Du betrachtest gerade „Fräulein Else“ – Reiz des Verbotenen?

Der 13. kann eigentlich nur ein Glückstag sein. Und genauso glücklich und rund herum zufrieden war ich am Mittwoch, den 12.02.25 und am Donnerstag, den 13.02.25 nach den Abschlussveranstaltungen zu unseren Seminaren „Staunen“ und „Exzesse, Ekstase, Askese“. Es ist ein gutes Gefühl, bei den Seminaren nicht nur eine aufmerksame Hörerschaft zu haben, sondern vielmehr auch Menschen zu finden, die Interesse und freundliche Zugewandtheit zur Person und gewählten Themen der Dozentin empfinden. Ich danke allen, die teilweise über Jahre hinweg, mir genau dieses wunderbare Gefühl vermittelt haben. Ich schätze zudem den eigenen Einsatz meiner Studierenden, durch bereichernde Diskussionen rund um den angebotenen Inhalt meiner Seminare, und natürlich durch die interessanten Referate und persönlichen Gedanken, die dem UniWehrsEL zur Verfügung gestellt wurden und auch hoffentlich weiterhin werden. Mein Dank gilt darüber hinaus unseren Gastreferenten, Pfarrer Dr. Goetze und Pfarrer Schnell. Gestern durfte ich zu meiner großen Freude in diesem Kontext auch meine Kollegin Dr. Angelika Stieß-Westermann bereits zum fünften „Interdisziplinären Gespräch“ begrüßen. Danke für die inspirierende intermediale musik-literarische Zusammenführung zu „Fräulein Else„. Und ganz besonders schön finde ich, dass unsere Ausführungen zu weitergehenden Überlegungen, auch schon im Hinblick auf unser Seminar im Sommersemester 25 zu „Sehnsucht“ angeregt haben. Dazu ein Leserbrief mit herzlichem Dank!

 Liebe UniWehrsEL-Leser,

Nachdem ich mich mit dem im „Interdiziplinären Gespräch“ angekündigten Text von Schnitzlers  “Fraulein Else“ ausführlicher beschäftigt hatte, kam mir die Idee zu meinem Text über den „Reiz des Verbotenen“. Ich bin sehr gespannt auf Rückmeldungen!

„Ein Jüngling liebt ein Mädchen, Die hat einen Andren erwählt; Der Andere liebt eine Andre, Und hat sich mit dieser vermählt“. So fängt ein Gedicht von Heinrich Heine an. Es ist eine alte Geschichte, dass das Verbotene oft besonders verlockend erscheint. Das Gedicht „Ein Jüngling liebt ein Mädchen“ von Heinrich Heine und der Reiz des Verbotenen teilen eine gemeinsame thematische Ebene: die Sehnsucht nach dem Untereichbaren. In Heines Gedicht ist die Liebe des Jünglings unerwidert, da das Mädchen einen anderen Mann heiratet. Diese unerfüllte Liebe ist vergleichbar mit dem Reiz des Verbotenen, da beide von einem Verlangen nach etwas geprägt sind, das nicht erreichbar ist. Der Jüngling begehrt das Mädchen, das ihm verwehrt bleibt, ähnlich wie Menschen oft von Dingen angezogen werden, die sie nicht haben können. Diese unerfüllte Sehnsucht und Verlangen nach dem Unmöglichen verstärken die Gefühle der Traurigkeit und des Verlustes, die sowohl im Gedicht als auch im Konzept des Verbotenen präsent sind. Doch was steckt hinter dieser Faszination?

Der Rezensent ist auf das Thema Reiz des Verbotenen gestoßen als er sich mit Arthur Schnitzlers “Fräulein Else“ kritisch auseinandergesetzt hat. In der Monolognovelle „Fräulein Else“ beginnt die Handlung mit einer dramatischen Ausgangslage, die Else in eine verzweifelte Stimmung versetzt. Sie befindet sich in einem mondänen Hotel in den italienischen Alpen, umgeben von der vermeintlich sicheren Ruhe einer sogenannten „feinen Gesellschaft“. Doch hinter dieser bürgerlich-idyllischen Fassade lauert der finanzielle Ruin, der ihre Familie zu verschlingen droht. Else erhält einen verstörenden Brief von ihrer Mutter, der wie ein Weckruf zur richtigen Zeit in ihre heile Welt einschlägt. Ihr Vater steht am Rande des Bankrotts und benötigt dringend eine große Summe Geld, um einen schrecklichen gesellschaftlichen Skandal abzuwenden. Die einzige Hoffnung liegt in Herrn von Dorsday, einem wohlhabenden Kunsthändler, der bereit ist, die Summe zu leihen – jedoch zu einem verhängnisvollen Preis.

Arthur Schnitzlers Novelle „Fräulein Else“ illustriert den Reiz des Verbotenen durch die innere Zerrissenheit der Hauptfigur Else. Sie wird mit der moralischen und gesellschaftlichen Herausforderung konfrontiert, sich einem älteren Mann, Herrn von Dorsday, nackt zu zeigen, um die finanzielle Not ihrer Familie zu lindern. Diese Situation verkörpert den Reiz des Verbotenen, da sich Else im Zwiespalt zwischen eigenem erwachendem Verlangen und der Angst, gesellschaftliche Normen zu brechen, befindet.

Else empfindet eine faszinierende Anziehungskraft und zugleich Abscheu gegenüber der Vorstellung, die Grenzen von Scham und Anstand zu überschreiten. Ihre inneren Monologe offenbaren die Spannung zwischen Verlangen und moralischer Integrität, was den Reiz des Verbotenen intensiviert. Die Novelle zeigt, wie die Verlockung, Verbote zu brechen, sowohl verführerisch als auch zerstörerisch sein kann, indem sie Elses psychologische Abgründe und ihre Verzweiflung erkennbar werden lassen.

Die Szene im Musiksalon als Höhepunkt der Erzählung, offenbart Elses Gedankenwelt bei ihrem Entschluss, sich nicht nur ihm, sondern der ganzen Hotelöffentlichkeit nackt zu zeigen, und sich danach umzubringen. Als die Entblößung unmittelbar bevorsteht, werden im inneren Monolog Elses ihre Gedanken zur noch versteckten Nacktheit, zur Musik und zur baldigen Entkleidung miteinander verwoben:

Es rieselt durch meine Haut. Die Dame spielt weiter. Köstlich rieselt es durch meine Haut. Wie wundervoll ist es nackt zu sein. Die Dame spielt weiter, sie weiß nicht, was hier geschieht. Niemand weiß es. Keiner noch sieht mich. Filou, Filou! Nackt stehe ich da. Dorsday reißt die Augen auf. (aus: Schnitzler, „Fräulein Else), S. 271-273).

Die von Else erwähnte Musik der Dame, die „Carnaval – Reconnaissance“ von Robert Schumann spielt, spiegelt noch einmal die Gefühlswelt Elses. Schwingen doch Begriffe wie „Maskenzug“ und „Schein“ mit. Es wird nicht nur das Maskenhafte und die Scheinwelt der Gesellschaft aufgezeigt, sondern auch Elses Sehnsucht zur Demaskierung der Gesellschaft. Nacktheit als gleichzeitige Entblößung wird zur Metapher der  Doppelmoral einer Gesellschaft zwischen Lüsternheit und bigotter Prüderie, die es zu entlarven gilt.

Danke für das eitle Fräulein, eine Image von Pixabay