“Es ist ein Traum – ich wage es kaum, daran zu denken er würde einst wahr”. So heißt es in einer Textzeile aus der Operette “Die schöne Helena”. In dieser Szene liegen Helena und ihr Liebhaber Paris gemeinsam im Himmelbett und denken über einen möglichen Ehebruch nach. Dieser Ehebruch blieb nicht beim bloßen Gedanken und löste letztendlich den Trojanischen Krieg aus.
An diese Szene konnte auch der theateraffine Zuschauer beim Besuch der „Traumnovelle“ am Schauspiel Frankfurt denken. Die Traumnovelle erzählt ein handfestes Ehedrama. Nachdem die Ehefrau ihren Mann in ihre geheimen sexuellen Phantasien eingeweiht hat, kann der Ehemann nicht mit diesem Geständnis umgehen und begibt sich auf eine Reise nach den eigenen (sexuellen) Begierden. Dabei streift er durch das nächtliche Wien und begegnet einer Prostituierten, landet auf einer geheimnisvollen Feier, wo geheime Wünsche ausgelebt werden, wird Zeuge von etwas Verbotenen. Betrachtet am nächsten Tag die Leiche einer Frau, die ihn vermeintlich vor einer Strafe bei seinem voyeuristischen Erlebnis auf der geheimnisvollen Feier bewahrt hat und dafür statt seiner Sterben musste.
Liebes UniWehrsEL,
Die Inszenierung von Sebastian Hartmann überfordert den Zuschauer in gewisser Weise – so ist der Zuschauer es gewöhnt, gerade bei der Oper aber auch beim Schauspiel, dass eine Handlung chronologisch aufeinander aufgebaut ist und so auch erzählt wird. Hartmann zerlegt die Story jedoch in Einzelteile, so dass die Handlung dem Zuschauer nicht mehr ganz klar erscheint. Die Dramaturgie begründet das mit dem Traum. Im Traum sei schließlich alles möglich, ein Traum müsse nicht logisch erzählt sein. Das führt aber zur Verwirrung des Zuschauers und ist der Grund warum die Vorstellung in der Premiere bei einem großen Teil durchgefallen ist. Das Zerlegen in Einzelteile erinnert den Zuschauer positiv ausgedrückt an einen Sketch-Abend. Bei einem Sketch folgt in loser Rheinfolge ein lustiger Gag auf den Nächsten. Eine wirkliche fortlaufende Handlung muss bei einem Sketch nicht eingehalten werden, und trotzdem kann sich der Zuschauer prächtig amüsieren. Die Inszenierung ist also eine Anleitung für den Zuschauer sich auf angenehme, unterhaltsame Weise seine Zeit zu vertreiben.
Dies kann der Zuschauer indem er die schönen Abendkleider der Damen aus den 1920er bewundert, die gestriegelten edlen Fracks der Männer bewundert, sich auf ein Gedicht von Edgar Allen Poe „A dream within a dream“ oder den Song „Leuchtreklame von Milliarden“ am Klavier begleitet, auf ein chinesisches Gedicht, eine dramatische Erschießung der Figuren, wobei die Schauspielerin Heidi Ecks (auch im kleinen Snack schon gesehen und beschrieben) fast so schön theatralisch stirbt wie eine Tosca an der Frankfurter Oper, einlässt. Alle diese Szenen bekommt der Zuschauer geboten, aber sie bringen die eigentliche Storyline über das vorherbeschriebene Ehedrama nicht voran. Auch eine Überlegung zum Klimawandel oder Teilchenphysik ist interessant, aber nicht zielführend, um die Eheprobleme der Grundfiguren zu lösen. Eigentlich sind es zwei, aber dem Zuschauer wird das Ensemble vorgesetzt.
Zu sehen bekommt der Zuschauer einen Sandhaufen. Denn am Ende werden wir Menschen alle zu Staub und Asche. Also warum das unausweichliche nicht gleich als Bühnenbild verwenden? Über dem Sandhaufen ist eine skalierbare Schranke angebracht. Sie ist die gesellschaftliche Schranke, die zwischen den Menschen im Leben steht, bevor sie zum Staub werden. Davor müssen sich die Menschen quälen. Eben mit diesen unsichtbaren (gesellschaftlichen) Schranken. Wenn die Leute feiern gibt es laut Regie kleine Zeitfenster, die sich öffnen. Dann ist auch die Schranke aufgehoben. Aber die meiste Zeit des Lebens der Menschen ist diese Schranke am wirken – also geschlossen. Dann sind die Chancen sich anderen Menschen anzunähern sehr gering bzw. gar nicht möglich, weil eben diese Schranke da ist. Das leuchtet dem Zuschauer ein.
Ein Theaterabend lebt von der Überraschung des Zuschauers und von dessen Fähigkeit, sich auf eine Inszenierung einfach einzulassen. Diese Fähigkeit kann der Zuschauer bei der Traumnovelle prima üben. Wie sagte die Dramaturgin bei der Einführung so schön, lassen sie sich einfach auf den Moment ein und genießen sie ihn. Dann wird Ihnen der Abend schon gefallen.
Wann hast du das letzte Mal geträumt?
Beste Grüße von einem träumenden UniWehrsEL-Schreiber
Lieber UniWehrsEL-Schreiber,
ich bin von diesen theatralischen Träumen durchaus fasziniert und danke Ihnen für Ihre Ausführungen. Spontan fällt mir Georg Seeßlen und sein Kubrick-Buch ein, indem es um Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“ und dessen Verfilmung, Stanley Kubricks Eyes Wide Shut, und der Umsetzung im Schauspiel in Frankfurt geht. Spannend und intensiv sind die psychoanalytischen Deutungen (Schnitzler und Freud waren Wiener Zeitgenossen), über die es sich durchaus lohnen würde, weiter zu diskutieren. Dies gebe ich jetzt einmal erst an meine UniWehrsEL-Leser weiter und bin auf Ihre Kommentare dazu sehr gespannt.
Beste Grüße
Ihr UniWehrsEl
Danke für die träumerisch-inspirierende Meerjungfrau von Engin Akyurt auf Pixabay