Die Figur des „Joker“ aus Batman gehört zu den beliebtesten Comic-Figuren, so kann man es bei kino.de nachlesen. Heath Ledger brannte sich mit „The Dark Knight“ als eine seiner letzten Rollen ins kollektive Gedächtnis, Jared Leto wurde für seine Darbietung in „Suicide Squad“ eher abgestraft, Joaquin Phoenix gewann 2020 mit seiner Interpretation im gleichnamigen Film „Joker“ den Oscar als bester Hauptdarsteller. Interessant ist der Versuch eines UniWehrsEL-Lesers nicht nur einen Beitrag zum Film „Joker“ zu schreiben, sondern diesen Text auch als Versuch zu betrachten, Themen wie „Urban Legends„, „Verschwörungsmythen„, Thomas Manns „Betrachtungen eines Unpolitischen“ auf Todd Phillips Film „Joker“ anzuwenden. Ob das gelungen ist? Bitte urteilen sie selbst und hinterlassen einen Kommentar!
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Kann der Film Joker als Blaupause einer „Urbanen Legende“ oder eines Verschwörungsmythos angesehen werden? In diesem Beitrag will der Autor die theoretischen Grundlagen auf den konkreten Film Joker von Todd Philipps anwenden. In einer der eindringlichsten Szenen des Films „Joker“ wird der Protagonist Arthur Fleck, eine ‚geschundene Seele‘, Zeuge eines Übergriffs in der U-Bahn. Eine Gruppe von Bankern belästigt eine Frau, und während die anderen Passagiere wegsehen, greift Arthur ein. Diese Handlung könnte als heroisch interpretiert werden, doch die Komplexität seiner Figur und die gesellschaftlichen Strukturen, die ihn umgeben, werfen einen Schatten auf diese Interpretation. Arthur, der sich für witzig hält und den Traum hegt, ein Komiker zu werden, ist in einem System gefangen, das seine mentalen Probleme nicht ernst nimmt. Stattdessen wird die Einsparung von Beratungsangeboten als gottgegeben akzeptiert, was die Alternativlosigkeit des Status Quo verdeutlicht.

Der Film „Joker“ ist nicht nur eine Charakterstudie, sondern auch eine kritische Auseinandersetzung mit der Gesellschaft der 1980er Jahre, die stark von den Themen Rache, Selbstjustiz der 1970er Jahre, wie in „Taxi Driver“ (Martin Scorsese) und „Ein Mann sieht rot“ (Michael Winner), beeinflusst ist. Während Travis Bickle in „Taxi Driver“ als einsamer Kämpfer gegen die Dekadenz New Yorks auftritt, ist Arthur Fleck ein Produkt eines Systems, das ihn nicht nur ignoriert, sondern aktiv gegen ihn arbeitet. Beide Figuren sind von einer tiefen Hoffnungslosigkeit geprägt, die in der urbanen Umgebung ihrer Geschichten verwurzelt ist.
Die Urban Legend des Films „Joker“ manifestiert sich in der Alternativlosigkeit, die Arthur erlebt. Der Status des Titelhelden scheint zementiert, und seine Entladung in Gewalt wird nicht als Abweichung, sondern als logische Konsequenz seiner Umstände dargestellt. Diese Gewaltorgie, die er entfesselt, führt nicht zu seiner Ablehnung, sondern zu einer Art Führerkult, in dem er als Symbol für den Widerstand gegen das System gefeiert wird. Hier wird die Verbindung zu Verschwörungsmythen deutlich: Der Film vermittelt die Botschaft, dass das demokratische System nicht veränderbar ist und dass ein starker Mann, in diesem Fall der Joker, die einzige Lösung darstellt. Diese Vorstellung erinnert an Thomas Manns Konzept der „Betrachtungen eines Unpolitischen“, in dem er die Gefahren einer unpolitischen Haltung und die Flucht vor der Verantwortung thematisiert.
Thomas Manns Essay „Der Unpolitische“ ist eine tiefgehende Auseinandersetzung mit der Rolle des Individuums in der Gesellschaft und der Verantwortung, die es gegenüber politischen und sozialen Fragen hat. Mann beschreibt den „Unpolitischen“ als jemanden, der sich von den politischen Strömungen seiner Zeit abwendet und sich in eine Welt der Kunst und des persönlichen Wohlstands zurückzieht. Diese Haltung wird als gefährlich und problematisch dargestellt, da sie die gesellschaftlichen Probleme ignoriert und die Verantwortung für das Gemeinwohl verlagert.
In „Der Unpolitische“ argumentiert Mann, dass die Kunst und das Individuum nicht von der politischen Realität getrennt werden können. Er kritisiert die Haltung, die sich von den politischen Fragen abwendet und stattdessen in einer Art Selbstgenügsamkeit verharrt. Mann sieht in dieser Haltung eine Flucht vor der Verantwortung und eine Gefahr für die Gesellschaft, da sie die Menschen dazu bringt, die Augen vor den Missständen zu verschließen.
Mann beschreibt den Unpolitischen als jemanden, der zwar die Schönheit und die Werte der Kunst schätzt, aber die sozialen und politischen Herausforderungen ignoriert, die die Welt prägen. Diese Ignoranz führt zu einer Entfremdung von der Realität und einer Unfähigkeit, aktiv an der Gestaltung der Gesellschaft teilzunehmen. Mann warnt davor, dass eine solche Haltung letztlich zu einer Passivität führt, die es autoritären Regimen ermöglicht, sich zu etablieren und zu gedeihen.
Im Film „Joker“ findet der Zuschauer Parallelen zu Manns Konzept des Unpolitischen. Arthur Fleck, der Protagonist, ist ein gequälter Mensch, der in einer Gesellschaft lebt, die ihn nicht akzeptiert. Er stellt sich als unpolitisch dar, während er gleichzeitig in einem System gefangen ist, das ihn unterdrückt und seine mentalen Probleme nicht ernst nimmt. Wie der „Unpolitische“ in Manns Essay, zieht sich Arthur in seine eigene Welt zurück, in der er den Traum hat, ein Komiker zu werden. Doch während Manns Unpolitischer in der Kunst Zuflucht sucht, wird Arthurs Rückzug von einer zunehmenden Gewaltbereitschaft begleitet. Diese steigert sich im Laufe des Films immer weiter bis Arthur Fleck in der letzten Szene des Films in einer Nervenheilanstalt landet und eine Krankenschwester aus lauter Lust umbringt. In dieser letzten Szene wird aus dem Menschen Arthur Fleck die von ihm selbst geschaffene Kunstfigur Joker – ein völlig unberechenbarer Mensch, der aus reinem Vergnügen anderen Menschen leid zufügt und keinerlei nachvollziehbaren Logik mehr folgt.

Im Film „Joker“ sind Verschwörungsmythen nicht nur angedeutet, sondern sie sind tief in der Erzählung verwurzelt und werden durch die Urban Legend des Protagonisten Arthur Fleck weiter begünstigt. Die Geschichte von Arthur, einem gequälten Komiker, der in einer kalten und gleichgültigen Gesellschaft lebt, wird zur Grundlage für eine Vielzahl von Mythen und Spekulationen, die sich um seine Figur und die von ihm ausgelöste Gewalt ranken. Die Urbane Legende des Jokers ist die Vorstellung, dass ein Individuum, das von der Gesellschaft abgelehnt wird, zu einem Symbol des Widerstands werden kann. Diese Legende wird durch die mediale Berichterstattung über Arthur und seine Gewalttaten verstärkt. Die Menschen beginnen, ihn als eine Art modernen „Robin Hood“ zu sehen, der gegen ein unterdrückendes System kämpft. Diese Wahrnehmung ist nicht nur eine Reaktion auf seine Taten, sondern auch eine Projektion der Hoffnungen und Ängste der Gesellschaft.
Die Verschwörungsmythen, die sich um den Joker entwickeln, sind eng mit der Idee verbunden, dass es eine geheime Elite gibt, die die Fäden zieht und die Massen manipuliert. Arthur wird von den Medien und der Gesellschaft als der „Joker“ stilisiert, und diese Transformation wird von den Menschen als eine Art von Bestätigung ihrer eigenen Frustrationen und Ungerechtigkeiten wahrgenommen. Die Vorstellung, dass Arthur nicht nur ein Individuum, sondern ein Symbol für eine breitere Bewegung ist, verstärkt die Idee, dass es eine geheime Agenda gibt, die die Menschen in ihrer Verzweiflung zusammenführt.
Die Medien spielen eine entscheidende Rolle in der Verbreitung dieser Verschwörungsmythen. Sie sensationalisieren Arthurs Taten und schaffen ein Narrativ, das ihn als Held oder Märtyrer darstellt. Diese Berichterstattung führt dazu, dass die Menschen beginnen, die Realität zu verzerren und zu glauben, dass Arthur für eine größere Sache kämpft. Die Medien werden somit zu einem Katalysator für die Urban Legend, indem sie die Gewalt und die Rebellion des Jokers glorifizieren und gleichzeitig die strukturellen Probleme, die zu seiner Entstehung geführt haben, ignorieren.
Die Verschwörungsmythen im Film sind auch eng mit der Suche nach einem ‚Sündenbock‘ verbunden (zum Sündenbock auch der UniWehrsEL Beitrag Anna Gmeyner Ende einer Verhandlung). Arthur wird zum Symbol für all die Frustrationen, die Menschen in einer kapitalistischen Gesellschaft empfinden. Anstatt die systemischen Probleme zu hinterfragen, suchen die Menschen nach einem Einzelnen, den sie für ihre Misere verantwortlich machen können. Diese Dynamik führt zu einer Spirale der Gewalt, in der der Joker nicht nur als Täter, sondern auch als Opfer der Umstände wahrgenommen wird.
Die Kapitalismuskritik, die im „Joker“ steckt, ist subtil, aber wirkungsvoll. Der Film zeigt, wie das kapitalistische System Individuen zu Objekten reduziert und sie in ihrer Verzweiflung allein lässt. Die Banker in der U-Bahn sind nicht nur individuelle Fehltritte, sondern repräsentieren eine gesellschaftliche Ordnung, die nicht hinterfragt wird. Der Film verlagert die Probleme auf eine persönliche Ebene und ignoriert die strukturellen gesellschaftlichen Probleme, die von Anfang an in der Erzählung angelegt sind. Diese Ignoranz ist Teil der Urban Legend, die besagt, dass das Individuum gegen ein übermächtiges System kämpfen muss, ohne dass eine echte Veränderung möglich ist. Es ist eine Erzählung, die nicht an Veränderung durch demokratische Prozesse glaubt. Diese demokratischen Veränderungen laufen langsam ab und verändern die Gesellschaft langfristig, bieten aber keine kurzfristen Lösungen an. Insgesamt zeigt „Joker“ eine düstere Perspektive auf die Gesellschaft und die Unfähigkeit, an bestehenden Strukturen etwas zu ändern. Die Hoffnungslosigkeit, die in der Erzählung steckt, lässt den Zuschauer mit der Frage zurück, ob es wirklich einen Ausweg aus der Spirale der Gewalt und des Leidens gibt.
Herzlichen Dank für den interessanten Beitrag und die Bilder auf Pixabay!