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Der Screenshot oder Bildschirmschuss zeigt eine kleine Fotografie in Briefmarkengröße der Teilnehmenden einer Online-Seminar-Sitzung. Spontan entstanden, führt es zu der Frage: Wieviel Authentizität ist nötig und möglich, um die Gesichter einer virtuellen Veranstaltung auch Nicht-Teilnehmenden in einer Veröffentlichung zu vermitteln?

Der Mensch hat viele Körperteile, im virtuellen Zoomunterricht ist aber ausschließlich das Gesicht erkennbar. In unserer „fazialen“ Gesellschaft ist das Gesicht somit ein Medium, sich auf unterschiedliche Weise zu präsentieren und darzustellen. Das Gesicht in seiner Individualität ist einzigartig. Nicht immer willkommen sind die Spuren der Lebensgeschichte und Lebensweise, die es mit zunehmendem Alter aufweist. Dieser Umstand reizt zuweilen, diese ‚weg zu manipulieren‘, was dann vielleicht zu einem Aufschrei des Unrealistischen führen kann.

Schon Johann Caspar Lavaters (1741-1801) Empfehlung, man solle doch durch einen einwandfreien Lebenswandel auf ein schönes Gesicht hinarbeiten, kommt beim spontanen Bildschirmschuss zuweilen nicht wie gewünscht zum Ausdruck.

Es gibt demnach zwei Möglichkeiten, sich selbst zu gefallen, entweder man setzt sich vorher mittels Kosmetik in Szene oder das Abbild wird hinterher entsprechend geschönt. Dabei taucht die Frage auf, wieviel Identität weist ein geschöntes Abbild dann noch auf? Und ist es legitim, seinen dargestellten Gesichtsausschnitt entsprechend zu manipulieren?

Mit dem geschönten Gesicht ändert sich auch dessen Ausdruck. Betrachtet man das Abbild des Gesichts so wie auf einer Bühne, so sind es vor allem die Emotionen, die sich im Gesicht widerspiegeln, die zum Weiterdenken anregen. Mit der Retusche des Abbildes reduzieren sich gleichzeitig die Möglichkeiten, über das Minenspiel auf das Innenleben einer Person zu schließen. Dabei gerät die Retusche zuweilen so dramatisch, dass das Spiel um die Wirkung nach außen leicht zu erkennen ist. Dem Wunsch des Betrachters, eindeutig im Minenspiel des Gesichts lesen zu können, ist durch die Möglichkeit der Manipulation des Abbildes entgegengewirkt worden.

Dies steht im Fokus zahlreicher Forschungsprojekte wie die Referentin für Wissenschaftskommunikation Anke Sauter beschreibt. Ihr Interesse gilt auch dem „Selfie“. Das zeigt oft nicht nur den Ausschnitt der abgebildeten Person, sondern auch die Umgebung, in der das Bild aufgenommen wurde. Präsentiert wird also ebenso ein Bild vom Leben, das Rückschlüsse zur Persönlichkeit des Abgebildeten zulässt. Dies wiederum bringt uns zurück zum Screenshot, der spontan in einer Online-Sitzung entstanden ist und nun der Öffentlichkeit präsentiert werden soll. Hier kann man sich und seine Umgebung weder selbst inszenieren, noch hat man die Freiheit, seinen Hintergrund so darzustellen, dass keine Rückschlüsse auf das reale Leben des Abgebildeten gezogen werden können.

In diesem Sinne erscheint es legitim, eine „Maske“ zu tragen. Denn wer will schon von sich ein ‚Blitzerfoto‘ wie beim Überschreiten des Tempolimits in der Öffentlichkeit präsentiert sehen?

Lesen Sie dazu auch: Das Gesicht – ein Abbild der Persönlichkeit von Anke Sauter