Wer sich für Philosophie begeistert, der landet früher oder später bei Robert M. Pirsig und dem Roman „Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten“. Als ich ihn 2001 zum ersten Mal las, hatte er schon seine 27. Auflage erreicht. Geschrieben wurde er in den 70ern. Einer Zeit kultureller Umwälzungen. Materieller Erfolg galt für viele nicht mehr als der Sinn des Lebens. „Erfolg“ wurde nicht mehr nur pekuniär gesehen, sondern es ging um die Suche nach einem positiven Lebensziel, auf das man hinarbeiten kann, das einen aber nicht einengt. Die Zeit nicht nur von Flowerpower und Hippies.
Der Autor selbst beschreibt im Nachwort der Ausgabe, dass in diesem Buch viel von den Perspektiven der alten Griechen und ihrer Bedeutung die Rede sei, dennoch der „Zeitbegriff“ unberücksichtigt blieb. „Sie sahen die Zukunft als etwas, das von hinten über sie kam, während die Vergangenheit vor ihnen in die Ferne entschwand“. Zehn Jahre nach Erscheinen des ungemein erfolgreichen Epos hat Pirsig diese Perspektive verinnerlicht und auch für die meisten von uns gilt: „Was von hinten kommt, das weiß ich nicht. Aber die vor mir ausgebreitete Vergangenheit beherrscht das ganze Blickfeld“ (Pirsig, 2001, S.437).
Was ist das für eine Vergangenheit?
Zunächst hatten 121 Verlage das Buch abgelehnt und nur ein Lektor erbarmte sich mit einem Vorschuss von 3000 Dollar. Nach dem Erscheinungstag begann der Aufstieg zum Bestseller. Alle Leute, die das Buch gelesen hatten fragten sich, was steckt dahinter? Was kann ich mit meinen Augen nicht wahrnehmen?
Die Schweden nannten es „Kulturbärer“, mit „Kulturträger“ übersetzbar. Es stellt kulturelle Wertvorstellungen in Frage, weil zu der Zeit, in der es geschrieben wird, eine Kultur im Wandel sich in gleichem Sinne vollzieht. Hier werden Dinge geschildert, wie beispielsweise eine Schocktherapie ohne Zustimmung des Patienten, die wie Pirsig meint, nicht mehr denkbar sei. Die Kultur habe sich gewandelt, der Eingriff in die Freiheit des Menschen sei in dieser Form nicht mehr möglich. Eine Suchbewegung mit existentiellen Fragen, wie leben wir und wie wollen wir leben und eine Meditation über das Besser-leben-Können. Das Buch bot zur richtigen Zeit genau das an, wonach eine ganze Kultur auf der Suche war.
Der freiberufliche Schriftsteller und Professor für Schriftstellerei Pirsig hatte einen faszinierenden Titel gewählt „Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten“, das beinhaltet verschiedene Themen, die vordergründig nichts miteinander zu tun haben. Es geht unter anderem um eine Verbindung zwischen Mensch und Mensch, Mensch und Technik, um Psychose und Eingriff in die Persönlichkeit, um kulturelle Ursprünge und ihre Aktualität.
Über die Besonderheit der östlichen Philosophie berichteten wir schon einmal im Beitrag „Visual Storytelling, wabi-sabi und Monet“ Die Philosophie des „Zen“ legt neben Unvollkommenheit und Liebe zur Natur auch nahe, dass der Weg wichtiger ist als das Ziel. Mit Zweifeln umzugehen ist in unserer Gesellschaft etwas, das Furcht und Besorgnis hervorruft. Aber gerade diese Unsicherheit hat den Vorteil, sie als Lernmöglichkeit zu nutzen. Im Zweifel zu sein hilft, widerstandsfähig und robust zu werden. Pirsig verdeutlicht diese Philosophie gleich zu Beginn seines Romans, wo der Protagonist auf seinem Motorrad, mit seinem 11jährigen Sohn Chris als Sozius, die Luft, die stechenden Gerüche und die Sumpfhordenvögel auf der alten Landstraße von Minneapolis nach den Dakotas wahrnimmt. Für Chris klingt alles nicht besonders beeindruckend, für den Vater schon, denn da lauern überall Erinnerungen, die Chris noch nicht hat. Hinzu kommt für den Vater das gemeinsame Erleben, die Ferien mit und auf dem Motor wahrzunehmen, was er äußerst schätzt, mit allen Sinnen, nicht wie beim Autofahren, „wo alles bloß wieder Fernsehen ist. Man ist passiver Zuschauer, und alles zieht gleichförmig eingerahmt vorbei“.
In Pirsigs Buch geht es um Reisen und Ankommen, um die Planungsphase, das endlich Aufbrechen, um die Weggefährten, die Wegstrecke und die Pausen. Um ein Ankommen und endlich Dortsein, um wieder aufzubrechen und nach Hause zurück zu kehren. Dabei gibt es viele Gedanken, um Dinge, die wichtig erscheinen und doch letztlich unwichtig sind, wie die Banalität der Schrauben am Motorrad, wo eine einzige Schraube über Funktion und Nichtfunktion entscheidet. Um Dinge, die unwichtig erscheinen, bis man feststellt, dass sie – wie eine kaputte Schraube unterwegs – unersetzlich sind.
Und dann ist da noch das Chautauqua. Kaum auszusprechen und schwer zu beschreiben, bleibt es dennoch im Kopf haften, weil es für die Protagonisten eine ganz besondere Bedeutung hat. Im Vater-Sohn-Roadtrip zeigt sich die Bedeutung von „Lehrreden“, um bildende und unterhaltsame Elemente, um eine Kultur, die in der amerikanischen Erwachsenenbildung am Ende des 19. Jahrhunderts bahnbrechend war.
Warum fasziniert mich dieser Roman noch heute? Es geht um Freiheit und das Recht dazu, um Sinnsuche und das Lernen von den alten Philosophen und Kulturen, um das Verstehen der Welt in den verschiedenen Lebensphasen, um ein lebenslanges Lernen, dass mich immer wieder nachdenklich stimmt.
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