Am 23.01.25 kamen wir im Kontext des Seminars „Exzesse, Ekstase, Askese“ in den Genuss einer Führung im Frankfurter Städel durch Pfarrer Schnell. Wie bereits im letzten Semester knüpfte seine Bildauswahl inhaltlich an unsere Seminare an. So konnten wir abermals staunen (passend zum Seminar Staunen) über das große Wissen im biblischen Kontext, das uns Pfarrer Schnell offerierte. Herzlichen Dank dafür! Alle hier gezeigten Bilder stammen aus der Digitalen Sammlung des Städels. Das Städel Museum stellt mehr als 24.000 gemeinfreie (urheberrechtlich nicht mehr geschützte) Kunstwerke über die Digitale Sammlung kostenfrei zum Download zur Verfügung.

Wir beginnen unseren Rundgang mit Giovanni Battista Tiepolo, Maler, Zeichner, Radierer und Grafiker, geboren 1696 in Venedig, gestorben 1770 in Madrid. „Die Heiligen der Familie Crotta“ stellt eine Legende aus der Geschichte des aus Bergamo stammenden Patriziergeschlechts dar. Die Fürstentochter Grata präsentiert ihrem heidnischen Vater das abgeschlagene Haupt des Märtyrers Alexander. Er sieht aus dem abgeschlagenen Kopf Blumen sprießen, gerät in heilig-ekstatische Verzückung – deutlich an den sich nach oben verdrehenden Augen und bekehrt sich zum Christentum.
Nicht erst seit Leonardo und Raffael galt Italien als das gelobte Land der Künste bis weit ins 18. Jahrhundert hinein. Giovanni Battista Tiepolos beeindruckende Wandbilder und Deckenfresken für Kirchen und Paläste erscheinen als prachtvolle barocke Inszenierungen voller Farbe, voller Licht, voller prunkvoller Motive. Aber auch Witz, Ironie und formale Verfremdungen sind bemerkbar. So schreibt der Deutschlandfunk 2020 über ihn: „Und plötzlich können wir merken, dass diese Bilder auch kritisch sind. Kritisch gegenüber dem Kunstsystem des Barock und kritisch gegenüber der Gesellschaftsordnung dieser Zeit.“
Im Rahmen einer Bilderführung zur Ekstase dürfen Bacchanale nicht fehlen. Die „Bacchanalien“ waren wilde mystische Feste zu Ehren des Weingottes Bacchus – des griechischen Dionysos. Sie wurden im Geheimen gehalten und ca. 200 v. Chr. eingeführt. Ursprünglich nur von Frauen gestaltet, nahmen auch Männer später daran teil. Sie standen im Ruf wilder Trinkgelage und sexueller Orgien (vgl. Davis 2005, S. 235ff).

Giulio Carpioni d. Ä.,
Maler, Radierer und Grafiker Geboren 1613 in Venedig Gestorben 1678 in Vicenza. „Bacchanal“, ca. 1665, ist eine mythologische Darstellung. Menschen, die ungezügelt feiern und mit Leidenschaft die Bacchanalien feiern. Dionysos, lateinsch Bacchus, ist Gott des Weines und des Rausches. Außerdem war er Gottheit der Fruchtbarkeit, der Trauben sowie der Ekstase, aber auch des Wahnsinns. Sein Vater war Zeus, der menschliche Gestalt annahm, um die weltliche Semele lieben zu können, was jedoch seiner Gattin Hera nicht entging. Um sich an Zeus zu rächen, verlangte Hera in einer Verkleidung von Semele, Zeus um einen Beweis seiner Liebe zu bitten. So sollte er sich ihr in seiner richtigen Gestalt zu erkennen geben. Wütend verwandelte sich Zeus in einen Blitz und verbrannte seine Geliebte. Den ungeborenen Abkömmling nähte der Göttervater in seinen Schenkel ein, dort wurde er drei Monate später zum zweiten Mal geboren (dazu auch unser Beitrag „Archaische Wege in den Rausch„).

Eine ganz andere Spielart des Rausches zeigt sich bei Sassoferrato (Giovanni Battista Salvi). Geboren 1609 in Sassoferrato Gestorben 1685 in Rom; greift auf eine Bilderfindung Guido Renis zurück, die dieser sehnsüchtig gen Himmel blickenden Gottesmutter zugrunde liegt. Aus einer ganzfigurigen Darstellung isoliert, handelt es sich hier um eine verkürzte „Maria Immaculata“, eine Maria der Unbefleckten Empfängnis. Immer wieder griff Sassoferrato Kompositionen von Vorbildern auf und modifizierte diese auf vielfältige Weise.
Das Bild zeigt die ekstatische Versunkenheit einer Heiligen, die zu Gott aufblickt (ihn ‚anhimmelt‘), von ihm erhört werden will. Es knüpft gedanklich an eine Mystik an, die ‚Ekstase und Tod‘ miteinander zu vereinen scheint und dem ‚Heil im Himmel‘ zugeordnete werden kann. Es sind dies die Bilder, bei denen es immer wieder um die Entdeckung der inneren und ganz persönlichen
Religiosität geht. Auch im Liebighaus in Frankfurt ist eine vergoldete „Maria Immaculata“ auf einer Weltkugel zu bewundern.

Carl Blechen – geboren 1798 in Cottbus, gestorben 1840 in Berlin – inszeniert ein Bild mit dem Titel „Tarantella“ . Eine schlanke Schöne wiegt sich im Rhythmus des süditalienischen Volkstanzes. Von ekstatischer Freude ist allerdings wenig zu bemerken. Das Geschehen um die Tänzerin wirke, so die Beschreibung, wie eine „ins Freie verlagerte Wirtshausszene“. Eine Gruppe Mönche, die sich miteinander unterhalten, ansonsten ist jeder mit sich selbst beschäftigt. Sogar die Ziegen im Vordergrund.
Verhaltene Figuren, trotz der fröhlichen Musik, eine Protagonistin, die nicht im Mittelpunkt zu stehen scheint. Die sie umgebenden Figuren scheinen mit anderem beschäftigt zu sein, wie der versonnen aufs Meer hinausschauende Mönch. Blechen fange die Farben Italiens, wo er sich 1828/29 fast ein Jahr lang aufhielt, meisterhaft ein, trotzdem sei sein Blick auf den Süden hier ein „gebrochener“.

Pierre Puvis de Chavannes, (1824 / 1834 in Lyon – 1898 / 1899 in Paris). „Die büßende Maria Magdalena in der Wüste“ entstand 1869
Man kann sie als sündhaft fleischlich oder asketisch büßend (sie soll nur Rüben ggessen haben) betrachten. Sie wirke bei Puvis de Chavannes in der kargen Landschaft wie eine abstrakte, allegorische Figur. Ihre Sinnlichkeit beschränke sich auf die vom langen Haar umrahmte nackte Brust – ein Motiv, das durch den Totenkopf und ihren starren Blick wieder gebrochen werde.
Eine andere büßende Maria Magdalena ist im Historischen Museum Frankfurt zu sehen. Auch hier wird deutlich, dass trotz aller Reue, die sinnliche und verführerische Frau eine wesentliche Rolle bei der Darstellung spielt. Auch wenn Maria Magdalenas Gewand ihre Demut zeigt, fällt der Blick auf die nackte Brust.

Wir halten kurz vor der „Carmencita“ von Lovis Corinth (1924), der seine Frau nach einem rauschenden Fest, an dem er wegen seiner Erkrankung nicht tanzen konnte, noch in ihrem Kostüm als spanische Tänzerin malte. Corinth, so erfahren wir, ging es weniger um die exakte Wiedergabe physiognomischer Details, als um das Festhalten eines bestimmten Moments nach dem rauschhaften Fest.
Einer, der im Kontext von Rausch, Ekstase und dem Dionysischen nicht fehlen darf, ist Lovis Corinth. In seinen Werken spielen „Bacchuszug“ und „Bacchanale“ seit den 1890er Jahren eine große Rolle. Corinths eigenwillige Interpretationen klassischer Bildthemen, rund um den Gott Bacchus (Dionysos), changieren zwischen Burleske und Satire.
Dieser Beitrag wird in einem Teil II fortgesetzt!

Bildgestaltung Helmut Röll zu:
Elke Wehrs (Hg.) „Frankfurt mit eigenen Augen gesehen“ – Stadterkundungen für Neugierige
auch als Buch (ISBN 978-3-7562-0455-7) im Buchhandel erhältlich