Haben Sie sich schon einmal gefragt, was ein „Perfekter Tag“ für Sie wäre? Ich habe einmal herumgefragt und meistens die Antwort bekommen: „Ein perfekter Tag ist für mich, wenn alles so klappt wie ich es mir wünsche!“ Einige fragten danach, warum ein Tag eigentlich perfekt sein müsse. Und ob Perfektion nicht schon ein Anspruch sei, dem sie sich nur allzu gerne entziehen würden, weil alleine der Anspruch schon Stress mache. Einigen wir uns darauf: Möglicherweise liegt die Perfektion eines Tages im Auge des Betrachters. Menschen lieben ‚Happyness‘ und Tage, an denen zumindest zeitweise so ein Gefühl des Glücklichseins aufkommt, sind somit (fast) perfekte Tage.
Geschrieben hat mir vor einiger Zeit ein Opernfan. Dieser erklärt mir, er möge besonders gerne den Ausdruck “glückliche Tage” in Don Carlos von Schiller. Dort seien die glücklichen Tage zwar vorbei, wenn die Verdi Oper richtig Fahrt aufnehme. Aber der oft nicht gespielte 1. Akt brächte den perfekten Tag ganz gut zum Ausdruck: „Es passiert nichts Wichtiges für die spätere Handlung, aber Don Carlos und Elisabeth durchleben auf dem Lande, fern vom Alltag, ihre beste Zeit und somit den perfekten Tag“. Ich deute das einmal so, Allein zu Zweit in der schönen Natur mit einem geliebten Menschen, da kann der Tag zu einem perfekten Tag werden
Bedeutsam sei im Kontext des perfekten Tages auch des Schreibers Lieblingsoper „Hochzeit des Figaro“. Am Anfang des Tages stehe die Enttäuschung Figaros über seinen Freund den Grafen. Dieser mache sich hinter Figaros Rücken an seine Geliebte Susanna heran. Am Ende des Tages stehe dann die Hochzeit zwischen Figaro und Susanna an. Ein Beispiel dafür, wie aus einem schlechten Tag letztlich der perfekte Tag doch noch werden könne, wenn sich die eigene Eifersucht als unbegründet herausstellt oder wenn man erfolgreicher als der Rivale ist?
Für den Kinofan könnte ein perfekter Tag so aussehen: Man sucht sich einen sonnigen Tag aus, durchstreift erst gemeinsam mit einem lieben Menschen den Wald, genießt eine kleine Mahlzeit beim Thai oder Italiener und schaut sich dann „Perfect Days“ in der „Harmonie“ in Frankfurt an. Da sieht er nun einen einsamen Mann alleine vor einem offenen Fenster in einem spärlich eingerichteten Zimmer mit Futon-Matte, Regal mit Musikkassetten und kleiner Leselampe. Was also braucht Man(n) um glücklich zu sein; Ein wenig Sonnenschein, ein gutes Buch und Musik. Fehlt da nicht noch etwas?
Es ist nur eine von vielen weiteren Momentaufnahmen, die Einblicke in den Alltag der Hauptfigur Hirayama geben. Für eine Kulturanthropologin wie mich steht fest, hier stukturieren Routinen und Rituale einen Tag und machen ihn – vielleicht dadurch – zu einem gelungenen. Die kleinen Bonsais auf dem winzigen Balkon sanft mit Regenwasser bestäuben – einen von ihnen hat er als Setzling gerade im nahen Park, den er täglich besucht, entdeckt. Ankleiden, Zähne putzen, Kaffee aus dem Automaten vor der Wohnung, sorgfältg ausgesuchte Musik aus dem aus der Mode gekommenen Kassettenrekorder im Auto auf dem Weg zur Arbeit. Und dann der tägliche Höhepunkt: die Ästhetik der Design-Toiletten mit zum Teil futuristischem Lichtspiel, deren Pflege sich Hirayama mit Hingabe widmet. Da drängt sich doch der Vergleich zu den Frankfurter Toiletten auf, den Renate Goldbach und Julius Jonasch in den Abstracts zu unserem Buch “Frankfurter-Augenblicke” verfassten.
Wim Wenders war im Mai bei den Filmfestspielen von Cannes gleich zweimal mit neuen Filmen vertreten, außer Konkurrenz mit dem 3-D-Dokumentarfilm „Anselm – Das Rauschen der Zeit“ über den Monumentalkünstler Anselm Kiefer und im Wettbewerb mit seinem jüngsten Spielfilm, „Perfect Days“. Nachlesen und nachhören kann man, dass Wim Wenders’ “Perfect Days” ein „leiser, stiller“ Spielfilm sei, aus einer Einladung Wenders nach Tokio entstanden. Eigentlich als Dokumentarfilm gedacht, sei spätestens nach der Besichtigung der „Toilettentempel“ die Handlung in einen fiktionalen Kontext gehoben worden. Es entstand eine Geschichte über das schlichte Leben eines Mannes, der voll und ganz mit sich im Reinen zu sein scheint. Warum gibt es dann in der Schlussszene auf seiner Heimfahrt doch noch einige Tränen oder schimmert da nur für mich eine gewisse Sehnsucht nach dem Gefühl der Zweisamkeit durch?
Die Figur des Hirayama erscheint widersprüchlich. Gemütsruhe und leidenschaftliche Gründlichkeit bei der Arbeit, Diskretion im Umgang mit den „Kunden“, die das stille Örtchen aufsuchen, Gleichmut dem Kollegen gegenüber bei dessen mäßigen Engagement, monetäre Hilfsbereitschaft bei der erfolglosen Anmache dessen Angebeteter. Jeden Abend das Waschen im öffentlichen Bad nach Feierabend, das Abendessen im Lokal, das Lesen Faulkners nachts alleine. Hiramaya lächelt still vor sich hin, beim Rauschen der Blätter, bei nächtlichen und Tagträumen mit flimmernden Schwarzweißbildern, bei den stillen Begegnung mit den wenigen Frauen, die für ihn im Alltag noch eine Rolle spielen wie seiner jungen Nichte, die Zuflucht bei ihm vor der übergriffigen Mutter sucht.
Der titelgebende Song „Perfect Day“ (Lou Reed) beschreibt die Stimmungslage und das wundervolle Spiel der Blätter im Park, das Hirayama fotografisch festhalten will. Es gibt wohl über Vergangenheit und Zukunft nicht mehr viel mehr zu sagen als das, was Hiramaya selbst als eines seiner wenigen Worte einmal ausspricht. „Was vergangen ist, ist vergangen. Jetzt ist jetzt.“
Dem Filmemacher und Fotografen Wim Wenders ist nicht nur ein kleines filmisches Meisterwerk gelungen. Zudem hat er sich auch in die Malerei des von mir äußerst geschätzten amerikanischen Klassikers Edward Hopper hineinversetzt. Nachlesen kann ich: “Das geschah schon einmal 1977, als Wenders „Der amerikanische Freund“ drehte und Bilder aus einem Hopper-Katalog an die Wände seines Büros, als Vorbilder für die Einstellungen seines Films pinnte. 20 Jahre später findet man Hoppers Gemälde „Nighthawks“ in Wenders’ Film „Am Ende der Gewalt“ in einer Szene exakt nachgebaut. Und nun hat Wenders Hoppers Bild „Gas“ nachgestellt – und fortgesetzt.”
Vielleicht hätte sich da mit einer Berlinreise ein weiterer perfekter Tag angelassen? Aber: „Was vergangen ist, ist vergangen. Jetzt ist jetzt.“
Quelle: Wim Wenders, „Two or Three Things I Know About Edward Hopper“, bis 4. März 23, Galerie Bastian, Berlin