Lesertipp: Andreas Izquierdo „König von Albanien“ – die Figur des Hochstaplers
Wer kennt sie ihn nicht, die bekannten Hochstapler, die es bis ins Kino geschafft haben. Legendär, die Verfilmung des ›Hauptmann von Köpenick‹ mit Heinz Rühmann in der Titelrolle. Zuckmayers Theaterstück weckt Sympathie für all die Schelme und Ganoven, die den großen Staatsapparaten mit ihrer Respektlosigkeit und List ein Schnippchen schlagen.Irgendwann fliegen sie auf und die Täuschung findet ihr Ende. Sie erregen Spannung und Aufmerksamkeit, die Geschichten über Hochstapler wie etwa die vom talentierten Mister Ripley, oder die des Aufsteigers Felix Krull. Auch George Manolescu darf nicht fehlen. Seine Autobiografie wurde zum Vorbild für Thomas Manns „Felix Krull“. Wenn es um das postfaktische Phänomen der Halbwahrheiten geht, sieht Nicola Gess diese in der Sozialfigur des Hochstaplers gebündelt. Als „Zeittypus par excellence“ mache er den permanenten Schwindel, das Zurechtbiegen der Realität zur Maxime des eigenen Handelns. In diesen Kontext passt auch der Schausteller Otto Witte, der in eine Irrenanstalt eingewiesen wird, weil er steif und fest behauptet, König von Albanien gewesen zu sein.
Liebe Seminar-Talk Leser,
mit großem Interesse habe ich Andreas Izquierdos fesselnde Erzählung über die historische Figur Otto Witte (1872-1958), den selbsternannten König von Albanien, gelesen. Wie viel von Witte ist wahr und wie viel ist das Produkt seiner eigenen, meisterhaft inszenierten Legende? Diese Frage stellt sich unweigerlich, wenn man das faszinierende Leben von Otto Witte betrachtet, einem der größten Abenteurer und Hochstapler des vergangenen Jahrhunderts.
Bekannt als der „König von Albanien“, entblättert sich vor dem Leser die Geschichte eines Mannes, der mit seiner rhetorischen Gewitztheit die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen lässt. Geboren 1871 in Diesburg bei Magdeburg als Sohn eines Artisten, zog es ihn bald in die pulsierenden Straßen des neu gegründeten Stadtbezirks Pankow.
Kein Wunder also, dass der Schriftsteller Andreas Izquierdos einen Roman über Otto Witte schreiben wollte. Seine Lebensgeschichte, die im März 1913 ihren Höhepunkt findet, wirft die Frage auf: Was ist die Wahrheit oder Was ist eine geniale Lüge?
Otto und sein Freund Max Hoffmann schlagen sich seit einiger Zeit durch Konstantinopel. Durch Betrügerei verdienen sie sich Geld und halten sich so über Wasser. Doch als sich die politische Lage im Balkan zuspitzt, sieht Otto seine Chance, König von Albanien zu werden. Er entdeckt, dass er Prinz Halim Eddine, der eigentlich König von Albanien werden soll, zum Verwechseln ähnlichsieht. Mit dieser verblüffenden Ähnlichkeit und einer gehörigen Portion Glück gelingt es Otto, den Coup seines Lebens zu landen. Dieser Aufstieg ist nur zu diesem Zeitpunkt möglich, weil das Osmanische Reich gerade zerfällt und Albanien händeringend nach einem König sucht, wird Otto zum selbsternannten Monarchen.
Otto Witte kommt die verrückteste Idee seines Lebens. Gemeinsam mit seinem alten Freund, dem Schwertschlucker Max (der seine Nachnamen ständig wechselte) reist er nach Wien. Dort erwerben die beiden in einem Kostümverleih prächtige Phantasieuniformen. Schwer mit Orden behängt reisen sie nach Triest, von wo sie mit einem österreichischen Schiff in die albanische Hafenstadt Durazzo (Durrës) gelangen. Ihre Ankunft als Prinz Halim Eddine nebst Sekretär kündigen die Hochstapler zuvor telegrafisch an.
Die Ankunft von Otto und Max in Durazzo ist ein Paradebeispiel für die Macht der Illusion. Der albanisch stämmige Heerführer Essad Pascha, geblendet von dem Glanz und der Autorität, die Otto ausstrahlt, fällt auf den selbstbewussten Trickbetrüger herein. Hier zeigt sich, dass Menschen oft bereit sind, die Realität zu ignorieren, wenn sie von einer charismatischen Persönlichkeit angezogen werden. Otto verkörpert das, was die Menschen in dieser chaotischen Zeit ersehnen: Hoffnung auf ein unabhängiges Albanien.
Die Tatsache, dass Otto sich als Prinz ausgibt und sofort in eine Rolle schlüpft, die ihm Macht und Einfluss verleiht, ist nicht nur ein cleverer Schachzug, sondern auch ein psychologisches Phänomen. Menschen sind oft bereit, an die Lügen anderer zu glauben, wenn diese Lügen mit ihren eigenen Träumen übereinstimmen.
Auf Grund der gelungenen Täuschung wird die Majestät ehrenhaft mit Paraden, Feuerwerk und Rosenblätter streuende Frauen empfangen. „Prinz Etti“, wie Witte sein Alter Ego nennt, erwählt sich den westlichen Herrschernamen Otto I. Als erste Amtshandlung ernennt er seinen Kumpel Max zum Minister, setzt Regierung und Generalstab ein, gibt Pläne für Kriege gegen Montenegro und Serbien in Auftrag und lässt einen Aufstand niederschlagen. Dann widmet er sich im für ihn eingerichteten Harem den schönsten Töchtern des Landes.
Doch der Roman beginnt nicht etwa in Albanien wie so mancher Leser vermuten könnte, sondern in Salzburg, wo Otto Witte in eine Irrenanstalt eingewiesen wird, weil er steif und fest behauptet, König von Albanien gewesen zu sein. Der junge Doktorand Alois Schilchegger ist von diesem Mann fasziniert und nimmt sich seiner an. Er lässt sich von Otto seine Lebensgeschichte erzählen, und so beginnt das Abenteuer rund um den König von Albanien. Während sich die Erzählung zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit abwechselt, erfährt der Leser mehr über die schillernde Persönlichkeit Wittes und die Umstände, die ihn in die Irrenanstalt geführt haben.
Die Faszination für Gaunerfiguren wie Otto Witte ist tief in der Literatur verwurzelt. Ähnlich wie bei Thomas Manns Felix Krull, dem charmanten Hochstapler, der mit seinem Witz und seiner Cleverness die Leser in seinen Bann zieht, findet der Leser auch bei Otto Witte einen Charakter, der ihn mit seiner Unverfrorenheit und seinem Einfallsreichtum begeistert. Leser fühlen sich oft zu solchen Figuren wie Krull, dem Hauptmann von Koepenick oder Witte hingezogen, weil sie mit ihrer Art die Grenzen der Moral und der gesellschaftlichen Normen überschreiten. Solche Persönlichkeiten gewähren dem Bücherwurm einen Blick auf die Abgründe des menschlichen Daseins.
Doch letztlich scheitert der Betrüger Otto an sich selbst. Die Halbwahrheit, die Otto spinnt, entpuppt sich als das, was sie ist: ein fragiles Konstrukt, was nicht der Realität standhalten kann. Otto Witte mag für fünf Tage (!) König sein, gekrönt am 15.02.1913. Doch die Realität holt ihn unweigerlich ein, und der Schwindel fliegt auf als der echte Prinz Eddine sich mit seinem Gefolge ankündigte.
Izquierdo gelingt es, den Leser mit einem humorvollen Einstieg in die Welt des Otto Witte zu ziehen. Alois Schilchegger wird von der schillernden Persönlichkeit Wittes angezogen, und während er sich mit den Schicksalen der Insassen der Irrenanstalt beschäftigt, wird ihm klar, dass hinter der Fassade des Hochstaplers eine bemerkenswerte Geschichte steckt. Was zunächst als Hirngespinst erscheint, offenbart sich als eine wahre Begebenheit, die zum Nachdenken anregt.
Die Erzählung ist nicht nur eine amüsante Posse, sondern auch ein Spiegelbild der menschlichen Natur und der Sehnsucht nach Macht und Anerkennung. Witte, der sich in einem Wespennest politischer Intrigen bewegt, zeigt dem Leser, wie schnell man in der Geschichte zum Helden oder zum Verbrecher werden kann. Der Tragische Moment, als der Schwindel schließlich auffliegt und er um sein Leben fürchten muss, berührt den Leser und lässt ihn über die Konsequenzen von Lügen und Halbwahrheiten reflektieren.
Andreas Izquierdo will mit seinem Roman nicht nur unterhalten, sondern auch zum Nachdenken angeregt. Ich kann nur empfehlen, sich auf diese abenteuerliche Reise in die Vergangenheit einzulassen. Übrigens erschien die Neuauflage (2007) des Romans von Andreas Izquierdo genau 101 Jahre (2024!) nach Otto Wittes Coup.
Herzlichen dank für den Leserbrief und die hoffentlich passende freie Bebilderung, die durch Pixabay möglich wird!
Wir verwenden Cookies, um unsere Website und unseren Service zu optimieren.
Funktional
Immer aktiv
Die technische Speicherung oder der Zugang ist unbedingt erforderlich für den rechtmäßigen Zweck, die Nutzung eines bestimmten Dienstes zu ermöglichen, der vom Teilnehmer oder Nutzer ausdrücklich gewünscht wird, oder für den alleinigen Zweck, die Übertragung einer Nachricht über ein elektronisches Kommunikationsnetz durchzuführen.
Vorlieben
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist für den rechtmäßigen Zweck der Speicherung von Präferenzen erforderlich, die nicht vom Abonnenten oder Benutzer angefordert wurden.
Statistiken
Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu statistischen Zwecken erfolgt.Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu anonymen statistischen Zwecken verwendet wird. Ohne eine Vorladung, die freiwillige Zustimmung deines Internetdienstanbieters oder zusätzliche Aufzeichnungen von Dritten können die zu diesem Zweck gespeicherten oder abgerufenen Informationen allein in der Regel nicht dazu verwendet werden, dich zu identifizieren.
Marketing
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist erforderlich, um Nutzerprofile zu erstellen, um Werbung zu versenden oder um den Nutzer auf einer Website oder über mehrere Websites hinweg zu ähnlichen Marketingzwecken zu verfolgen.