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Gestern Abend erreichte mich noch ein Leserbrief, der mich sehr nachdenklich stimmte und den ich Ihnen, liebe UniWehrsEL-Leser, gerne weiterleiten möchte (natürlich mit dem Einverständnis des Schreibenden).

Ich bin auf Ihre Meinung dazu genauso gespannt wie der Briefeschreiber selbst (wie mir versichert wurde). Auch mir sind sie durchaus bekannt, diese melancholischen Stimmungen und die “Durchgrübelten Nächte“.

Liebes UniWehrsEL,

Es ist ein merkwürdiges Phänomen. Wenn man sich mit einem Thema beschäftigt, dann scheint es plötzlich überall nur noch dieses Thema zu geben. So geht es mir zur Zeit mit der Melancholie. Man trifft sie überall und stellt fest, sie hat durchaus ihre positiven Seiten, besonders in Musik und Kunst, aber auch in ganz alltäglichen Lebensbereichen. Denn diese Schwermut hilft mir zuweilen innezuhalten.

Dazu ein paar Gedanken, nicht zuletzt angeregt durch unser gestriges Seminar. Da tauchte nämlich die Frage auf, ob Melancholie eine Emotion sei, die es schon immer gegeben habe oder ob sie heute vielleicht ganz anders erlebt würde als früher. Gibt es Zeiten, in denen man emotionaler als gewöhnlich reagiert? Konnte man früher besser mit dieser Traurigkeit umgehen, also spielt auch das Alter eine Rolle? Hat also Melancholie sehr viel mit Nostalgie zu tun?

Irgendwie ja, denn diese intensiven Gefühle der Melancholie und der Nostalgie sind wohl miteinander verwandt. Melancholie und Nostalgie sind beides intensive Emotionen, verwandt und dennoch unterschiedlich, die Gemeinsamkeit ist wohl, dass sie emotionale Zustände widerspiegeln. Eines beschreibt eine momentan erlebte tiefe Traurigkeit, das andere die anhaltende Sehnsucht nach der Vergangenheit, wobei diese Sehnsucht gleichzeitig eine melancholische Stimmung auszulösen scheint.  

Emotionen sind wichtig, weil sie Orientierung im Alltag geben. Liebe, Hass, Wut hat in der Regel ein Gegenüber auf das sich die Emotion richtet, anders die Melancholie oder diese merkwürdige Nostalgie, die darüber traurig ist, dass etwa unwiederbringlich vorbei zu scheint.

Sehnsucht scheint eine Emotion, die traurig macht, aber nicht pathologisch ist, Also nicht wirklich eine Krankheit, wie die Depression, sondern eher ein Gefühl des unbestimmten Erleidens von etwas. Sozusagen ein Schmerz, der nachdenklich stimmt.

Rückkehr zu besseren Zeiten. Ein nostalgischer Rückblick in eine Vergangenheit, die durch die Erinnerung immer mehr vergoldet zu sein scheint. Sie gleicht einer gedanklichen Reise, in der die Welt irgendwie noch in Ordnung war.  Eine Zeit in der es möglich war, Glück zu erleben.  

Melancholie weckt Gefühle des Verlustes, da ist die Sehnsucht nach etwas, was in weiter Ferne zu sein scheint. Wo Du nicht bist, da wohnt das Glück. Oder das Glück winkt immer in der Ferne. Sind diese negativen Gedanken eigentlich eine Frage des Charakters? Oder haben sie mit unbeherrschten Stimmungen zu tun? Warst Du wirklich früher glücklicher oder gab es wirklich so glückliche Emotionen in Deinem früheren Erleben? Wie wunderbar war Weihnachten früher mit der Familie? Wie einmalig und voller Leben die Urlaube? Bittersüßes Nacherleben einer vergangenen Zeit, die eigentlich niemals so sorglos war?

Und doch ist da auch eine Emotion, die gut tut, je mehr Du darüber nachdenkst. So eine Art Demut, die Du empfindest, weil Du zu solchen Gefühlen fähig bist. Und Dankbarkeit, weil es Menschen gibt, die zu Dir gehört haben, es vielleicht immer noch tun. Du kannst schon verstehen, warum diese Gefühle so viele Künstler inspiriert haben.

Melancholische Momente muss man nutzen, weil es gerade in diesen Momenten möglich ist, seine Gefühle auf kreative Weise zu nutzen. Nicht jeder ist ein Maler wie Caspar David Friedrich, aber er kann inne halten, so wie Dürers „Melencolia I“, die den Kopf auf die Hand stützt und über sich, die Vergangenheit und die Zukunft nachzudenken scheint.  

Gerade empfinde ich die Nostalgie als nicht mehr so schmerzhaft, denn es kommt mir da etwas Bittersüßes in die Erinnerung, ein positives Gefühl scheint sich Bahn zu brechen, Hoffnung keimt auf.

Ganz liebe Grüße

Herzlichen Dank, dass Sie uns an Ihrer melancholische Stimmung teilhaben ließen, lieber Briefeschreiber, Ich hoffe, wir bekommen tatsächlich eine Antwort darauf! Mich hat Ihre Gedankenflut an das Thema der Euphancholie erinnert, wie ich es bereits in einem Beitrag zu einer Buchempfehlung beschrieben habe.

Danke für das Bild von Andrew Leinster zum Sonnenuntergang, an den mich metaphorisch die Themen der Melancholie und Nostalgie erinnern!