Die Frankfurter Rundschau versteht David Stöhrs Inszenierung von Ibsens „Hedda Gabler“ als „schrilles Allerlei„. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung versteht diese Inszenierung als „frühen feministischen Widerstand gegen eine öde Männerwelt“. Im UniWehrsEL liest man bei der Darmstadter Inszenierung vom Akt des Zerstückelns und der Lust an der Zerstörung. Wie aus der Zerstörung neues Leben entstehen kann führt, zumindest den Schreibenden, „zu einer tiefen Reflexion über den Kreislauf von Tod und Wiedergeburt“. Dazu ein Kommentar mit herzlichem Dank!
Liebes UniWehrsEL,
vielen Dank für den spannenden Beitrag zu „Hedda Gabler und der Lust an der Zerstörung“. In der Darmstädter Inszenierung von „Hedda Gabler“ von David Stöhr wird die Zerstörung des Manuskripts zu einem eindrucksvollen Totenritus, der die Zuschauer tief berührt. Die Verwendung der zerrissenen Manuskriptseiten als Blumendünger verstärkt die Assoziation mit einer Beerdigung, bei der Blumen traditionell eine zentrale Rolle spielen. Diese Blumen, die aus den Überresten des Manuskripts sprießen, symbolisieren den Kreislauf von Leben und Tod. Diese Interpretation ist für den Zuschauer ganz erstaunlich. Der Beerdigungscharakter der Szene wird durch die feierliche und zugleich düstere Atmosphäre unterstrichen.

Das Manuskript, einst ein lebendiges Zeugnis von Eilerts und Theas kreativer Schöpfung, wird nun buchstäblich zu Grabe getragen. Die Blumen stehen als stille Zeugen für den Verlust und die Trauer, die mit der Zerstörung einhergehen. Diese Darstellung verdeutlicht Heddas unbewusste Verbindung zum Tod und zur Vergänglichkeit. Ihr Akt der Zerstörung wird zu einem symbolischen Beerdigungsritus, der ihre inneren Konflikte und ihre Sehnsucht nach Kontrolle über Leben und Tod widerspiegelt. Indem sie das Manuskript in diesen rituellen Kontext stellt, zeigt sich Heddas verzweifelter Versuch, Bedeutung und Macht in einer Welt zu finden, die ihr diese verwehrt. Die Blumen, die aus der Zerstörung hervorgehen, sind ein stilles Mahnmal für die zerstörerische Kraft ihrer Handlungen und die unausweichliche Vergänglichkeit des Lebens.
Die geschilderte Szene nimmt den tatsächlichen Tod von Eilert voraus. Diesen Tod sieht der Zuschauer nicht aktiv, sondern der Tod von Eilert wird an Hedda in Form von Berichten, z.B. durch den Richter Brack, der bei der Obduktion von Eilert anwesend war, herangetragen. Diese indirekte Darstellung hat eine tiefgreifende Wirkung auf Hedda und offenbart viel über ihren Charakter und ihre inneren Konflikte.
Heddas Reaktion, einfühlsam dargestellt von Trixi Strobel, auf die Berichte über Eilerts Tod ist vielschichtig. Zunächst zeigt sie eine gewisse Faszination und Bewunderung für den dramatischen und endgültigen Charakter seines Todes. Indem sie ihn als „Tat in Schönheit“ bezeichnet, offenbart Hedda eine romantisierte Vorstellung von einem heroischen Ende, das sie selbst in ihrem eigenen Leben sucht. Diese Beschreibung zeigt Heddas Sehnsucht nach Kontrolle und Bedeutung in einer Welt, die ihr diese als Frau verwehrt. Die Berichte über Eilerts Tod versetzen Hedda in einen Zustand der Erregung und des Triumphes. Sie sieht in seinem Tod eine Art Erfüllung ihrer eigenen Vorstellungen von Schönheit und Größe, die sie in ihrem banalen Alltag vermisst. Gleichzeitig wird jedoch auch ihre innere Leere und Unzufriedenheit deutlich, da sie selbst nicht in der Lage ist, eine solche „schöne“ Tat zu vollbringen. Die Wirkung auf die Person Hedda ist daher ambivalent: Einerseits fühlt sie sich bestätigt in ihrer Vorstellung von einem dramatischen, bedeutungsvollen Leben, andererseits wird ihre eigene Unzulänglichkeit und Gefangenheit in gesellschaftlichen Normen umso deutlicher. Der Tod Eilerts wird so zu einem Spiegel ihrer eigenen unerfüllten Wünsche und Träume.
Statt finalem Ende, Auferstehung im Harlekin-Kostüm

In der Darmstädter Inszenierung von „Hedda Gabler“ wird die traditionelle Schlusssequenz, in der Hedda Selbstmord begeht, durch eine bemerkenswerte Wendung ersetzt: Hedda ersteht wieder auf und erscheint im Kostüm eines Harlekins. Diese Inszenierung bietet eine neue Perspektive auf Heddas Charakter und ihre innere Welt. Der Harlekin ist eine Figur aus der Commedia dell’arte, die für ihre Vielschichtigkeit, Maskerade und die Fähigkeit steht, zwischen Lachen und Traurigkeit zu wechseln. Indem Hedda als Harlekin dargestellt wird, wird ihre innere Zerrissenheit hervorgehoben. Sie ist sowohl die Manipulatorin als auch die Getäuschte, sowohl die Tragödin als auch die Komödiantin ihres eigenen Lebens. Die Wiederauferstehung im Harlekin-Kostüm könnte darauf hinweisen, dass Hedda sich von den Fesseln ihrer bisherigen Existenz lösen möchte. Der Harlekin symbolisiert einen Neubeginn. Dieser Schlussmoment kann auch als Kritik an den gesellschaftlichen Erwartungen verstanden werden, die Hedda in ihrem ursprünglichen Leben gefangen hielten. Als Harlekin tritt sie aus der strengen Rolle der Ehefrau und Frau heraus und nimmt eine “freiere, spielerische Identität“ an.

Die Darstellung von Hedda Gabler als Harlekin bringt eine spannende Dimension in die Interpretation ihres Charakters, die Parallelen zum Joker aus der Batman-Serie aufweist. Beide Figuren nutzen die Maskerade des Clowns, um tiefere psychologische und soziale Themen zu erkunden. Der Joker ist eine Figur, die durch Chaos und Zerstörung versucht, Kontrolle zu erlangen und gesellschaftliche Normen zu hinterfragen. Ähnlich wie der Joker, zeigt Hedda eine Faszination für Macht und Destruktivität. Beide Figuren operieren in einer Welt, die sie als feindlich empfinden, und nutzen ihre destruktiven Handlungen als Ausdruck ihrer inneren Konflikte.
Hendrik Ipsens Drama verdeutlicht, wie gesellschaftliche Erwartungen und Rollenbilder Menschen in unglückliche Situationen drängen können. Sein Werk „Hedda Gabler“ zeigt, dass Zerstörung sowohl negative als auch potenziell positive Veränderungen hervorrufen kann. Zerstörungslust kann Raum für Neues schaffen, aber auch unwiderbringlichen Schaden anrichten. Der Schlüssel liegt darin, bewusst zu entscheiden, was zerstört und was bewahrt werden sollte. Zerstörung kann aber auch mit einer erotischen Anziehung verbunden sein, wenn sie von den Mitmenschen als leidenschaftliche Tat gedeutet wird. Die Zerstörung kann in einem bestimmten erotischen Kontext als sehr ‚sexy‘, empfunden werden. Auch das zeigt das Drama Hedda Gabler deutlich.
Herzlichen Dank für den sehr nachdenklich stimmenden Artikel und das Bild des Harlekin von Jim Cramer auf Pixabay