You are currently viewing „Von dem Mäuschen, Vögelchen und der Bratwurst“ und was ist Ungerechtigkeit?

Sich die Bälle – bzw. auf den Blogbeitrag Anne Wincklers “Rache ist Blutwurst” beziehend – die Würste zuzuwerfen, das gelingt meiner Kollegin und mir wahrlich prächtig. Dass dabei vieles zum Thema „Rache“ zum Tragen kommt, wie besagte Ausführungen zu Rache im Kontext von Blutwurst, kann wiederum von mir als “Steilvorlage” genutzt werden, um das kommende Seminar der „Psychologie der Rache“ im Gedächtnis zu verankern. Damit nicht genug, auch beim „Flanieren durch den Märchenwald“ wird Anne Winckler mich begleiten. Sie wird auf dem Spuren des Spreewalds wandeln, den sie durch den Spreewaldkrimi wieder entdeckt und um seine geheimnisvollen Geschichten im Seminar bereichern will. Tausend Dank dafür.

Ich dagegen bleibe noch ein wenig auf der Wurst-Spur und einer Tierfabel, bei der es um die Wurst geht. Das Gemenge Rache, Wurst, Märchen und Wald ergibt wunderbare Zutaten für das Märchen „Von dem Mäuschen, Vögelchen und der Bratwurst“. Es führt direkt zur Grundlagenliteratur unseres Märchenwald-Seminars, zu den amüsanten Ausführungen des Autoren-Teams Bartoschek/Waschkau und ihrem kulturell-psychologisch angelegtem Buch „Psycho im Märchwald“. Schon der Titel verrät, hier wird es nicht immer ganz ernst zugehen.

Besagtes Märchen so erläutert die Kulturwissenschaftlerin Alexa Waschkau, steht in den Kinder- und Hausmärchen bei den Grimms, ist ansonsten im ATU-Index aufgeführt und in die Gruppe der „Sonstigen Wildtiere“ eingeordnet (vgl. Waschkau, 2014, 94 ff). Wo die Grimms das gefunden haben? Es stammt aus Philanders von Sittenwald wunderliche und wahrhaftige Gesichte (1640), wurde von Clemens Brentano, der Tiermärchen gerne als Gleichnisse nutzte, modernisiert (1806). Schließlich wurde es durch Jakob und Wilhelm Grimm, die sich 1812 auf die Spurensuche nach „altdeutscher Mythologie“ begaben, kurz und knackig auf den pädagogischen Punkt gebracht:
Wem es zu wohl ist, den gelüstet nach neuen Dingen!

Hier sei der Inhalt nur ganz kurz wiedergegeben. Es geht um eine Dreier-WG von Mäuschen, Vögelchen und Bratwurst, die in Frieden leben und eine genaue Arbeitsteilung eingeplant haben. „Des Vögelchens Arbeit war, daß es täglich im Wald fliegen und Holz beibringen müßte. Die Maus sollte Wasser tragen, Feuer anmachen und den Tisch decken, die Bratwurst aber sollte kochen.“

In diese Arbeitsteilung kommt aber Unfrieden durch die Einflüsterungen Außenstehender mit der Folge, einer tiefgreifenden Unzufriedenheit und Änderung der Aufgabenteilung. „Das Vöglein anderen Tages wollte aus Anstiftung nicht mehr ins Holz, sprechend, es wäre lang genug Knecht gewesen, und hätte gleichsam ihr Narr sein müssen, sie sollten einmal umwechseln und es auf eine andere Weise auch versuchen. Und wiewohl die Maus und auch die Bratwurst heftig dafür bat, so war der Vogel doch Meister: es mußte gewagt sein, spieleten derowegen, und kam das Los auf die Bratwurst, die mußte Holz tragen, die Maus ward Koch, und der Vogel sollte Wasser holen.“

Wie zu erwarten, ging die Sache schief: “Es blieb aber das Würstlein so lang unterwegs, daß ihnen beiden nichts Gutes vorkam, und das Vöglein ein Stück Luft hinaus entgegenflog. Unfern aber findet es einen Hund am Weg, der das arme Bratwürstlein als freie Beut angetroffen, angepackt und niedergemacht. Das Vöglein beschwerte sich auch dessen als eines offenbaren Raubes sehr gegen den Hund, aber es half kein Wort, denn, sprach der Hund, er hätte falsche Briefe bei der Bratwurst gefunden, deswegen wäre sie ihm des Lebens verfallen gewesen.“

Auch für das neue Zweiergespann Maus und Vögelein ging die Sache nicht gut aus: „…so deckte das Vöglein den Tisch und die Maus rüstete das Essen und wollte anrichten, und in den Hafen, wie zuvor das Würstlein, durch das Gemüs schlingen und schlupfen, dasselbe zu schmälzen: aber ehe sie in die Mitte kam, ward sie angehalten und mußte Haut und Haar und dabei das Leben lassen.

Als das Vöglein kam und wollte das Essen auftragen, da war kein Koch vorhanden. Das Vöglein warf bestürzt das Holz hin und her, rufte und suchte, konnte aber seinen Koch nicht mehr finden. Aus Unachtsamkeit kam das Feuer in das Holz, also daß eine Brunst entstand; das Vöglein eilte, Wasser zu langen, da entfiel ihm der Eimer in den Brunnen, und es mit hinab, daß es sich nicht mehr erholen konnte und da ersaufen mußte.“

Nun musste ich laut lachen, ob der psychologischen Deutung Bartoscheks, denn äußerst humorvoll und sarkastisch stellt er die Frage danach: „Ob es bereits schon früher psychologische Experimente mit psychoaktiven Substanzen gegeben habe?“ Ja klar, der Chemiker Albert Hofmann habe es doch 1943 vorgemacht und seine Versuche, so Bartoschek seien wohl nicht weniger skurril zu lesen, wie die Idee, eine Bratwurst wolle eine WG gründen, deren Mitbewohner Maus und Vogel sind (vgl. Bartoschek, 2014, 96).
Aus der Vogelperspektive gesehen – und das finde ich an Bartoscheks Deutung bemerkenswert – gehe es nicht darum, dass es dem Tier einfach zu „wohl“ gehe, sondern ein anderer Artgenosse habe ihn davon überzeugt, er würde ungerecht behandelt. „Manchmal beklagen Menschen Ungerechtigkeit dort, wo gar keine ist, sondern wo sie nur von außen so aussieht. Sie tun dies mitunter, wenn es komplexe Sozialsysteme gibt, die ihrer eigenen Wertordnung widersprechen und sie versuchen, diese auf ein einfaches „Gut“ und „Böse“ zu reduzieren.

Also mit meinen Worten gesagt, denken Sie bitte selber, was gut für Sie ist und lassen sich von anderen keine Lösungen aufdrücken, die sich im Endeffekt an ihnen rächen und vielleicht sogar – wie im Tiermärchen dem Vögelchen – das beste kosten, was Sie haben, Ihr Leben! Also passen Sie bitte gut auf sich auf! Und wie Bartoschek eindringlich hinzufügt: “wenn eine Bratwurst anfängt mit ihnen zu sprechen, oder gar für sie zu kochen, sollten sie sich in jedem Fall an eine Person ihres Vertrauens wenden.”

Danke für den Ausschnitt der Bratwurst von Christian Dorn auf Pixabay!