Im Jahr 1978 produzierte Fassbinder die Geschichte einer ebenso schönen wie ehrgeizigen Frau. Sie schafft den sozialen Aufstieg in den ersten Nachkriegsjahren mit wenig Skrupeln, mangelnder Empathie und einer großen Sehnsucht nach Liebe. Hanna Schygulla (zuletzt beim UniWehrsEL zitiert in „Poor Things“) als Maria Braun wird zum großen Publikumsliebling. Ihre Rolle verknüpft sich eng mit der frühen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. „Die Ehe der Maria Braun“ sollte Rainer Werner Fassbinders größter Publikumserfolg werden. Ein neues Drehbuch von der Regisseurin Lilja Rupprecht Am Schauspiel Frankfurt nimmt sich nun des Drehbuchs an, ohne sich um den Film zu kümmern und begeistert das Publikum mit seiner Originalität. Natürlich hat unser Kulturbotschafter des UniWehrsEL darüber berichtet, herzlichen Dank!
Liebes UniWehrsEL,
Den Film mit Hanna Schygulla als Maria und Klaus Löwitsch als Hermann Braun habe ich 1979 gesehen. Hermann und Maria heiraten im zweiten Weltkrieg, dann muss er an die Front. Sie glaubt, er ist gefallen und beginnt ein Verhältnis mit Bill, dem schwarzen GI. Hermann kommt zurück, ertappt seine Frau mit Bill, der darufhin von Maria mit einer Flasche erschlagen wird. Hermann geht für sie ins Gefängnis. Ivan Desny verkörpert den Fabrikanten Oswald, in dessen Firma und Leben Maria eine Rolle spielt, während der Gefängniszeit von Hermann.
So weit, so gut. Nun aber zu dem Schlüsselmoment des Films. Maria zündet ein Feuerzeug über der Gasleitung. Das Haus mit dem Ehepaar fliegt in die Luft. Was treibt Maria zu dieser Handlung, die auf Rache basiert?
Kurz davor fand ein klärendes Gespräch zwischen ihr und ihrem Mann statt. Sie erfährt, dass ihr Leben auf einer Lüge basiert. Das treibt sie zur Rache, zur schrecklichen Tat, zur Vernichtung ihrer Ehe und ihres Lebens. Sie ist bei der Testamentseröffnung. Sie erfährt die bittere Wahrheit. Der von ihr vergötterte Ehemann und ihr Liebhaber, ein reicher Industrieller, haben einen teuflischen Pakt geschlossenen. Beide haben sich im Gefängnis kennengelernt und gemeinsam beschlossen, das Leben von Maria zu manipulieren. Der Industrielle nimmt sie zur Geliebten, bis zu seinem nahenden Krebstod. Dann soll der Ehemann gemeinsam mit Maria alles erben. So können sich beide Männer ein schönes Leben mit Maria gestalten. Maria glaubt bis zu diesem Zeitpunkt, dass sie ein freies, selbstbestimmtes Leben führt. Dass sie Karriere macht, wegen ihrer außergewöhnlichen Persönlichkeit, nicht wegen eines Deals zwischen zwei Männern in einer Gefängniszelle. Dieser Trugschluss wird Maria klar, und sie sinnt auf Rache.
Statt des Happyends gibt es zwei Tote. Dazu läuft im Radio die Fußballweltmeisterschaft 1954.
Die Erzählung der Ehe der Maria Braun schaut auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Beginn der Wirtschaftswunderjahre. Maria steht für eine Frau, die sich ohne Lebenspartner durchschlagen muss. Ihr Mann muss gleich ein paar Stunden nach der Hochzeit zurück an die Front. Es beginnt eine Zeit der Ungewissheit für Maria. Eine Zeit des Wartens. Diese füllt Maria mit eigenen Aufgaben. Sie macht Tauschgeschäfte. Sie arbeitet in einer Bar. Lernt im Bett mit einem ‚Ami‘ die englische Sprache. Sie töten den amerikanischen Liebhaber, und der heimgekommene Ehemann geht für sie ins Gefängnis. Sie macht Karriere in einer Firma. Kurz gesagt erfährt sie eine große Freiheit durch die Abwesenheit des Ehemanns.
Der Film „Die Ehe der Maria Braun“ wurde 1978 von Fassbinder gedreht. Er ist Teil einer BRD-Trilogie. Die zwei anderen Filme sind „Lola“ (1981) und „Die Sehnsucht der Veronika Voss“ (1982). In allen dreien hat Fassbinder besondere Frauencharaktere in den Mittelpunkt gestellt.
Die Bühnenfassung vom Schauspiel Frankfurt hat sich den Film von 1978 gar nicht angesehen, sondern anhand des Drehbuchs von Fassbinder, Pea Fröhlich und Peter Märthesheimer eine eigne Fassung geschaffen. Der Stoff „Die Ehe der Maria Braun“ wurde deshalb ausgewählt, weil der Text nach Angabe der Regisseurin Lilja Ruppert etwas Zeitloses hat. An Fassbinder mag sie seinen speziellen Humor, und dass der Mensch als Ganzes im Zentrum steht.
Warum wählte Fassbinder den Titel? Maria, die Protagonistin, ist Madonna und Hure, verkörpert in Einem zwei klassische Frauenfiguren. Der Nachname Braun spielt auf die Nazizeit an, lässt an Eva Braun, die Geliebte Hitlers, denken (ehlich gesagt, ich denke da ganz spontan an Udo Lindenberg und seinen „Rudi Ratlos“, denn da gibt es wohl auch Assoziationen zu längst vergangenen Zeiten und Eva Braun kommt auch drin vor). Die Ehe ist der Zeitraum, in dem die Handlung spielt. Das Stück beginnt mit der Eheschließung und endet mit dem Tod der Eheleute durch das Gasleck. Das Ende im Film wird angedeutet. Deshalb ist es in der Bühnenfassung auch offen. Schluckt Maria den Betrug durch Herrmann (Ehemann) und Oswald (Industriellen) oder trennt sie sich? Macht sie Schluss, in einem Moment der Rachegefühle?
Die Bühne ist in der Frankfurter Fassung als Spielfeld gestaltet. Rupprecht wählt zum Ausdrücken von Gefühlen, Sex und Innigkeit das Tanzen. Es wird also viel getanzt. Miteinander oder auch alleine. Um den Wiederaufbau der Gesellschaft klarzumachen, bricht im ersten Moment nach der Eheschließung ein aus Bauklötzen errichtetes Haus ein. Marias Aufgabe ist es, dieses Haus wieder neu entstehen zu lassen. Es neu aufzubauen.
Die Schauspieler werden auf einer Leinwand wie im Kino projiziert. So gibt es fast Filmsequenzen. Die festinstallierte Kamera soll einen anderen Blick auf das Geschehen ermöglichen. Das Private ist manchmal politisch und umgekehrt. So wird der Amerikaner Bill wie im Spielfilm erschlagen, seine Leiche bleibt auf der Leinwand stehen, während er die Rolle wechselt und zum Gerichtsschreiber wird, der Maria zum Tathergang befragt.
So spielen, bis auf Manja Kuhl als Maria, alle anderen Schauspieler mehrere Doppelrollen. Manja Kuhl ist also das Herzstück der Aufführung, um sie herum ist die Inszenierung gebaut. Caroline Dietrich spielt z.B. die dicke Betti, Marias beste Freundin. Im Gegensatz zu Maria „aus der etwas gemacht wird bzw. die aus sich etwas macht“, wie Willi der Partner von Betti anerkennend feststellt, bleibt Betti Hausfrau und Beraterin von Willi.
Zunächst ist Betti glücklich darüber, dass ihr Willi heil aus dem Krieg zurückgekehrt ist. Deshalb muss sie nicht wie Maria in einer zwielichtigen Bar arbeiten, sondern die klassische Rollenverteilung, der Mann als Ernährer und die Frau als seine Stütze im Haushalt, einnehmen. Mit der Figur der Betti zeigt Fassbinder wie das Leben von Maria auch hätte verlaufen können, wenn Herrmann früher aus dem Krieg nach Hause gekommen wäre. So ist Maria nicht die strahlende Siegerin gegenüber ihrer Freundin, sondern in unterschiedlichen Lebensphase ist die Abwesenheit des Ehemannes gut oder schlecht für die weitere Lebensentwicklung.
Was können wir aus der Rückschau in die Nachkriegszeit bzw. auf den Film in 1978 für 2024 lernen?
Zu „Die Ehe der Maria Braun“ nehme ich als Botschaft des Stücks mit, dass es einer Frau auch in der Nachkriegszeit gelingen kann, ihr Leben selbstbestimmt in Eigenregie zu gestalten. Das ist eine positive Botschaft und sicher auch für die heutige Zeit gültig. Das Ende finde ich ein wenig konstruiert. Dass Maria Braun durch die Männer manipuliert worden ist und diese sie wie Puppenspieler gelenkt haben, ist eine interessante Wendung. So richtig glaube ich daran nicht, weil Maria Braun eigenständig Entscheidungen trifft und für sich selbst einsteht. Die Autonomie der Maria Braun ist eine Innere wird aber durch äußere Umstände noch begünstigt.
Da fällt mir das Beispiel des Schwimmweltmeister ein, der ein Interview gibt und erklärt, er könne sich auf den Wettkampf noch so akribisch vorbereiten, die äußeren Umstände am Wettkampftag, wenn es um das Siegen gehe, seien nicht vorher kontrollierbar, sowohl Platz eins, als auch der undankare 4. Platz seien möglich. Auf Maria Braun übertragen hieße das für mich, sie kann sich auf ihre Aufgaben noch so gut vorbereiten und begabt sein, ob sie letztlich eine erfolgreiche Unternehmerin wird, ob sie als Siegerin hervorgeht, hängt auch von den Umständen, dem Umfeld und letztlich auch von den Machtstrukturen ab.
Da wäre ich nun sehr gespannt, ob dies die UniWehrsEL-Leser auch so interpretieren würden!
Mit besten Grüßen Ihr Kulturbotschafter
Danke wieder einmal an Gerd Altmann auf Pixabay, der das passende Bild gestaltet hat!