Er ist weltweit berühmt: Edward Albee. Als Adoptivsohn eines Theaterunternehmers im Bundesstaat New York aufgewachsen, lebenslang mit einer kritischen Grundhaltung gegen Institutionen vorgehend, sei es der Schulbesuch oder die Militärakademie, fand er schließlich zu seiner wahren Berufung, dem Theaterstücke schreiben. Finanziell durch eine kleine Erbschaft unabhängig, ging er nach Florenz, übte erste Gesellschaftskritik zum „american way of life“, sprach sich gegen Rassendiskriminierung aus und begann Stücke wie „Die Zoogeschichte“ und „Der Tod von Bessie Smith“ zu schreiben. Aus dem bekannten Kinderlied „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann“ könnte auch eines seiner bekanntesten Stücke „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ entstanden sein.
Auf die Idee, dieses Stück auch im Kontext der „Psychologie der Rache“ zu betrachten, brachte mich ein Leserbrief, den Sie im Anschluss an meine Kurzausführungen finden. Herzlichen Dank dafür!
Dreckloch, verdammtes!“ ruft Martha als Auftakt zu Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“. Gerade kehrt sie mit ihrem langjährigen Ehemann George von einer Party nach Hause. Chaos, Depression und Alkoholismus bestimmen dieses dreiaktige Beziehungsdrama, dessen emotionelles Feuerwerk an Dialogen rund um den zwischenmenschlichen Beziehungskampf den Zuschauer auf allen Bühnen herausfordert. Beide teilen ein Geheimnis, das den Kitt und Rettungsanker in ihrer Beziehung darstellt und über das auf keinen Fall gesprochen werden darf. Es geht um ihren gemeinsamen Sohn.
Nick und Schätzchen wahren ebenfalls ein gemeinsames Geheimnis. Das junge Paar lebt seit einer Scheinschwangerschaft kinderlos zusammen. Sie sind von Martha in der Nacht auf einen Absacker ins Haus auf dem Campus eines privaten amerikanischen Colleges geladen worden. Sie wohnen dort, weil Martha die Tochter des Collegepräsidenten ist und George geheiratet hat, weil sie ihn für den potentiellen Nachfolger ihres Vaters hielt. Diese Erwartung erfüllte sich nicht, George hat auch in dieser Hinsicht in ihren Augen versagt und ist einfacher Geschichtsprofessor geblieben.
Das Viererstück zwischen Nick, dem Biologieprofessor mit neuer Stellung am College, seiner verschreckten, am Ende völlig betrunkenen jungen Frau, der angriffslustigen Martha und George, der zum Gegenangriff bläst und sich gnadenlos für alle Demütigungen rächt, spielt sich im Wohnzimmer des Hauses ab. Die gemeinsamen „Gesellschaftsspiele“, dieses Abends sind von Demütigung und Niedertracht gezeichnet. Flirts, bis zum Betrugsversuch durch Verführung des jungen Nick von Martha führen; Neckereien, die in Beleidigungen und Obszönitäten gipfeln. Erst sind die Besucher noch erstaunt, dann werden sie immer mehr hineingezogen und erfahren, dass neben des beruflichen Misserfolgs Georges, auch die Kinderlosigkeit in der Partnerschaft für das Scheitern der Ehe verantwortlich ist.
Zusammen geblieben sind sie durch das Konstrukt eines gemeinsam erfundenen Sohnes, den George am Ende als Höhepunkt der Eheschlacht und als grausamen Racheakt für alle erlittenen Demütigungen einfach sterben lässt. Er verkündet den Unfalltod dieses Sohnes und lässt Martha völlig gebrochen und aller Illussionen beraubt zusammenbrechen. Am Ende bleiben die beiden alleine, gefangen in ihrer Verlorenheit und Hassliebe.
Liebes UniWehrsEL,
am 02.02. habe ich die Vorstellung Wer hat Angst vor Virginia Woolf? am Staatstheater Mainz besucht. Menschen die das Stück nicht kennen würden denken, es geht um die heute fast vergessene Schriftstellerin Virginia Woolf. Dass es sich quasi um eine Autobiographie der Autorin handelt. Dies ist jedoch eine falsche Richtung. Der Titel „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ wird in den ersten Minuten des Stücks als Songtext aufgedeckt. Dieser Songtext wird von der Figur Georg lustig geträllert, wie andere Leute „O sole mio“ singen würden. Die Inszenierung ist eine gemeinsame Produktion mit dem „Les theatres de la Ville de Luxemburg“. Das Besondere an dieser Kooperation ist, dass einer der Schauspieler, in diesem Fall der bereits erwähnte Georg, von einem Schauspieler Luc Feit aus Luxemburg gespielt wird. In der weiblichen Titelrolle brilliert Anne Steffens, die in Mainz bereits als Brechts „Mutter Courage und ihre Kinder“ und in der Bühnenfassung des Films von Fassbinder „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ zu erleben war. Dies sind beste Aussichten für einen grandiosen Theaterabend.
In dem Seminar Schweigen im Wintersemester 23_24 ging es auch um Verhaltensweisen von Männern und Frauen. Schweigen wird oftmals als Waffe in der Auseinandersetzung zwischen den Geschlechtern eingesetzt. In „Wer hat Angst vor Viginia Woolf“ wird viel geredet und die zwei Paare – neben Georg und Martha gibt es noch den durchtrainierten Nick und seine Süße – schenken sich nichts. Für den Zuschauer wird es dann besonders spannend, wenn das Schweigen aus scheinbar heiterem Himmel einsetzt. Da erfährt der Zuschauer, dass die Süße ihre Mann Nick hintergangen hat, weil sie kein Kind will. Doch vielleicht sagt sie es auch nur, um ihn zu verletzten. Georg und Martha sind in sich herzlich in Abneigung zugetan. Sie machen sich gegenseitig fertig. Georg hat nicht die Karriere gemacht, die Martha für ihn vorschwebte. Er ist nicht der Nachfolger ihres Vaters des Universitätsdekans geworden, sondern nur ein „einfacher“ Akademiker ohne eine besondere Veröffentlichung in der Fachwelt. So wirft es Martha Georg vor. Doch ihr Spiel geht weiter. Sie erzählen von ihrem Sohn, der heimkehrt. Dass es diesen Sohn nicht gibt, erfährt der Zuschauer erst wenn die Stille einkehrt. Die Kämpfe gekämpft sind.
Das Stück stammt aus der Feder des Autos Edward Albee. „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ hatte am 13. Oktober 1962 am New Yorker Brodway Premiere. Das Stück hat die Presse polarisiert. Deshalb hat es vielleicht seinen Weg zurück auf die Bühne ans Staatstheater Mainz gefunden. Der Daily Mirror schrieb über die Premiere „ein krankhaftes Stück für kranke Leute“. Dem Publikum gefällt bis heute die Ehezerfleischung. Das wunderbare an diesem Stück ist, dass es den Zuschauer an die eigenen Auseinandersetzungen, Verletzungen im familiären Umfeld erinnert. Denn schließlich gilt: nur wen du wirklich doll liebst, mit dem streitest du schon mal wie die Kesselflicker. Besonders populär wurde das Stück durch die Verfilmung mit Elisabeth Tailor und Richard Burton aus 1966.
Der bereits genannte Titel spielt natürlich auf das bekannte Kinderlied „Wer hat Angst vorm bösen Wolf? Niemand!“ an. Eine Neuauflage dieses Stücks gab es 2006 mit dem „Gott des Gemetzels“ von Yasmin Reza, indem zwei streitende Paare über die Kindererziehung eine ebenso brillante Auseinandersetzung führen wie Georg, Martha und Co.
Es zeigt aber auch den Teufelskreis, in dem Paare miteinander gefangen sind. Es ist voll bitterem Zynismus und bösem Humor. Die Ausweglosigkeit der Figuren wird dem Zuschauer sehr deutlich gemacht. Vielleicht führt der Abend von Georg, Martha, Nik und Süße auch zu einem Neustart der Beziehungen?
In Mainz hat K.D. Schmidt diesen Abend inszeniert. Dabei wird geflirtet zwischen Martha und Nick. Ordentlich getrunken von der Süßen Jil Devresse, sich fast geprügelt zwischen Georg und Nick. Kurz es ist ein Seelenstriptease auf den die Zuschauer geschickt werden. Die besten Stücke sind die, in denen einem das Lachen im Halse stecken bleibt? Nach dieser Regel sieht der Zuschauer eine außergewöhnliche Charakterstudie von vier Menschen.
Wer den ständigen Wortschwall der Figuren nicht erträgt – der soll halt rausgehen. Für alle anderen ist es ein herrlicher Abend. Und keine Angst am Ende kommt das „große Schweigen“.
Kleine Ergänzung zum Text über das Stück:
Wie kommt jemand darauf so einen Zimmertheaterstück zu schreiben wie „Wer hat Angst vor Virginia Woolf? Der Autor Edward Albee wurde kurz nach seiner Geburt von einem Betreiber eines Theaters adoptiert. So lernte er das Gesehen auf der Bühne kennen und hatte einen großen Hang zum Theater. Schon mit 12 verfasste er sein erstes Bühnenwerk eine erotische Farce „Aliqueen“ und entdeckte seine Homosexualität. Leider hat er als Kind nicht Klavier spielen gelernt, sonst wäre Albee wohl gerne Komponist geworden. Seinen Durchbruch als Bühnenautor schaffte er mit 30. Sein erster großer Erfolg war die „Zoogeschichte“. Diese Story wurde von Samuel Beckett und dem absurden Theater inspiriert. Er wurde stolze 88 Jahre alt. Über 20 Stücke schrieb Albee als Autor. Bis in 2007 schrieb er Stücke. Für eine Reihe von seinen Bühnenwerken gibt es Hörfassungen im deutschsprachigen Raum. Sein bekanntestes Werk ist „Wer hat Angst vor Virgina Woolf“. Die Verfilmung gewann 5 Oscars und einen Grammy. Für die Virginia Woolf gewann er auch den Pulitzer-Preis
Mit lieben Grüßen an die UniWehrsEL-Leser und dank für die tollen Seminare! Ich freue mich schon auf deren Fortsetzung im Sommersemester 24!
Danke an Gerd Altmann auf Pixabay, der mit dem Bild „Revenge“ den Rachekrieg in einer Beziehung so trefflich zum Ausdruck gebracht hat!