Nolans „Interstellar“ – Grundprinzipen des ‚American Way of Life‘ – nur ein Ideal?
Unsere Seminare zu „Staunen“ und „Exzesse, Ekstase, Askese“ neigen sich langsam dem Ende entgegen. Es waren facettenreiche Seminare, die sich dank der Anregungen und Referate meiner Studierenden, den Vorträgen von Pfarrer Dr. Goetze und Pfarrer Schnell hoch interessant gestalteten. Dazu ein ganz großes Dankeschön! Schon in der Einführung zu Beginn der Seminare wies ich auf Nicola Gess‘ Ausführungen zum „Staunen“ hin: „Die einen staunen bei Filmen wie „Interstellar“ des Regisseurs Christopher Nolan, 2014, in dem es um eine intergalaktische Reise geht. Da sind es wohl die überraschenden Effekte der Technik, die auch schon früher zu „Aha-Rufen“ Anlass gaben …“. Einen anderen Gedankengang zu „Interstellar“, der gerade im Darmstädter Staatstheater aufgeführt wird, greift unser Kulturbotschafter des UniWehrsEL auf, um uns einmal mehr zum Staunen anzuregen.
Liebes UniWehrsEL,
Am 01.02. habe ich die Vorstellung von Interstellar am Schauspiel Darmstadt besucht. „Interstellar“ ist ein epischer Science-Fiction-Film aus dem Jahr 2014, der von Christopher Nolan inszeniert wurde. Auf dem UniWehrsEL Blog wurde die Filmbiographie über den Physiker J. Robert Oppenheimer, der ebenfalls in der Regie von Christopher Nolan stand, bereits analysiert. Die Handlung von Interstellar spielt in einer dystopischen Zukunft, in der die Erde durch Umweltkatastrophen und Nahrungsmittelknappheit einer greifbaren Bedrohung ausgesetzt ist. Der Film folgt einer Gruppe von Astronauten, angeführt von Cooper, gespielt von Matthew McConaughey, die durch ein Wurmloch reisen, um eine neue Heimat für die Menschheit zu finden.
In „Interstellar“ wird der ‚American Way of Life‘ durch die Themen Entschlossenheit, Innovation und Pioniergeist verkörpert. Der Film zeigt, wie die Protagonisten, insbesondere Cooper, den unerschütterlichen Glauben an die eigene Fähigkeit, Herausforderungen zu meistern, repräsentieren. Dieser Glaube ist ein zentraler Aspekt des ‚American Way of Life‘, der auf der Überzeugung basiert, dass durch harte Arbeit und Entschlossenheit jedes Ziel erreicht werden kann.
In der dystopischen Zukunft des Films, in der die Erde von Umweltkatastrophen heimgesucht wird, symbolisiert die Suche nach einem neuen Heimatplaneten den Drang, nach Erforschung und neuen Lösungsansetzen zu streben, der tief im amerikanischen Selbstverständnis verwurzelt ist. Die Astronauten, die sich auf die gefährliche Mission begeben, verkörpern den Mut und die Bereitschaft, Risiken einzugehen, um größere Ziele, zum Beispiel die Rettung der Menschheit zu erreichen.
Der Astronaut Cooper verkörpert in „Interstellar“ viele Grundprinzipien des ‚American Way of Life‘, insbesondere in seiner Beziehung zu seiner Tochter Murphy. Cooper zeigt den amerikanischen Glauben an die Fähigkeit des Einzelnen, durch eigene Anstrengung und Entschlossenheit große Ziele zu erreichen. Seine Entscheidung, die Mission anzutreten, spiegelt den Drang nach Fortschritt und den Glauben an den Erfolg seiner Mission wider, selbst wenn dies bedeutet, persönliche Beziehungen zu opfern. Cooper lässt seine Tochter zurück, um die Menschheit zu retten, was seine eigene Selbstlosigkeit betont und den Dienst an der Gesellschaft hervorhebt. Coopers Entscheidung, die Erde zu verlassen, verdeutlicht dem Zuschauer die Freiheit des Einzelnen, eigene Entscheidungen zu treffen, aber auch die Verantwortung, die damit einhergeht. Diese Freiheit kann jedoch zu Konflikten führen, wie in seiner Beziehung zu Murphy, die sich verlassen fühlt.
Coopers Weg könnte als falsch angesehen werden, da er seine Beziehung zu seiner Tochter opfert, was zu emotionalem Schmerz für Murphy führt. Diese Entscheidung spiegelt die kapitalistische Idee wider, dass individuelle Errungenschaften und Fortschritt oft auf Kosten persönlicher Bindungen gehen können. Im Kapitalismus wird häufig der individuelle Erfolg über das Wohl der Gemeinschaft gestellt, was zu Ungleichheit und Konflikten führen kann. Coopers Entscheidung, die Erde zu verlassen, könnte als Kritik an diesem System interpretiert werden, da sie zeigt, dass das Streben nach großen Zielen ohne Rücksicht auf persönliche Beziehungen zu Verlust und Entfremdung führen kann.
Die Emotionen von Coopers Tochter Murphy spiegeln eine kritische Haltung gegenüber dem kapitalistischen Prinzip wider, dass individuelle Erfolge und Ziele über persönliche Beziehungen zu stellen sind. Murphy fühlt sich als Opfer einer alleinigen Entscheidung ihres Vaters, die dem Streben nach einem größeren, aber abstrakten Nutzen folgt. Dabei lässt der Held Cooper das kleine Glück außer Acht. Murphys Enttäuschung zeigt die Schattenseiten des Kapitalismus, in dem es auch Verlierer, in Coopers Fall die eigene Tochter, geben muss. Dem Glauben an den Fortschritt und die Innovationskraft der Technik werden alle anderen Wünsche der Menschen untergeordnet.
Coopers Entscheidung, die Erde zu verlassen, dient als Beispiel für die Priorisierung von großen Zielen, wie die der Rettung der Menschheit, die über familiäre Bindungen bedeutend ist. Trotz ihrer negativen Gefühle hält Murphy an der Hoffnung fest, der Vater tue mit seiner Entscheidung gegen die eigene Tochter etwas heldenhaft Richtiges, was zeigt, dass sie letztlich die Notwendigkeit der kapitalistischen Logik glaubt, die auf langfristigen Nutzen und Fortschritt für die Menschheit, aber nicht für die Tochter als Individuum abzielt. Für Vater und Tochter gibt es kein Happyend. Beide werden sich nie mehr sehen, höchstens in einer „gefühlten Zeitebene“. Die Tochter beginnt zu verstehen, dass Coopers Entscheidung Teil eines größeren Plans ist, der die Menschheit retten soll. In diesem Plan spielen die Bedürfnisse eines Kindes wie Murphy eine untergeordnete Rolle.
Die Suche nach einer neuen Heimat in “Interstellar“ lässt sich gut mit den historischen Siedlern der USA vergleichen, die im 19. Jahrhundert gen Westen zogen, um neues Land zu erschließen und ein besseres Leben zu finden. Sowohl die Astronauten in „Interstellar“ als auch die amerikanischen Siedler verkörpern den amerikanischen Pioniergeist. Die amerikanischen Siedler wie auch die Astronauten sind bereit, große Risiken einzugehen, um ein besseres Leben für sich zu schaffen. Die Siedler der USA mussten sich unbekannten Gefahren wie rauem Terrain, extremen Wetterbedingungen und Konflikten mit indigenen Völkern stellen. Ähnlich stehen die Astronauten in „Interstellar“ vor unvorhersehbaren und lebensbedrohlichen Herausforderungen auf den fremden Planeten.
Die ersten amerikanischen Siedler mussten sich durch unerforschte und oft unwirtliche Landschaften bewegen, darunter dichte Wälder, weite Prärien und Gebirge. Diese Gebiete waren oft ohne klare Wege oder Karten zu erforschen. Die Astronauten erkunden fremde Planeten mit unbekannten und potenziell lebensfeindlichen Bedingungen, wie die riesigen Wellen auf ‘Miller’s Planet‘ oder die giftige Atmosphäre auf ‘Mann’s Planet‘. Die Siedler waren den Launen der Natur ausgesetzt, wie Tornados, Dürren oder extreme Kälte, die ihre Ernten und Lebensgrundlagen bedrohten. Dafür sind die Astronauten extremen Wetterbedingungen ausgesetzt, wie den gewaltigen Wellen auf ‘Miller’s Planet‘ oder den eisigen Temperaturen auf ‘Mann’s Planet‘. Die Siedler gerieten oft in Konflikte mit den indigenen Völkern, die bereits in diesen Gebieten lebten. Diese Auseinandersetzungen waren häufig gewaltsam und gefährlich.
Das Team von Cooper steht vor internen Konflikten, wie dem Verrat durch Dr. Mann, der die Mission gefährdet und zu einer für die Gruppe lebensbedrohlichen Situation führt. Für die amerikanischen Siedler war die Verfügbarkeit von Wasser, Nahrung und anderen lebensnotwendigen Ressourcen oft ungewiss, was das Überleben erschwerte. Dagegen müssen die Astronauten mit begrenzten Ressourcen auskommen, da jeder Planet neue unvorhersehbare Herausforderungen hinsichtlich der Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern birgt. Viele Siedler lebten isoliert von größeren Gemeinschaften, was die soziale Unterstützung und den Austausch von Informationen erschwerte. Demgegenüber sind die Astronauten von der Erde und ihrer Familie isoliert, was psychologische Belastungen mit sich bringt und die moralische Unterstützung erschwert. In beiden Fällen zeigt sich, dass die Erkundung neuer Gebiete mit erheblichen Risiken für die Gruppe verbunden ist, die sowohl physischer als auch emotionaler Natur sind.
Neben dem vorbildhaften Verhalten von Cooper als Leiter der Mission gibt es ein Verhalten, was ganz und gar unehrenhaft ist und im Gegensatz zu Coopers Idealen steht. Dr. Manns Verhalten in “Interstellar“ steht in vielerlei Hinsicht im Widerspruch zu den Idealen des der American ‚Way of Life‘, die durch Werte wie Ehrlichkeit, Gemeinschaftssinn und Opferbereitschaft geprägt sind.
Dr. Mann, einer der ersten Wissenschaftler, die im Rahmen des Lazarus-Projekts ausgesandt wurden, ist der zentrale Gegenentwurf zum heldenhaften Cooper in „Interstellar“. Dieser nicht integre Wissenschaftler Dr. Mann sendet absichtlich falsche Daten zur Erde, um den Anschein zu erwecken, dass sein Planet bewohnbar ist. Diese Täuschung führt die Crew von Cooper zu ihm, in der Hoffnung, dort eine neue Heimat für die Menschheit zu finden. Ein zentraler Wert des ‚American Way of Life‘ ist die Ehrlichkeit und der Integrität des Einzelnen. Dr. Manns bewusste Fälschung von Daten und seine Lügen stehen im direkten Gegensatz zu diesen Idealen, die Vertrauen und Aufrichtigkeit in der Gemeinschaft fördern.
Dr. Manns Handlungen sind stark von Verzweiflung geprägt. Nach Jahren der Isolation und der Erkenntnis, dass sein Planet unbewohnbar ist, entwickelt er einen starken Überlebensinstinkt. Er sieht die Ankunft von Coopers Crew als seine einzige Chance, gerettet zu werden und seinen Horrorplaneten lebendig zu verlassen. Obwohl Dr. Mann ursprünglich als Held und Vorbild dargestellt wird, offenbart sich sein Egoismus in der extremen Situation. Während der ‚American Way of Life‘ den Gemeinschaftssinn und die Zusammenarbeit betont, handelt Dr. Mann aus reinem Egoismus. Seine Täuschung der Crew, um seine eigene Rettung zu sichern, zeigt eine Missachtung der kollektiven Verantwortung, auf die sich das Team um Cooper beruft.
Seine Angst vor dem Tod und der Einsamkeit treibt ihn dazu, moralische Prinzipien zu ignorieren und andere in Gefahr zu bringen, um seine eigene Rettung zu sichern. Die jahrelange Isolation und die Aussichtslosigkeit seiner Situation haben Dr. Mann psychisch stark belastet. Diese Belastung führt zu irrationalem Verhalten und einer verzerrten Wahrnehmung der Realität. Der ‚American Way of Life‘ betont die Opferbereitschaft zum Wohl der Gemeinschaft. Dr. Mann hingegen zeigt seine Selbstsucht und ist bereit, andere in Gefahr zu bringen, um sich selbst zu retten, was die Ideale der Selbstlosigkeit und des Dienstes an der Gesellschaft untergräbt.
Das Staatstheater Darmstadt versucht, die Konflikte in “Interstellar“ aufzuzeigen. Besonders schön sind die Sets, welche die Planeten zeigen, aufgebaut. Diese werden von Klaus Gehre liebevoll in Szene gesetzt und mit Videotechnik an die Wand gestrahlt. Jegliche visuellen Effekte werden während des Stücks live erzeugt. Die Miniaturlandschaften sind sehr beeindruckend gestaltet. Die Zuschauer sehen ein Spielzeugraumschiff und dürfen Playmobil-Astronauten bei der Erkundung eines Eisplanten beobachten. Es gibt eine Szene aus dem Film „Casablanca“ der mit Barbiepuppen vor den Augen des Zuschauers abläuft. Besonders ‚cool‘ ist, dass die Schauspieler auf der Bühne in echten Autoscootern fahren dürfen und in einem echten Geländewagen sitzen.
In der Bearbeitung von Gehrke geht es auch um die Idee des Zeitreisens. Trotz einer unterschiedlichen Geschwindigkeit gelingt es Cooper, für kurze Zeit seine Tochter wieder zu sehen und mit ihr Kontakt aufzunehmen. Zusätzlich zu Nolans Story um den Astronauten Cooper wird ein Text von Heiner Müller „Der Horatier“ von 1973 in die Story um Cooper eingeflochten. Der Text handelt vom Kampf der Stadt Alba gegen Rom. Am Ende hat Rom sich den Sieg gesichert. „Der Horatier“ sagt aus, dass es keine Erlösung ohne Verlust gibt. Dieses Denken entspricht der Gedankenwelt der amerikanischen Siedler, die auch für den Kampf um ein besseres Leben zu höchster Anstrengung und persönlichen Verlusten bereit sind. Letztlich helfen die besten Grundideen nicht weiter, wenn sie von Menschen wie Dr. Mann aus Verzweiflung verraten werden, oder sie wie bei Cooper zu einem Zerwürfnis mit der eigenen Familie führen.
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