Du betrachtest gerade Teil 2: Was Bilder zu Exzess, Ekstase erzählen; mit Pfarrer Schnell im Städelmuseum 2025

In Erinnerung bleibende „Frankfurter Augenblicke“, dazu gehört gewiss auch ein Städelbesuch mit Pfarrer Schnell. Der erste Teil der Zusammenfassung unserer Führung im Frankfurter Städel zeigte Bilder aus der Zeit des Barock (1600-1720). Giovanni Battista Tiepolo malte „Die Heiligen der Familie Crotta“ und den ekstatischen Moment, der den Heiden zum Glauben führte. Allerdings war der Maler selbst kritisch gegenüber dem Kunstsystem des Barock. Giulio Carpioni d. Ä. malte mit „Bacchanal“ eine mythologische Darstellung des Rausches. Sassoferrat bezog sich mit „Maria Immaculata“ auf das „Anhimmeln“ und die „Verzückung“. Blechen bemerkte in Italien bei „Tarantella“ wenig ekstatische Freuden. Anders Corinth, der Begeisterung für seine „Carmencita“ zeigte. Im Teil 2 schauen wir auf „Exzesse“ bei Leon Golub (1969) und Helmut Middendorf (1979).

Den US-amerikanischen Maler und Graphiker Leon Golub (1922-2004) lernten wir schon bei der letzten Führung durch Pfarrer Schnell im Frankfurter Städel 2024 kennen. Mit „Fallen Figure (Fallen Fighter)

zeigte sich ein brutaler Exzess zweier Kämpfer. Schockierend ihre Darstellung, blutverschmiert, die Haut vom Leib gerissen, malt Golub die Archetypen zwischenmenschlicher, genuin männlicher Macht und Gewaltexzesse, die gleichzeitig faszinieren und Abscheu erregen.

Dieses mal führt uns Pfarrer Schnell zu Golubs „The Caress“ („Die Liebkosung“) von 1969.

Auch hier wieder fällt die besondere Art seiner Maltechnik auf. Sie zeigt die Haut eines Paares beim Liebesakt aufgekratzt, roh und fleischig. Verzogene Gesichtszüge changieren zwischen Schmerz und Leidenschaft. Golub greift, so die Beschreibung, auf zahlreiche Medien zurück. Auf rauem Malgrund schabt er die aufgetragene Farbe immer wieder ab, vermittelt damit wiederum wie bei „Fallen Figur“ den Eindruck abgezogener Haut. Auch in der sexualisierten Darbietung zeigt sich seine exzessive Darstellung von Macht und Gewalt. Selbst beim Liebesakt mutet die männlich dominierte Welt aggressiv an. Die in der Kunst manifestierte Faszination der Verbindung von Grausamkeit und Erotik zeigt sich auch bei „The Caress“.

Im Kunstforum ist über Golub nachzulesen: „1922 in Chicago geboren, gehörte er, der mit seinen stets in gewalttätige Aktionen verwickelten Riesenfiguren in der amerikanischen – und europäischen – Malerei der achtziger Jahre einen entscheidenden und eigenwilligen Akzent setzt, eher in den Kontext der Popart, jener künstlerischen Bewegung also, die, in London ihre Initialzündung erhielt, aber von New York aus den Siegeszug um die Welt antrat und dem Optimismus und der Wachstumseuphorie der Wohlstandsgesellschaft in den sechziger Jahren einprägsamen bildlichen Ausdruck verlieh“. Er nahm an der an der Anti-Vietnam-Bewegung teil, engagierte sich bei “Artist Call against U.S. Intervention in Central America” und beschäftigte sich mit den Schattenseiten des Lebens: Kriminalität, Brutalität, Gewalttätigkeit.

Den Abschluss der Führung bildet Helmut Middendorf mit dem Bild „Electric light

Dargestellt wird mit leuchtendem Rot und strahlendem Blau eine pulsierende Nachtszene. Die blau maskierten Wilden erinnern an die „Bluemangroup“. Blue Man Group ging aus einer Gruppe junger Performance-Künstler hervor.

Ist es das pulsierende Nachtleben der wilden 80er Jahre in Berlin, das zu Überlegungen zwischen „Ecstasy und Ekstase anregt? Wird hier wirklich abgetanzt oder Aggression ausgelebt, wie lassen sich diese energischen Pinselstriche und die gemalte Aktion deuten? „Action painting“ verkörpert mit „Electric Night“ das Lebensgefühl einer Generation. Ekstase durch die alternative Musikszene, als Ausdrucksmittel für ein Eintauchen in das Selbst durch „Ecstasy“ und das Entschwinden des Individuums in der anonymen Masse.

Helmut Middendorf, 1953 in Dinklage geboren ist bekannt als Rockmusiker, Experimentalfilmer, Galerist, international bekannter Künstler und lebt und arbeitet heute in Berlin und Athen.

Durch diese wunderbare Führung durchs Städel ist uns die Besonderheit unserer Stadt Frankfurt am Main mit seiner imposanten Museumslandschaft nochmals näher gebracht worden. Herzlichen Dank an Sie, lieber Pfarrer Schnell. Dieser Beitrag hätte auch bestens in unser Buch gepasst:

Elke Wehrs (Hg.) Frankfurt mit eigenen Augen gesehen“ – Stadterkundungen für Neugierige

auch als Buch (ISBN 978-3-7562-0455-7) im Buchhandel erhältlich

Bildgestaltung Christel Enders (Umschlag Rückseite zum Buch)