You are currently viewing Kommentar zu “Montezumas Rache” oder wie man ein gutes Referatsthema findet

Wie viel Frau doch erfährt, wenn sie sozusagen „zwischen den Zeilen“ lesen kann, will oder möchte. Klar ist, meine Kollegin Anne Winckler kann schreiben. Amüsant, lehrreich, unterhaltsam, den Leser ansprechend, weil eine Schriftstellerin eben etwas zum Zeitgeist beitragen oder gegen ihn anschreiben kann. Persönliches darf da auch nicht fehlen.
Ganz plakativ die Überschrift: „Montezumas Rache“ – ein Schelm, der Schlechtes dabei denkt! Ein Reisebericht über Mexiko, vielleicht als das Land ihrer Träume oder Sehnsuchtsort, wäre da schon einmal denkbar. Das erweist sich schnell als gedanklicher Irrweg meinerseits, denn schon lässt Anne Winckler uns wissen, sie hätte Flugangst. Aber nicht genug, wenn schon so eine besondere Reise anstünde, dann keinesfalls ohne diese Absichtsbekundung im Vorfeld im Blog „an die große Glocke zu hängen“ und die heroische Leistung entsprechend bloggemäß „abzufeiern“. Das hätten die Leser gewiss auch getan. Allein, nichts zieht sie nach dem fernen Mexiko, warum auch in die Ferne schweifen, wo sie doch noch einen Koffer in Berlin hat. Und mit großem Schwung und unverkennbar schelmischen Lachen drehst Du Dich, ganz so wie wir Dich kennen, liebe Anne, in meine Richtung und wendest Du Dich einer gänzlich anderen Geschichte zu. Dazu mein Brief als Antwort auf Deinen tollen Beitrag mit großem Dank!

Liebe Anne,

Montezumas Rache“ ist spontan das, was Dir zu meinem Sommersemester-Seminar 24 zur Rache einfällt. Das freut mich natürlich, weniger die angedachten unangenehmen Folgen des Durchmarschs, als die Freude darüber, wenn Du meine angedachten Themen aufnimmst und weiterspinnst. Auch wenn selbst über die Jahrhunderte hindurch der Fluch Montezumas nichts von seiner Durchschlagskraft verloren hat, und noch heute etliche Touristen quält, also nichts an Aktualität eingebüßt hat, ist es einfach nicht Dein Thema.

Gut passen würde es zu einem Fortsetzungsseminar zum Seminar des Fressens und der Moral, unter der potentiellen Überschrift „Schlaraffische Exzesse und deren durchschlagende Folgen“ oder so ähnlich. Wenn auch momentan nicht als gemeinsam Dozierende, so doch getreulich zuweilen an meiner Seite die Studierenden wie die UniWehrsEL-LeserInnen gleichermaßen unterhaltend (danke!!), bin ich recht glücklich über Deine Mitgestaltung. Gerade zu ‘ins Ohr hüpfend’ war in der Tat Dein wunderbar recherchierter Beitrag zur Stille in der Musik.

Die schweigenden Stellen, in der Musik fälschlicherweise Pausen genannt, so erklärte ja bekanntlich schon der weltbekannte Geigenvirtuose Yehudin Menuhin, seien ihm als Musiker die liebsten, „die wie der leere Raum zwischen zwei aufgeladenen Gewitterwolken die Kraft des Blitzes in sich tragen“. Klar, dass bei diesen Bildern sofort auch der von Dir geliebte Maler Caspar David Friedrich vor dem geistigen Auge auftaucht und die Rachearie der Königin in der “Zauberflöte” die Nachtruhe stört. Allein, sie gehören schon ins Reich der Nostalgie, oder mit Deinen Worten sind sie „abgearbeitet“. Um es mit den Worten des Dichters Villon auf die Frage “Mais ou sont les neiges d’antan?” – “Aber wo ist der Schnee von gestern?” zu sagen, alles hat eben seine Zeit.

In diesem Sinne sind die Seminare Träumen und Schweigen gewissermaßen leise fallender Schnee von gestern. Die „Psychologie der Rache“ und das „Flanieren durch den Märchenwald“ prägen sich langsam, aber gewaltig, unaufhaltsam ins studentische Gedächtnis ein (so hoffe ich zumindest). Jetzt also heißt es in Deinem Sinne eine neue Schnittmenge zu entdecken, zwischen Musik, Märchen und Rache.

Rache, so beschreibt es der Psychotherapeut und Autor Reinhard Haller im Sachbuch „Rache“, das wir im Seminar als Grundlagenliteratur nutzen wollen, ist ein vielfältig und nur in Teilbereichen zu begreifendes Gefühl. Genau dies gelte auch für die ihm zugrunde liegenden Motive und Gefühle. Hier kommen wir doch Deinem Wunsch nach einem Dich anspringenden Referatsthema bestimmt näher. Bei der Rache spielt beispielsweise die Persönlichkeitsstruktur des Rächers, seine Sozialisation und sein aktueller psychischer Zustand eine Rolle.

Bei jeder Rache, die aus Neid, Hass, Gekränktheit resultiert, gibt es Motivationsfaktoren, die das Selbstvertrauen wieder herstellen und einen Ausgleich zum erlittenen Unrecht darstellen sollen. Bestrafung des Schädigers, er muss Buße tun und Sühne leisten, Abschreckung als Wunsch nach eigenem Schutz hat Bedeutung.

Das sind nun einmal erste Gedanken und nun noch ein Opernbeispiel, dessen Protagonist als Archetypus für bestimmte Merkmale der Persönlichkeit herhalten könnte. Da wäre „Don Giovanni“ mit unwiderstehlicher Wirkung auf Frauen, Verführung, Manipulation, um sich Vorteile zu verschaffen, Betrug und Gewalt bis zum Mord. Seine Erregbarkeit und Impulsivität sind legendär, sein Verhalten zeugt von grundlegender Missachtung bestehender Gesetze und Normen. Im Spiel um Verführung und Rache kann es gegen Ende nur den finalen Höllensturz geben.

Märchen und Opern bieten reichhaltigen Stoff, der sich um menschliches Leid und auch um Rache dreht. Über Puccinis letzte Oper „Turandot kann man nachlesen: “… geht auf ein persisches Märchen zurück, obwohl es nicht in Persien, sondern in China spielt …. Prinzessin Turandot, die Tochter des Kaisers von China, will sich an den Männern für die Vergewaltigung an einer weit in der Vergangenheit zurückliegenden Vorfahrin rächen, indem sie jedem Mann, der um sie wirbt, drei Fragen stellt, die der Bewerber beantworten muss. Kann er dies nicht, wird der Bräutigam in spe erbarmungslos hingerichtet.”

Und last but not least zum Thema des Essens und der Rache: Ein immer wieder aktuelles Thema ist Gift als stets beliebtes Mittel, um Rache zu nehmen oder Rivalen zu beseitigen. Einige Sorten sind zudem leicht zu bekommen, nicht nur wenn man über einen Garten verfügt. Noch heute bleiben viele Giftmorde im Dunkeln. Das macht die Sache für potentielle Täter so interessant. Pflanzen, Pilze und Tiere haben solche höchst wirksamen Gifte entwickelt, um sich gegen Fressfeinde zu verteidigen oder um Beute zu erlegen. Auch unsere heimische Natur geizt nicht mit Giften. Vor allem das Reich der Pflanzen und Pilze bietet ein Arsenal, mit dem sich der Weg zum Thron oder zur Erbschaft erheblich verkürzen ließe und auch von Motiven wie Neid oder Rache wimmelt es nur so.

Rache ist auch eng mit Schadenfreude und die wiederum mit “Mitleid” verbunden. Als Beispiel für skurrilen schwarzen Humor kommt mir „Arsen und Spitzenhäubchen“ in den Sinn. Da wandelt der prominente Theaterkritiker Mortimer Brewster auf Freiersfüßen. Bevor es in die Flitterwochen geht, will er sich im behaglichen Häuschen seiner beiden betagten Tanten von ihnen verabschieden. Die haben da ihr eigenes „Erlösungsprinzip“ geschaffen, indem sie reihenweise alleinstehende Männer von ihrem trostlosen Dasein befreien; der vergiftete Holunderbeerwein aus eigener Herstellung leistet dabei gute Dienste.

So, liebe Anne, nun danke ich Dir herzlich für Deine zahlreichen Anregungen, wie beispielsweise die Fleischschnecke gefüllt mit Blutwurst und Oktopus, die mich immer voranbringen, zum Weiterdenken veranlassen und so einem Stillstand im Denken Vorschub leisten. Hoffentlich droht da nicht Montezumas Rache!

Beste Grüße

Elke

Danke für das Bild von Reinhard Thrainer auf Pixabay von der gegrillten Blutwurst. Es weckt bei mir Assoziationen zum Sprichwort “Rache ist Blutwurt”