Palaver bedeutet umgangssprachlich ein eher überflüssiges Gerede oder nicht enden wollendes Verhandeln über eine Sache, die aus sehr unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden kann. Einfach genießen, statt darüber zu reden, kann man trefflich, alljährlich über eine wunderbare Pflanze, den Papaver. Mythologie, Religion und Medizin haben selten eine so große Rolle gespielt wie bei der Mohnblume.
Aus der Türkei stammend, findet man die zur Familie der Mohngewächse (Papaveraceae) gehörende Pflanze sogar im heimischen Garten. Zu den biblischen „Blumen des Feldes“ (Interpretation zu Lukas 12,27: „Seht euch die Blumen auf den Feldern an, wie sie wachsen!“) gehörte der Feld- oder Klatschmohn (Papaver rhoeas). Dort, wo schon seit langer Zeit Ackerbau betrieben wurde, verbreitete er sich dank Kulturtechnik und ausgesätem Saatgut. Junge Blätter des Feldmohns sind durchaus pikant, die Pflanzenteile aber mehr oder weniger giftig.
Mohnblumen erfreuen in der freien Natur durch ihre leuchtend rote Farbe; es gibt sie auch in anderen Farbtönen wie etwa orange und violett und in etwa 70 verschiedenen Arten. In ihren Kapseln finden sich die Samen, die von jeher als Fruchtbarkeitssymbol galten. Bemerkenswerter Weise sind die Samen des Mohns ungiftig, während üblicherweise bei als giftig geltenden Pflanzen auch die Samen sich als besonders giftig erweisen.
Die Gattung Mohn unterteilt sich in Arten, die sich medizinisch als stark wirksam herausgestellt haben, weil sie insbesondere schlafbringende und schmerzlindernde Inhaltsstoffe enthalten. Dazu gehört z. B. der Schlafmohn (Papaver somniferum). Dagegen gibt es Arten, die diese Inhaltsstoffe so gut wie nicht aufweisen, wie z. B. der Klatschmohn (Papaver rhoeas).
Der Klatschmohn hat eine Vielzahl von volkstümlichen Namen, wie z. B. Klappermohn (Klappern der reifen Kapseln), Klappros, Klapprosenmohn, Feuerblume, Blutblume, Feldrose oder Feldmohn, letztere Bezeichnungen durch sein häufiges Vorkommen zusammen mit der blauen Kornblume als „Ackerunkraut” in den Kornfeldern. Dies hat schon Claude Monet inspiriert.
Der Name “Papaver” führt zur historisch interessanten Erklärung: aus “papa” (Kinderbrei) und “verum” (echt). Schon im alten Rom mischten Mütter den Saft dieser Pflanze Kindern dem Essen bei oder rieben vor dem Stillen die Brust damit ein, damit die Kinder und Säuglinge gut einschliefen. Noch vor hundert Jahren verkauften Apotheker Mohnschnuller, um Kleinkinder ruhig zu stellen.
Verwendung findet Mohn bei der Herstellung von Schminke oder in getrocknetem Zustand als Heilmittel. Ihm wird eine nervenberuhigende Wirkung nachgesagt. Helfen soll er bei Schlaflosigkeit und Alpträumen. Tatsächlich soll man dank der Mohnblume “in Morpheus Armen ruhen“. Morpheus, der Gott des Schlafes und der Träume erscheint das erste Mal in Ovids Erzählungen, der ihn in seinem epischen Gedicht die Metamorphosen, als Sohn des Gottes der Nacht ernennt. Der Name Morphe (griechisch Gestalt) verdankt er seiner göttlichen Besonderheit, die Gestalt von Personen anzunehmen, die in unseren Träumen erscheinen. Das geflügelte Wesen kann sanft eine Mohnblume über die Augen der Menschen führen und sie somit ins Land der Träume entführen. Allerdings erzählt Ovid auch von den Brüdern des Morpheus, die uns weniger Schönes vermitteln können. Phantasos (Fantasie) erschafft Landschaften und die leblosen Gegenstände in unseren Träumen, die uns verwirren. Phobetor lässt tierische Gestalten erscheinen, die in Form von furchterregenden Bestien und Monstern in unseren Alpträumen auftauchen.
Einen, den der Mohn bis in seine (Tag-)Träume verfolgt hat, war der Dichter Ludwig Uhland. Sein Gedicht „Der Mohn“ erinnert an Goethes „Maifest“: „Wie herrlich leuchtet …“. und die im Sonnenschein glänzende Blüte des Mohns, die bald purpurhell, bald weiß erscheint und irreale Vergleiche mit der Abendröte und dem Mondschimmer in eine gedankliche Verbindung setzt. Die Assoziation zu Nacht-Schlaf-Traum wird durch das Attribut der Blume zart angedeutet: „Die Blume, die am besten / Des Traumgotts Schläfe kränzt“.
Der Mohn (Ludwig Uhland 1787-1847)
Wie dort, gewiegt von Westen,
Des Mohnes Blüte glänzt!
Die Blume, die am besten
Des Traumgotts Schläfe kränzt;
Bald purpurhell, als spiele
Der Abendröte Schein,
Bald weiß und bleich, als fiele
Des Mondes Schimmer ein.
Zur Warnung hört ich sagen,
Dass, der im Mohne schlief,
Hinunter ward getragen
In Träume schwer und tief;
Dem Wachen selbst geblieben
Sei irren Wahnes Spur,
Die Nahen und die Lieben
Hält’ er für Schemen nur.
In meiner Tage Morgen,
Da lag auch ich einmal,
Von Blumen ganz verborgen,
In einem schönen Tal.
Sie dufteten so milde!
Da ward, ich fühlt es kaum,
Das Leben mir zum Bilde,
Das Wirkliche zum Traum.
Seitdem ist mir beständig,
Als wär es nur so recht,
Mein Bild der Welt lebendig,
Mein Traum nur wahr und echt;
Die Schatten, die ich sehe,
Sie sind wie Sterne klar.
O Mohn der Dichtung! wehe
Ums Haupt mir immerdar!
Und ergänzend kann man in der Deutschen Apotheker Zeitung nachlesen:
„Mohn bzw. das durch die Kapseln gewonnene Opium symbolisieren in der Kunst Traum, Vergessen, Trost und Tod. Mohn findet insbesondere auf Bildern der antiken Götterfamilie Nyx (Göttin der Nacht) mit ihren Söhnen Thanatos (Gott des Todes) und Hypnos (Gott des Schlafes) und dessen Sohn Morpheus (Gott der Träume), symbolische Verwendung. Oft kommt auf diesen Bildern nicht die Mohnpflanze oder Mohnblüte zur Abbildung, sondern die Mohnkapsel, aus der das Opium gewonnen wird“.
(P. Schmersahl: Mohn in der bildenden Kunst – Eine Pflanze zwischen Traum und Tod.
In: Deutsche Apothekerzeitung 5/2003
Dieser Beitrag bietet eine perfekte Einstimmung zu unserem Winterseminar Fremde Welt Nachterleben – Eine Reise durch Traumwelten und Kulturarbeit am Traum