälden. Diese ständigen störenden Anrufe, mit einem imaginären Telefonpartner, sorgen für große Heiterkeit, beim überwiegend jugendlicheren Publikum.

Ihre bessere Hälfte (gespielt von Lotte Schubert) hat ganz andere Sorgen. Hat doch ihre Lebensgefährtin dem gemeinsamen Kind zum Frühstück etwas Fleischiges mitgegeben, Ein absolutes ‚no-go‘ in der gemeinsam gewählten Kindertageseinrichtung, wo sich alles um Vegetarisches dreht. Im schwarz-gepunkteten weißen Felljäckchen und kirschroter Caprihose, mit schwarzem Brillengestell und dunkler Lockenperücke, stellt sie sich vor allem als Schnellsprecherin heraus. Bestimmt nicht einfach zu sprechen, allerdings auch nicht immer einfach verständlich.

Dann wäre da noch der ‚Boy-Friend‘ (dargestellt von Christoph Pütthoff), dessen schmieriger Cordsamtanzug auf seinen Charakter schließen lässt. Das gilt auch für seine Kostüme, er wechselt vom farbenfrohen Bunt, samt Schürze, und zeigt damit, wie schnell er sich vom Straßenclown in die Rolle des fehlenden Kochs eingelebt hat. Er schmeichelt, tänzelt und berückt nicht nur die Damenwelt, sondern auch seinen Partner, den Investor des ganzen Unternehmens.

Dieser, mit umwerfendem Charme (gespielt von Mark Tumba), gibt der Runde endgültig den gelösten Rahmen zwischen Lachen und Lächerlichkeit. Seine sehr schlanke Figur hüllt unter anderem ein erbsengrüner Samtanzug ein. Ein Investor ohne einen Pfennig, kann nur durch sein Äußeres einnehmen.

Ernste Themen humorvoll verpackt, das ist zeitgemäß. Der Bühnenvorhang in rot-weiß zeigt, die “ganze Welt ist ein Theater und wir sind nur die Kandidaten” (frei nach Hape Kerkeling). Neben Fressen und Moral kommt Gendern als aktuelles Thema nicht zu kurz.  Ein schwules und ein lesbisches Pärchen, eine patente Managerin, die aus „Scheiße Geld machen will“, ein Chaos, das zeigt, “am Ende wird alles gut, und wenn nicht, dann ist es noch nicht das Ende” (mein persönlicher Wahlspruch!).  

Grell, bunt, surreal ist es wahrhaft „ein kleiner Snack“, der zwischendurch kurz einmal genossen werden kann. Er hat sein Vorbild in einer anderen Inszenierung des Schauspiel Frankfurt, mit dem Titel „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“.

Vor einem Jahr wurde Luis Buñuels „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“ für die Bühne aufbereitet und damit speziell dem Frankfurter Publikum ein Spiegel vorgehalten. Teilweise findet man im kleinen Snack sogar die gleichen Schauspieler wieder, wie Mark Tumba oder Anna Kubin. Und um das Thema des Essens dreht es sich allemal.

Wie konnte man in der Frankfurter Rundschau nachlesen: „Während es bei Buñuel herkömmliche Abendessenseinladungen sind, die immer wieder irgendwie schiefgehen, trifft man sich auf der Frankfurter Bühne zum gemeinsamen Kochen. Macht unheimlich Spaß, das gemeinsame Schnippeln und Quatschen. Zwar misslingt das auch hier, und selbst die Pizzabestellung – unter anderem mit einer Hildegard-von-Bingen-Calzone, denn die Pizzabäckerei von heute weiß, was das achtsame Publikum will – scheitert am Zusammenbruch des armen, blutüberströmten Boten. Was die fidele Blase wenig bekümmert, bloß die Pizzen, wie traurig, könnten kalt und ungenießbar sein.“

So, liebe Anne, das war es für heute von mir. Ich freue mich auf unser gemeinsames Seminar und grüße Dich ganz herzlich
Elke