Melancholie steht mit dem Bewusstsein in einem unmittelbaren Zusammenhang, so mit dem Bewusstsein von Verlust und Vergänglichkeit sowie dem Zeitbewusstsein. Dies näher zu verstehen gelingt, wenn man die Ausführungen zu „Melancholie und Kunst“ von Joke Hermsen näher betrachtet. Das wollen wir unter anderem gemeinsam im Wintersemester 2022_23 an der U3L (Universität des 3. Lebensalters) tun.
Vorab einige Gedanken, die an unseren Lebens- und Erfahrungshorizont andocken. Der Begriff der Zeit kennt viele Ausdrucksformen, die eine bestimmte Stimmungslage ausdrücken. In der Zeit „versunken zu sein“, heißt in diesem Sinne gedanklich in einer Zeit stehenzubleiben, die zwischen Vergangenheit und Zukunft nicht unterscheidet. Es bedeutet ein mit „Wehmut“ zurückblicken, einen Stillstand in der Vergangenheit, der keine anderen Perspektiven offenlässt. Es gäbe da aber noch eine andere Möglichkeit, nämlich die, nicht in der Zeit Stillzustehen, sondern dem Zeiterleben eine andere Form zu geben. Dies gelingt den Menschen, die den Rhythmus und die Kadenz von Worten, Bildern und Klängen aufzugreifen vermögen.
In der Kunst gibt es viele Beispiele dazu. Zum Themenbereich Melancholie passend, finden wir die Besinnung auf sich selbst in Dürers Kupferstich „Melencolia I“, in Gestalt des gedanklich versunkenen Engels. Auch in Francis Poulens Klavierkomposition „Mélancolie“ klingt eine Wehmut, die unsere Phantasie beflügelt. Die aber weniger mit Traurigkeit, als mit einer „vortrefflichen“ Melancholie zu tun hat. Eine Stimmung, die ein Innehalten, aber dann einen Fortgang ermöglicht.
Künstler versetzen sich selbst – und uns als Hörer und Betrachter ebenso – in eine imaginäre Welt, in der die (Uhr-)Zeit nicht auf Gleichförmigkeit zielt, sondern auf einen anderen Bereich verweist, den vorsprachlichen der Kindheit. Paul Klee bezeichnet ihn als eine Art „Zwischenwelt“, die wir erfühlen müssen, weil wir ihn sprachlich nicht erfassen können.
So wie die „ozeanischen Gefühle“, wie Freud sie bezeichnete, die die Werbung für Düfte oder auch Kreuzfahrten sehr gerne nutzt, und die wir in unseren Seminaren zu „Rausch der Sinne“ und „Mensch und Meer“ gewissermaßen sinnlich „erfühlt“ haben.
Hermsen vergleicht den Weg, den der Künstler zurücklegen muss, um in eine Zwischenwelt zu gelangen, mit einem Weg ins Ungewisse. Vergleichbar der Mythologie von Orpheus, der in die Unterwelt hinabstieg, um dort sein Glück, in Gestalt seiner verlorenen Geliebten Eurydike wieder zurückzuholen. Aber Eurydike verschwand, als er sich nach ihr umdrehte, um sich zu vergewissern, dass sie ihm aus dem Totenreich wirklich folgte. Es mangelte ihm an Vertrauen und Mut, sich auf Unwägbarkeiten einzulassen.
Es geht hier auf der Metaebene um das Loslassen vom gewohnten Denken. Wie Hermsen und auch Hannah Arendt es versteht, ein Neuanfang ist nur dann möglich, wenn das „Ich“, der bewusste Verstand, zu einem „Selbst“ gelangt, quasi unserem inneren Kern, der mit einer unerreichbaren Vergangenheit verbunden ist, und in dem Menschen auch ohne Worte miteinander verbunden sind. Eine Rückkehr zu einer Zeit ohne bewusste, vom Verstand regulierende Erinnerungen und Erfahrungen.
Dann wenn man wieder zum kleinen Kind wird, ist auch ein Ausbrechen aus Raum und Zeit möglich. Oder um es mit den Worten von Nietzsche in „Also sprach Zarathustra“ zu sagen: „Unschuld ist das Kind und Vergessen, ein Neubeginn, ein Spiel, ein aus sich rollendes Rad, eine erste Bewegung, ein heiliges Ja-sagen … „(vgl. Hermsen, 2021, S. 78).
Schon jetzt freue ich mich auf dieses sehr anspruchsvolle Seminar, indem wir dem Themenbereich der Melancholie durch Betrachtungen der Literatur, der Kunst, der Poesie und der Musik auf die Spur kommen wollen. Bitte schreiben Sie mir, was Sie dabei am meisten interessieren würde.