Im Januar 2025 hatten wir Gelegenheit, im Rahmen unseres Seminars zu „Exzesse, Ekstase, Askese“ einem sehr interessanten Vortrag von Pfarrer Dr. Andreas Goetze zu lauschen. Er ist Referent „Interreligiöser Dialog, Schwerpunkt Islam/ Christ*innen im Mittleren Osten“. Ihn als Gastredner zu uns einladen zu können, war ein großer Gewinn, den wir Herrn Brinkmeyer verdanken. Pfarrer Goetzes zu Gehör gebrachtes Themengebiet war „Askese und Ekstase“ – Begegnung mit dem Heiligen“. Aus dem (nur zum internen Gebrauch) zur Verfügung gestellten Handout zum Vortrag habe ich einige Gedanken, speziell zum Themenbereich der „Askese“, herausgefiltert. Die Askese, als eines der Schwerpunkte im Seminar, erfährt dadurch nochmals in besonderer Art und Weise eine Ergänzung und Erweiterung. Zudem gewährt sie den UniWehrsEL-Lesern einen kleinen Einblick in ein wesentliches Themengebiet, mit besonderer aktueller Gültigkeit. Nochmals im Namen meiner Studierenden ein großes Dankeschön an Herrn Pfarrer Dr. Goetze!
Die eine Ausprägung einer Religion gibt es nicht.
Eine einzige, absolute Realität einer Religion ist ein Konstrukt. So kann man nicht von „dem“ Buddhismus, „dem“ Judentum, „dem“ Christentum, „dem“ Islam etc. sprechen, um Spiritualität zu verstehen. Pfarrer Goetze behandelt das Konzept des „mysterium tremendum et fascinosum“ und die Begegnung mit dem Heiligen, die Ehrfurcht und Faszination auslöst. Es beschreibt spirituelle Wege zu innerer und äußerer Freiheit und betont die Bedeutung von Askese und Ekstase in verschiedenen Religionen.
Das Wort „Religion“, „religio“, ist einerseits abgeleitet von „relegere“ (lat.) und bedeutet „rücksichtsvolles Tun“ und „gewissenhaftes Beobachten“. Andererseits ist „religio“ abgeleitet von „religare“ (lat.), das „zurückbinden“ bedeutet. Die „religio vera“ ist die „wahre Religion“, die darauf ausgerichtet ist, die Seele, die von Gott getrennt ist bzw. sich von ihm losgerissen hat, wieder mit Gott zu versöhnen – sie an Gott „zurückzubinden“.
„Askese“ bedeutet im ursprünglichen Sinne „fortlaufend üben“ und beschreibt den freiwilligen Verzicht auf sinnlichen Genuss, um den eigenen Willen zu stärken und spirituelle Ziele zu erreichen. In der Antike übten die praktizierenden Asketen Verzicht, um Freiheit und Weisheit zu erlangen. So verzichteten sie auf Fleisch (griechische Asketen) aus politischen und sozialen Gründen. Im religiösen Kontext ist in vielen Religionen Askese ein Weg zur Erleuchtung und zum Seelenheil. Strenges Fasten und der Verzicht auf Materielles gehören genauso dazu wie sexuelle Enthaltsamkeit.
Askese religionsgeschichtlich – verschiedene Aspekte, die durchaus ineinandergreifen können
a. abgrenzend-passiv: Verzicht auf Genussmittel
- Alkohol: Buddhisten, Muslime, Sikhs , Nasiräer (hebräisch: von nasar “ = aussondern, weihen => Asket
- Speisen (als Tabu = rituell unrein wie z. B. Schweinefleisch): Judentum, Islam
- Kleidung: Trauerkleider, Barfüßer, sakrale Nacktheit
b. strenge Askese geprägt vom dualistischen Weltverständnis (wie z. B. bei den Manichäern)
- kann bis zur körperlichen Selbstverstümmelung führen
z.B. Selbst-Kastration in hellenistischen Mysterien Religionen,
lebendig begraben werden (Sterbefasten bei Janismus)
c. angewendete Askese, um bestimmte, meist profane und individuelle, Ziele zu erreichen
- Verzicht auf Geschlechtsverkehr, um Erfolg bei der Jagd zu haben (vgl. Fußballer heute …)
- Peinigung bei Initiationsriten, um jungen Menschen Kraft und Wachstum zu ermöglichen
- Übung der Tugendhaftigkeit, um ein langes Leben zu erhalten (Taoismus)
d. aktiv ausgerichtete Askese
- Askese als Bußübung, um die Götter zu besänftigen
- Fasten
- Keuschheit
- Beichte
- Selbstgeißelung (z. B. Ashura Zeit bei Schiiten)
- Rituelle Reinigungen und Waschungen (z. B. vor dem Gebet)
- Opfer von Menschenblut /periodische Menschenopfer (z. B. bei den Azteken)
e. auferlegte Askese
- Abwendung von Katastrophen und Unheil im Interesse einer Gemeinschaft
- ist eng mit Kult und Ethik verbunden
- zuweilen mit Vermischung magischer Praktiken (z.B. Gebetsmühlen, Mantras im Tibetischen Buddhismus)
Grundlegend kommt es auch darauf an, ob in der Religion bzw. Weltanschauung mehr ein Dualismus von Geist und Materie vorherrscht und damit die Schöpfung sowie die Leiblichkeit als etwas zu Überwindendes gesehen wird (weltverneinende Auffassung)
oder
ob die Schöpfung mehr als Teil des aktiven, guten Handeln Gottes gesehen wird: „Gott als Schöpfer des Kosmos“. Positive Auffassung zur Welt, zum Körper, zur Sexualität, zum Genuss (weltbejahende Auffassung)
Neben der Askese nimmt die Ekstase einen bedeutenden Aspekt spiritueller Zugänge in den Religionen ein. „Ekstase“ heißt, einen Zustand übermäßiger Begeisterung oder Verzückung zu erlangen, oft als Folge übernatürlicher Einwirkung. Unterscheiden lassen sich bewegte und inwendige Ekstase.
Bewegte Ekstase: Sie findet man oft in Gruppen wie bei den Chassidim, den Sufis (vgl. auch die Melancholie in der Poesie) oder auch in der Pfingstbewegung. Ekstase hat dann auch mit Tanz und Gesang zu tun. Anders die Inwendige Ekstase, die mit Versenkung und ruhendem Körper einhergeht und bei Mystikern wie Rumis von innerem Erlebniswandel geprägt ist. Bei der inwendigen Ekstase sind auch die christlichen Mystikerinnen Mechthild von Magdeburg und Theresa von Avila zu erwähnen.
Spirituelle Erfahrung und Annäherung an das Göttliche finden sich schon im Dionysoskult. Der Rausch ist hier Mittel zur Veränderung des Bewusstseins durch göttliche Einwirkung. Anders die Mystische Ekstase. Sie wird im Neuplatonismus durch Katharsis und Askese erreicht.
„Askese“ und „Ekstase“ sind tief in verschiedenen Religionen verwurzelt und stellen unterschiedliche Aspekte der spirituellen Disziplin und Hingabe dar.

Askese und Erfahrungen von Siddharta Gautama (Buddha)
Buddha begab sich auf eine „Lebensreise“. Er verließ als Siddharta Gautama seine Familie, um die Ursachen des Leidens zu verstehen und zu überwinden. Unterwegs begegnete er einem Kranken, einem Alten und einem Toten. Dies ließ ihn die Vergänglichkeit des Lebens erkennen. Berühmt wurde Siddharta auch durch das gleichnamige Buch von Hermann Hesse.
Siddharta übte sich zunächst in strenger Askese, indem er extrem abmagerte. In dieser extremen Ausrichtung erlangte er nicht die gewünschte Erleuchtung, aber die Erkenntnis, dass Gewalt gegen den Körper kein Weg zur Befreiung sein kann. Daraus entwickelte er die Lehre des „Mittleren Weges“, der ebenfalls in Judentum, Christentum und Islam bedeutsam ist. Dies bedeutet die Vermeidung von Extremen, die Suche nach einem ausgewogenen Lebensstil und – im Buddhismus – die Überwindung des Leidens, um zur Erleuchtung zu gelangen.
Psychologie und Askese in der Moderne
In der Psychologie steht Askese im Zusammenhang mit einer Stärkung des Selbstgefühls und der Impulskontrolle. Eine abgeschwächte Form der Askese wurde in den letzten Jahren sogar zum Lifestyle: Gesundheits-Förderung, Minimalismus, digitale Askese, Smartphone-Diät, einfache Ernährung und anderem.
Dazu ist auch das Buch „Die Kunst des Begehrens: Dekadenz, Sinnlichkeit und Askese“ von Niklaus Lagier empfehlenswert.

Zum Weiterdenken:
Andreas Goetze „Religion fällt nicht vom Himmel: Die ersten Jahrhunderte des Islams“ (2011): „Im Großraum Syrien liegt die Wiege von Islam, Judentum und Christentum: eine Region voller spannender Begegnungen und wechselseitiger Beeinflussungen. Andreas Goetze nimmt den Leser mit auf eine interessante Reise zu den gemeinsamen Ursprüngen der drei monotheistischen Weltreligionen und zeichnet die Entstehungsgeschichte des Islams nach. Mit einem Begriffslexikon, einer Übersicht zum arabischen Alphabet, Karten und Abbildungen sowie einer vergleichenden Chronologie.“
Daraus ein Auszug zur „Gnosis“ (griechisch Erkenntnis), den uns Dr. Goetze zur Verfügung stellte:
Danke für Image by Sasin Tipchai from Pixabay